Transkript
Editorial
Prävention und Repression sind seit jeher so etwas wie siamesische Zwillinge. Von den Aussätzigenkolonien in Mittelalter und früher Neuzeit bis zu den heutigen Reisebeschränkungen für HIV-Infizierte in vielen Ländern spannt sich ein grosser Bogen verordneten Zwangs zum (vermeintlichen) Wohle aller. Die medizinisch wirklich grossen Epidemien wie die der Atemwegserkrankungen durch unentrinnbare Luftverschmutzungen oder die der fettsuchtvermittelten Stoffwechsel- und Gefässleiden durch fehlgeleitete Ernährung scheinen es gegenüber den Infektionen in der Risikowahrnehmung und dem Eifer für abwehrende, als vorbeugend erhoffte, Massnahmen schwerer zu haben. Präventive Bemühungen scheinen, nicht unähnlich denjenigen beim
verschiedenen Cochrane-Gruppen haben kürzlich eine systematische Übersicht zur Unterbrechung oder Verminderung der Ausbreitung respiratorischer Viren durch physikalische Massnahmen veröffentlicht, die einer willkommenen Rehabilitierung bescheidener und vergleichsweise billiger Handlungen gleichkommt. Qualitativ gute Studien während SARS-Epidemien legen den Schluss
«Was wenig kostet, ist nicht viel wert»
reparativen Umgang mit möglichen, für viele inzwischen schon gewissen Klimaveränderungsgefahren, vor allem dann attraktiv zu sein, wenn sich damit viel Geld verdienen lässt. Ob Raucherentwöhnung (pharmakologisch, psychologisch oder kombiniert), Abspeckpille, Diabetesund Blutdruckmittel oder Biotreibstoff fürs Auto oder subventionierte Häuserisolierung: nicht nur die Not ist da, sondern auch der Heil(ung)sweg. Und die kleinen Schritte? Die banalen Vorkehrungen, die fast nichts kosten? Wir denken wohl alle mit Schaudern zurück an die panischen Szenarien und Strategiepapiere zur bevorstehenden Pandemie mit entweder einem Vogelgrippe- oder einem humanen Supergrippevirus. Auch hier hat das Geschäft ganz gut gespielt, die Tamiflubunker sind allerorten voll. Aber auch Gesichtsmasken liefen dank BAG-Hilfe vorübergehend, wenn auch nicht besonders. Wissenschaftler aus
nahe, dass fleissiges Händewaschen das Übertragungsrisiko halbiert, Maskentragen es um zwei Drittel vermindert, Handschuhe die Übertragungsgefahr ebenfalls halbieren und Kittel auch sehr nützlich sind (S. 124 in diesem Heft). Was hingegen die repressiven Massnahmen wie Screening und Reiseverhinderung an Flughäfen oder Wegschliessung («social distancing») betrifft, ist die Datenlage schlecht, da dies bisher nicht einwandfrei untersucht wurde. Einige Lehren wird man aus dieser Untersuchung trotz der wenig ereignisreichen Grippewelle dieses Winters schon ziehen müssen, denn Epidemiologen wissen: Nach der Epidemie ist auch vor der Epidemie.
Halid Bas
ARS MEDICI 4 ■ 2008 121