Transkript
Editorial
Der junge Lehrstuhlinhaber des Instituts für Hausarztmedizin am Universitätsspital Zürich, Professor Dr. Thomas Rosemann (Interview S. 180 ff.), hat es vor allem jetzt, am Anfang seiner Arbeit, nicht leicht. Optimistisch wirkt er und voller Tatendrang, was die akademische Forschung in Hausarztmedizin angeht. Damit hat er Erfahrung. Und wenn er recht hat damit, dass die Allgemeinmedizin sich in erster Linie über eine eigene Forschungsidentität definieren muss, dann ist das vielleicht sogar seine wichtigste Aufgabe. Aber Rosemann sieht sich natürlich auch mit gesundheitspolitischen Anliegen der Hausärzte konfrontiert. Da wird er dann – verständlich – diplomatisch vorsichtig. So etwa bei der Frage
Es ist ganz einfach: Man muss die Selbstdispensation erlebt und erfahren haben, um überzeugt zu sein, dass sie für einen Hausarzt selbstverständlich ist. Sein muss. Weil nicht einzusehen ist, weshalb ausgerechnet eines der wichtigsten ärztlichen Hilfsmittel, das Medikament, nur auf dem Umweg über einen externen Verkäufer, den
Diplomatisch vorsichtig …
nach dem Stellenwert der Selbstdispensation. Wir wollen es ihm nicht verübeln, dass er nicht Feuer und Flamme «pro» ist und sich voll dafür einsetzt, sondern erst nach harten Daten und Evidenz verlangt. Die Schweiz ist zwar nicht das einzige Land, das die Selbstdispensation kennt, aber in Deutschland hat sie eben keine verankerte Geschichte. Die Zurückhaltung Rosemanns gegenüber der SD mag anderen Motiven entspringen als jenen vieler Politiker und mancher Kollegen in Nicht-SD-Gebieten, und dennoch ist sie erhellend, vielleicht sogar typisch für die Haltung der Gesellschaft. So wohlwollend man den Ärzten als Individuen gegenüber steht, so sehr man den Hausärzten ein gutes Ein- und Auskommen gönnt und ihnen glaubt, dass sie sich nicht wegen des schnöden Verdienstes dazu verleiten lassen, mehr oder teurere Medikamente als nötig zu verkaufen – der Rest an Misstrauen hat eine erhebliche Grösse und Wirkung. Der Ruf nach harten Daten und Evidenz – er ist natürlich nicht erfüllbar.
Apotheker, zum Patienten gelangen soll. Zweifel an Sinn und Nutzen der Selbstdispensation kann nur bei Kollegen aufkommen, die sie nicht kennen. Wer sie kennt und ausübt, braucht keine harten Daten und keine statistische Evidenz. Der Nutzen (übrigens auch für die Patienten) ist Stunde um Stunde, Tag für Tag evident. Nur, das ist auf akademischem Weg und ohne Erfahrungshintergrund nur schwer zu vermitteln. Nun denn, immerhin schliesst Rosemann Forschung nicht aus, die wissenschaftlich fundierte Argumente für die Selbstdispensation liefert. Wir sollten ihm Zeit einräumen, ihn dann aber auch beim Wort nehmen. Selbst wenn er es nicht als seine vordringliche Aufgabe sieht, sich politisch zu engagieren, die Hausarztmedizin ist nun mal verpolitisiert. Und die selbstdispensierenden Hausärzte wären schon zufrieden, wenn das Institut für Hausarztmedizin gelegentlich politisch verwertbare Daten generierte.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 5 ■ 2008 169