Transkript
FORTBILDUNG
Erstmassnahmen bei Insektenstichen
Von Kühlung bis Reanimation
Der Allgemeinarzt ist oft mit Insektenstichen als alltäglichem Beratungsanlass konfrontiert. Die Palette reicht von einfachen Lokalreaktionen auf Mücken oder Bremsenstiche über infizierte Stiche bis hin zu anaphylaktischen Reaktionen. Die folgenden Ausführungen sollen einen Überblick geben, was im Einzelfall zu tun ist.
Merksätze
■ Bei Mücken-, Bremsen- und Milbenstichen reichen oft lokale Kühlung und antiallergische Externa.
■ Eine festgesaugte Zecke sollte möglichst bald entfernt werden.
■ Bei allergischer Disposition kann ein Bienen- oder Wespenstich lebensbedrohlich sein.
Dies ist häufiger der Fall, wenn es zu Kratzerosionen durch den Patienten gekommen ist.
BERNHARD RIEDL, CARL RAUSCHER
Insektenstiche sind in unseren Breitengraden normalerweise harmlose Ereignisse, doch in bestimmten Fällen können sie aufgrund der Lokalisation der Einstichstelle (z.B. Mund, Hals) oder auch aufgrund der erhöhten allergischen Disposition zu zum Teil ernsthaften, ja sogar lebensbedrohlichen Reaktionen führen. Auch mit länger anhaltenden Krankheiten, die durch die Stiche von Insekten hervorgerufen werden, muss man durchaus rechnen (z.B. Borreliose oder ein durch Kratzerosionen ausgelöstes Ulcus cruris).
Mücken-, Bremsen- und Milbenstiche Stiche von Mücken, Bremsen oder auch Milben können für den Betroffenen aufgrund der Lokalschwellung (Abbildung 1) und auch eines erheblichen Juckreizes sehr unangenehm sein, jedoch ist mit bedrohlichen Reaktionen wie generalisierten Reaktionen extrem selten zu rechnen. Die Massnahmen werden sich in der Regel auf lokale Kühlung und eventuell eine antiallergische Salbe (z.B. Tavegyl®- oder Fenistil®-Gel) beschränken. Im Einzelfall, zum Beispiel bei übermässigen Reaktionen in der Augenregion, kann aber auch die Gabe eines systemischen Antihistaminikums nötig werden. Tritt in der Folge eines Stiches eine Wundinfektion (Abbildung 2) auf, so kann die Gabe eines Antibiotikums erforderlich werden.
Zeckenstiche Durch intensive Medienaktionen sind die Patienten besonders sensibilisiert im Hinblick auf Zeckenstiche, dies hat in Deutschland auch bereits zu einer Impfstoffknappheit geführt. Eine festgesaugte Zecke sollte möglichst bald entfernt werden, um einer Borrelioseinfektion vorzubeugen.
Bienen- und Wespenstiche Am gefährlichsten in unseren Breitengraden sind sicherlich Stiche durch Bienen, Wespen oder Hornissen, in seltenen Fällen aber auch durch Hummeln. Stiche durch diese Tiere sind für die meisten Menschen zwar sehr unangenehm, aber nicht gefährlich. Bei allergischer Disposition kann ein solcher Stich jedoch lebensbedrohlich sein. Dass toxische Reaktionen das Leben bedrohen, ist eher unwahrscheinlich, da es dafür zum Beispiel bei Bienen 100 und mehr Stiche bedürfte. Bei nicht allergisch disponierten Patienten sollte man nach einer eventuell erforderlichen Entfernung des Stachels (cave: Exprimation des Giftsackes vermeiden!) lokal kühlen und lokal, eventuell auch systemisch Antihistaminika verabreichen. Bei sehr empfindlichen Patienten kann auch die Gabe eines Schmerzmittels erforderlich sein. Ein Sonderfall der Lokalreaktion sind Stiche, die in die Gesichtsregion, am Hals oder gar in die Mundhöhle erfolgen. In solchen Fällen ist mit lebensbedrohlichen Lokalreaktionen aufgrund der Schwellung der Mund- oder Rachenschleimhäute zu
ARS MEDICI 5 ■ 2008 209
FORTBILDUNG
Abbildung 1: Schwellung der gesamten Hand nach Wespenstich
Abbildung 2: Wundinfektion durch Kratzerosionen infolge eines Insektenstichs
Abbildung 3: Sofortmassnahme bei allergischer Reaktion nach Wespenoder Bienenstich (nach Schweregrad)
rechnen bis hin zum Larynxödem. Hier sind je nach Ausprägung geeignete abschwellende Massnahmen sowie die Gabe von Antihistaminika und eventuell auch Kortikoiden angezeigt. Im Extremfall kann sogar eine Tracheotomie notwendig sein.
Allergische Reaktionen Bei allergisch disponierten Patienten kann je nach Sensibilisierungsgrad des Patienten nach einem Stich eine Sofortreaktion auftreten. Diese kann von Juckreiz, Urtikaria und Übelkeit bis hin zum Bewusstseinsverlust und Herz-Kreislauf-Stillstand unterschiedlich ausgeprägt sein. Im Falle einer solchen allergischen Sofortreaktion sollte nach Entfernung des Stachels, um die Allergenzufuhr einzudämmen, mit der Gabe von Flüssigkeit, Antihistaminika und Kortikoiden die Reaktion unterbunden werden, im Extremfall kann sogar eine kardiopulmonale Reanimation erforderlich werden (Tabelle 1).
Tabelle 1: Sofortmassnahmen bei allergischer Reaktion nach Wespen-, Hornissen- oder Bienenstich (je nach Schweregrad)
■ Allergenzufuhr unterbinden ■ Infusion (z.B. NaCI 0,9% 20 ml/kg KG) ■ Antihistaminika (z.B. Dimetinden 0,1 mg/kg KG i.v.) ■ Kortikoide (z.B. Prednisolon 10 mg/kg KG i.v.) ■ Adrenalin 0,001–0,01 mg/kg KG 0,1–1 ml der 1:10 000
verdünnten Lösung ■ Kardiopulmonale Reanimation ■ Stationäre Einweisung
Tabelle 2: Notfallapotheke für Patienten mit systemischer allergischer Reaktion
■ Dimetindentropfen (Kleinkinder 20, Schulkinder 40, Erwachsene 60 Tropfen)
■ Betamethason flüssig (Kleinkinder 5, Schulkinder 15, Erwachsene 25 ml)
■ Adrenalin-Fertigspritze, wenn der Patient in der Lage ist, sie zu applizieren
Patienten mit allergischer Disposition sollten bereits beim
Erstereignis einer Sofortreaktion mit einer Notfallapotheke
(Tabelle 2) versorgt werden, des Weiteren sollte das Ereignis so-
fort als Anlass genommen werden, über die besonders effektive
kurative Hyposensibilisierung zu beraten.
■
Dr. med. Bernhard Riedl D-93173 Wenzenbach
Dr. med. Carl Rauscher D-93057 Regensburg
Fachärzte für Allgemeinmedizin, Lehrbeauftragte der Universität Regensburg
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 11/2007. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
210 ARS MEDICI 5 ■ 2008