Transkript
FORTBILDUNG
Koinfektionen bei HIV-Infizierten steigen
Bei Hepatitis C sollte eine Interferontherapie erwogen werden
Opportunistische Infektionen bei HIV-Infizierten und Aidskranken nehmen zu. Das zeigten verschiedene Arbeiten, die im vergangenen Jahr auf der 11. European AIDS Conference in Madrid vorgestellt wurden. Die wesentlichen Ergebnisse hat Vincent V. Soriano in «Medscape» kurz zusammengefasst.
Merksätze
■ Aidsexperten sehen die sporadischen Ausbrüche von akuter Hepatitis C und Tuberkulose sowie zunehmende Syphilisinfektionen als Warnsignal.
■ Immer häufiger werden zudem Resistenzen bei Tuberkulose und Syphilis beobachtet.
■ Die Experten halten es nach neuen Daten für sinnvoll, bei Koinfektion mit HCV eine Interferontherapie ins Auge zu fassen.
MEDSCAPE
Hepatitis B Ungefähr 5 bis 8 Prozent der HIV-Infizierten in Westeuropa leiden auch an einer chronischen Hepatitis B. Das bestätigt eine Untersuchung an einem grossen Londoner Zentrum für Infektionskrankheiten. Die Daten weisen aus, dass 87 Prozent Männer sind, zwei Drittel waren HBeAG-positiv. Jeder Zweite der insgesamt 1640 Personen war homosexuell. Diese Gruppe war überwiegend mit dem HBV-Genotyp A infiziert. Ein Patient, der bisher nicht therapiert wurde, war mit einem Lamivudin-resistenten Virusstamm infiziert. Bisher wurden solche Resistenzen nur sporadisch beobachtet, für die Zukunft rechnen die Experten aber mit einem Anstieg.
Hepatitis C Zwei prospektive Beobachtungsstudien unter dem Namen EuroSIDA haben für besondere Aufmerksamkeit gesorgt. Die erste beschrieb die virologischen Charakteristiken bei HIV-infizierten Personen, die gleichzeitig auch HCV-Antikörper aufwiesen. Es handelt sich um eine grosse Kohorte, die seit 1994 in ganz Europa gebildet wurde und insgesamt 2263 Personen umfasst. Insgesamt sind von ihnen 1677, das sind 74 Prozent, HCV-RNA-positiv getestet. Eine Interferontherapie wurde bei nur 5 Prozent durchgeführt, und nur bei einem Drittel von ihnen gelang eine HCV-Eradikation. Nähere Untersuchungen haben ergeben, dass i.v.-Drogenkonsumenten seltener HCV-frei
sind als solche, die durch sexuelle Kontakte mit dem HepatitisV-Virus in Kontakt kamen. Bestätigt werden konnte in der zweiten Studie, dass der HCVStatus die Progression einer gleichzeitig bestehenden HIV-Infekion nicht beeinflusst, auch die virologische und immunologische Response wird durch diese Koinfektion nicht tangiert. Allerdings sind Lebererkrankungen unter den HCV-Infizierten deutlich häufiger. Insgesamt starben 340 Patienten (15%) während des Follow-ups, 91 davon an einer Lebererkrankung. Sollten die HCV-infizierten HIV-Patienten nun behandelt werden? Hierzu ergab eine französische Studie gewisse Antworten. In der Untersuchung wurden 230 Patienten mit dieser Doppelinfektion über lange Zeit beobachtet, nachdem sie mindestens einen Interferontherapiezyklus durchlaufen hatten; verglichen wurden die Ergebnisse mit 206 Infizierten, die unbehandelt blieben. In der Gruppe der Therapierten ergab sich Folgendes: Die Inzidenz der dekompensierten Leberzirrhose und des hepatozellulären Karzinoms betrug 16 Prozent ohne virologisches Ansprechen der Therapie und nur 2,3 Prozent hingegen bei Patienten, bei denen die Therapie anschlug. Bei der Kontrollgruppe ohne Therapie kam es bei 4,4 Prozent im Laufe der Beobachtungszeit zu einer Krankheitsprogression, und dies, obwohl die Ausgangsbedingungen dieser Patienten günstiger waren als bei den Behandelten. Ungeachtet des HCVStatus schritt die Erkrankung bei hohen Leberenzymwerten rascher fort. Übrigens kam es innerhalb der Beobachtungszeit nach erfolgreicher HCV-Therapie bei keinem Patienten zu
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FORTBILDUNG
einem Rückfall. Insgesamt sprechen die Daten dafür, HIV-Patienten mit gleichzeitiger HCV-Infektion mit Interferon zu behandeln, schlussfolgert der «Medscape»-Autor.
Akute Hepatitis C Immer wieder ist in den letzten Jahren über Ausbrüche von akuter Hepatitis C bei HIV-infizierten homosexuellen Männern berichtet worden. Forscher aus verschiedenen europäischen Ländern haben ihre Erfahrungen mit 150 dieser Patienten zusammengetragen und in Mailand vorgestellt. Fast 80 Prozent der anfangs asymptomatischen Patienten wiesen initial eine Leberenzymerhöhung und HCV-Serokonversion auf, 17 Prozent hatten eine begleitende Syphilis. Eine spontane HCV-Clearance wurde nur bei 11 Personen (7%) beobachtet, unabhängig vom HCV-Genotyp oder von der bestehenden Symptomatik. Der Zeitpunkt, an dem man über eine medikamentöse Therapie nachdenken sollte, ist für diesen Patientenkreis weiterhin ungeklärt. Es wird aber empfohlen, HCV-RNA im ersten Jahr in regelmässigen Abständen zu bestimmen, angesichts der Tatsache, dass stark wechselnde Virämien häufig sind.
Tuberkulose Die Tuberkulose gehört zu den häufigsten Koinfektionen bei HIV-positiven Patienten in Europa. Die Infektionsgefahr steigt mit Abnahme der CD4-Zellen bei den HIV-Infizierten. Besonders in Osteuropa ist die Tuberkulose bei drogenabhängigen HIV-Infizierten sprunghaft angestiegen. Forscher aus Russland machten in Madrid darauf aufmerksam, dass von 704 Fällen zwischen 2000 und 2006 ein Drittel im Abstrich negativ getestet wurden, was die Diagnostik natürlich erschwert. Noch besorgniserregender war die Tatsache, dass bis zu 80 Prozent der
Stämme auf mindestens eines der indizierten Antibiotika resistent waren. In mehr als der Hälfte der Fälle war die Resistenz sekundär, das heisst in aller Regel die Folge einer nicht (vorschriftsmässig) durchgehaltenen Therapie. Insgesamt betrug die Resistenzrate gegenüber Rifiampicin 61 Prozent, Streptomycin folgte mit 57 Prozent. Aber auch gegen Isoniazid ist jeder fünfte Stamm unempfindlich.
Syphilis Einige in Madrid vorgestellte Studien zeigen, dass sexuell übertragbare Krankheiten und insbesondere Syphilis bei HIV-Infizierten in Europa ansteigen, insbesondere bei homosexuellen Männern. In einer Spezialabteilung für sexuell übertragbare Krankheiten in Madrid wurden zwischen 2005 und 2006 194 Personen mit Syphilis diagnostiziert. Obwohl nur 40 Prozent der Gesamtgruppe der mit einer sexuell übertragbaren Krankheit Infizierten homosexuell waren, machten sie 92 Prozent der Syphilisfälle aus. Da HIV-Infizierte ein erhöhtes Risiko eines Therapieversagens aufweisen, versuchten Forscher, Kriterien herauszufinden, mit denen sich diese Risikopatienten a priori erkennen lassen. Der beste Prädiktor für ein Therapieversagen, so stellte sich heraus, waren hohe Plasma-HIV-RNA-Spiegel. ■
Uwe Beise
Vincent V. Soriano: 11th European AIDS Conference: Coinfections in patients with HIV infection. Medscape 2007 (online: www.medscape.com)
Interessenlage: Prof. Vincent V. Soriano war als Advisor und Consultant bei Schering-Plough, Roche, Bristol-Myers Squibb und Gilead tätig.
BEKANNTMACHUNG
30. Winterthurer Fortbildungskurs: Streitpunkte der Schilddrüsentherapie
Donnerstag, 5. Juni 2008, 9.00 bis 17.40 Uhr, Theater Winterthur, Am Stadtgarten, 8400 Winterthur Veranstalter: Dr. med. Dirk Kappeler Auskunft: Praxis Dr. med. Dirk Kappeler, Untertor 1, 8400 Winterthur Tel.: 052-232 08 40, Fax: 052-233 55 46, Internet: www.winterthurerfortbildungskurs.ch
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