Transkript
FORTBILDUNG
Erstversorgung und Therapie von Verbrennungen
Wenn der Feuerdrache zuschlägt
Während erstgradige Verbrennungen und Verbrühungen in der Regel keiner oder nur bedingt ärztlicher Massnahmen bedürfen, stellen die zweit- und drittgradigen Verbrennungen und Verbrühungen je nach Ausmass und Lokalisation ein schweres Krankheitsbild dar.
Merksätze
■ Nach dem Kühlen der Verbrennungswunden dürfen insbesondere Kleinkinder nicht in nassen Kleidern/ Verbänden transportiert werden.
■ Die nur stationär durchführbare offene Verbrennungsbehandlung hat den Vorteil, dass man die Wundfläche kontinuierlich beobachten kann.
THOMAS MEYER, BURKHARD HÖCHT
Bereits ab einer verbrannten beziehungsweise verbrühten Körperoberfläche von mehr als 5 Prozent muss bei Kindern mit systemischen Folgen wie Hypovolämie und Schock gerechnet werden. Aber auch kleinflächige Verletzungen der «funktionellen Zonen» (Kopf, Hals, Hände, Genitalien) können zu Beeinträchtigungen mit bleibenden, einschränkenden Narben führen (2, 3).
Kühlen, aber nicht auskühlen lassen! Die sofort am Unfallort eingeleitete Erste Hilfe und/oder Primärversorgung (Tabelle 1 und 2) ist oft entscheidend für den weiteren Verlauf des Verbrennungs- beziehungsweise Verbrühungstraumas (1). So sollte mit einer Kühlbehandlung innerhalb der ersten 30 Minuten begonnen und diese mindestens 15 Minuten beibehalten werden beziehungsweise so lange, bis die akuten Schmerzen nachlassen. Hierzu ist normales Leitungswasser geeignet, nicht jedoch Eiswasser oder Eisakkus, die zu einer weiteren sekundären Gewebsschädigung führen. Nur so lassen sich effektiv eine weitere Traumatisierung des Gewebes durch ein «Nachverbrennen» und sekundäre Gefässthrombosierung tieferer Gewebsschichten verhindern. Zusätzlich wirkt eine Kühlbehandlung antiphlogistisch, antiödematös und antiexsudativ und beeinflusst dadurch unmittelbar die Verbrennungskrankheit (2). Einer der gefährlichsten Fehler der Erst- beziehungsweise Primärversorgung besteht darin, den Patienten in nassen Kleidern oder Verbänden weiter zu transportieren, da die Gefahr der Unterkühlung, besonders bei Kleinkindern, häufig unterschätzt
wird. Nach der Kühlbehandlung sollten die Patienten daher in trockene, saubere Tücher eingehüllt werden.
Schweregrad bestimmen Die Schwere einer Verbrennung wird sowohl durch die Ausdehnung (in Prozent der Körperoberfläche – KOF) und Tiefe (Verbrennungsgrade: I, II, III und IV) als auch durch die Körperregion und das Alter des Patienten bestimmt. Zur Beurteilung des Verbrennungsausmasses richtet man sich beim Erwachsenen nach der «Neuner-Regel» nach Wallace (4), die jedoch auf das Kindesalter nicht direkt übertragbar ist, da der kindliche Kopf gegenüber dem Rumpf überproportional gross ist (Abbildung 1). Als praktisches Hilfsmittel zur Beurteilung des Verbrennungsausmasses kann jedoch auch die Grösse der Handfläche (+ Finger) des Kindes als Mass verwendet werden, die zirka 1 Prozent der KOF entspricht. Neben dem Verbrennungsausmass spielen aber auch die Verbrennungstiefe (Tabelle 1 und Abbildung 2a–c) und die Lokalisation der Verbrennung/Verbrühung für die weitere Therapie und Versorgung des Kindes eine entscheidende Rolle. So stellen Verbrennungen im Bereich der sogenannten «funktionellen Zonen» (Gesicht, Hände, Füsse, Gelenke und Genitalien) auch bei geringer Ausdehnung eine Indikation zur Klinikeinweisung dar, da die Wahrscheinlichkeit einer Funktionsbeeinträchtigung in diesen Bereichen besonders gross ist.
Einweisen oder nicht? Nach erfolgter Erstversorgung und Abdecken der verbrannten/verbrühten Areale mit einem sauberen Tuch muss die
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ERSTVERSORGUNG UND THERAPIE VON VERBRENNUNGEN
Tabelle 1: Fünf goldene Regeln zur Ersten Hilfe von Brandverletzten
1. Feuer löschen, Hitzequelle ausschalten 2. mit Wasser kühlen 3. nichts auf die Verletzung auftragen 4. abdecken mit frischen Tüchern oder Metalline® 5. Transport
Tabelle 2: Primärversorgung durch den Notarzt
1. Kühlung 2. Schmerzbehandlung Analgosedierung 3. Feststellung des Verbrennungsschadens
a) Tiefe b) Fläche 4. Infusionsbehandlung a) Zugangsweg b) Flüssigkeitsmenge und Zusammensetzung
Entscheidung über die weitere Versorgung des Kindes getroffen werden. Für eine Klinikeinweisung sollte man sich entscheiden: ■ bei erstgradigen Verbrennungen und Verbrühungen mit
einem Verbrennungsausmass von mehr als 15 Prozent der Körperoberfläche ■ bei zweitgradigen Verbrennungen und Verbrühungen mit einem Verbrennungsausmass von mehr als 5 Prozent der Körperoberfläche ■ bei allen drittgradigen und viertgradigen Verbrennungen und Verbrühungen ■ bei einer Mitbeteiligung von Gesicht, Händen, Füssen, Genitalien und Gesäss (Tabelle 4).
Wundmanagement Parallel zur Therapie der Verbrennungskrankheit werden die chirurgischen Massnahmen durchgeführt. So müssen der Erhalt der Durchblutung zirkulär betroffener Extremitäten (Kompartmentsyndrom) gesichert werden, nekrotische Hautareale entfernt (Nekrosektomie) und die so entstandenen Defekte plastisch rekonstruktiv gedeckt werden. Neben der Exzision der Narben und der Anwendung von Spalt- beziehungsweise Vollhauttransplantaten hat sich zur Defektdeckung der primäre und sekundäre Einsatz von biokompatiblen Materialien, wie zum Beispiel Integra Artificial Skin®, zunehmend bewährt (2).
Tabelle 3: Gradeinteilung einer Verbrennung als Mass für die Tiefe
Verbrennungsgrad I.-gradig II.-gradig -aII.-gradig -bIII.-gradig IV.-gradig
Oberfläche trocken, keine Blasen Blasen, feucht Blasen, weniger feucht trocken trocken
Farbe rot rot gesprenkelt rosa weiss verkohlt
Schmerz schmerzhaft schmerzhaft schmerzhaft schmerzlos schmerzlos
Abbildung 1: Bestimmung des Ausmasses einer Verbrennung (Prozent der Körperoberfläche)
Offen oder geschlossen? Das Wundmanagement kann, je nach Ausdehnung und Tiefe der Verbrennung, «offen» oder «geschlossen» erfolgen. Ziel der Lokalbehandlung sollte es sein, in möglichst rascher Zeit bei möglichst wenigen Verbandswechseln die Schmerzen weitestgehend zu lindern und eine Epithelialisierung der thermischen Wunden zu erreichen. Vor allem bei grossflächigen Verbrennungen und Verbrühungen im Bereich der «funktionellen Zonen» ist ein offenes Wundmanagement in einer voll klimatisierten, keimarmen «Verbrennungseinheit» zu fordern. Der Vorteil der offenen Wundbehandlung liegt zum einen darin, dass man dabei die Wundfläche kontinuierlich beobachten kann, zum anderen in der Tatsache, dass die häufig doch schmerzhaften Verbandswechsel entfallen. Von Nachteil ist jedoch, dass das offene Wundmanagement nur stationär durchgeführt werden kann und die betroffenen Patienten in einer voll klimatisierten, keimarmen «Verbrennungseinheit» isoliert werden müssen. Das geschlossene Wundmanagement (Fettgaze, z.B. Jellonet®, antimikrobielle
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FORTBILDUNG
Abbildung 2a: Verbrennung 1. Grades
Abbildung 2b: Verbrennung II. Grades nach Blasenabtragung
Abbildung 2c: Verbrennung III. bis IV. Grades (heisser Auspuff eines Autos nach Verkehrsunfall)
Tabelle 4: Indikation für eine stationäre Behandlung
■ Verbrennungen/Verbrühungen I. Grades über 15 Prozent der KOF ■ Verbrennungen/Verbrühungen II. Grades über 5 bis 10 Prozent der KOF ■ Verbrennungen III/IV. Grades ■ Mitbeteiligung von Gesicht, Händen, Füssen, Genitalien und Gesäss ■ Kinder < 1 Jahr
Salben/Cremes, z.B. Lavasept®, Brau-
novidon® oder Repithel®, steriler Wund-
verband) kann bei kleinen Flächen auch
ambulant durchgeführt werden. Nach-
teilig ist hierbei, dass es unter den Ver-
bänden zu einer Mazeration der Haut
oder einer Wundinfektion kommen kann.
Ausserdem ist für die Patienten der
täglich notwendige Verbandswechsel
belastend.
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Literatur über www.allgemeinarzt-online.de
PD Dr. med. habil. Thomas Meyer Facharzt für Chirurgie
Abteilung für Kinderchirurgie Chirurgische Universitätsklinik
D-97080 Würzburg
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 11/2007. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
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