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FORTBILDUNG
Hepatitis B: Ist eine Ausweitung der Therapie erforderlich?
Eine asiatische Arbeitsgruppe fordert eine aggressivere Therapie, doch Zweifel scheinen angebracht
Menschen, die sich sehr früh, womöglich perinatal, mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) infizieren, sollten auch dann medikamentös behandelt werden, wenn eine HbeAG-Sernkonversion stattgefunden hat. Dafür plädieren asiatische Wissenschaftler, die damit eine Änderung der bisherigen Richtlinien fordern.
Merksätze
■ Bei Patienten mit früh erworbener Hepatitis-B-Infektion kommt es im Laufe des Lebens oft zu Komplikationen, auch wenn eine HBeAG-Serokonversion eingetreten ist und die Grenzwerte für die HBV-DNA und ALT unterschritten bleiben.
■ Die Autoren fordern bei diesen Patienten eine permanente antivirale Therapie.
■ Die Kommentatoren hingegen halten eine Änderung der bisherigen Richtlinie nicht für angezeigt.
ANNALS OF INTERNAL MEDICINE
Nicht jeder, der an Hepatitis B erkrankt ist, muss spezifisch behandelt werden. Folgt man der bisherigen Praxis und den kursierenden Richtlinien, so sollte eine Behandlung erfolgen bei: ■ Patienten, die HBeAG-positiv sind und die einen Serum-
spiegel von mehr als 105 HBV-DNA-Kopien aufweisen und deren ALT-(=GPT-)Werte mehr als doppelt so hoch wie der obere Normwert sind. ■ Leberbiospien werden gemeinhin empfohlen, wenn der ALT-Wert auf mindestens das Doppelte des oberen Normwerts angestiegen ist, besonders bei Patienten über 40 Jahre. Eine Behandlung sollte dann erfolgen, wenn abnormale histologische Befunde vorhanden sind.
Daneben existieren auch Richtwerte, nach denen die Therapie unter bestimmten Umständen beendet werden kann. Dies ist der Fall, wenn die Serokonversion zu Anti-HBe erfolgt ist, die HBV-DNA unter die Marke von 105 Kopien/ml fällt und der ALT-Wert normal ist. Die Richtlinien gehen davon aus, dass eine Hepatitis B nur dann mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine Zirrhose und ein hepatozelluläres Karzinom übergeht, wenn die Marker der Krankheitsaktivität positiv sind und dass die Therapie bei gesunden Hepatitis-B-Trägern gestoppt werden kann.
Dieses Konzept der gesunden Hepatitis-B-Träger ist nun infrage gestellt worden. Die Autoren Lai und Yen von der Universität Hongkong halten es allenfalls bei Heranwachsenden und Erwachsenen für brauchbar, bei Patienten, die sich früh im Leben oder unter der Geburt infiziert haben, stellen sie es infrage. Mehrere Studien hätten gezeigt, dass die Krankheit auch nach der HBeAG-Serokonversion weiter fortschreitet, dann nämlich, wenn die Infektion im frühen Lebensalter erworben wurde. In der Taiwan-Studie zeigte sich bei 683 Patienten eine vergleichbar hohe Zirrrhosezahl bei anti-HBe-positiven und HBeAG-positiven Patienten. Eine andere asiatische Studie kam vor Kurzem zu folgenden Ergebnissen: Bei 3233 Patienten mit Leberzirrhose betrug das mittlere Alter der Serokonversion 35 Jahre, Zirrhosekomplikationen traten durchschnittlich im Alter von 57 Jahren auf. Mehr als 73 Prozent der Teilnehmer waren anti-HBe-positiv, als sich die Komplikationen oder ein Leberzellkrebs entwickelten. In einer anderen Follow-up-Studie mit 92 chinesischen HBsAg-Trägern zeigte sich Folgendes: Nach Verschwinden der Antigene konnte bei 37 Prozent noch intrahepatisch HBV-DNA nachgewiesen werden. Zudem entwickelten 5,4 Prozent dieser Patienten ein hepatozelluläres Karzinom, verglichen mit 8,7 Prozent der 92 Kontrollen, bei denen HBsAG weiter nachweisbar war. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant. Diese Befunde, so die Autoren, machten deutlich, dass das hepatozelluläre Karzinom auch bei HBsAG-Clearance auftreten
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kann. Verschiedene asiatische Studien kommen zudem zu dem Schluss, dass Patienten auch dann weiterhin ein Risiko für eine aktive Hepatitis mit ihren Komplikationen behalten, wenn die HBV-DNA-Spiegel auf unter 105 Kopien/ml oder gar auf 10 4 Kopien/ml abgesunken sind. Diese Ergebnisse, so die Autoren, führten vor Augen, dass die bisherigen Behandlungskriterien und Endpunkte für Patienten mit früh erworbener Hepatitis B unbefriedigend seien. Sie fordern deshalb, dass Patienten mit ALT-Spiegeln von 50 bis 200 Prozent über den Normalwerten behandelt werden sollten. Dabei gehe es darum, die permanente Suppression von HBV-DNA auf sehr niedrige Spiegel (unterhalb der PCRBestimmungsschwelle) zu erreichen, die ALT-Werte sollten nicht höher als 50 Prozent über der Norm liegen.
Bedenken gegen eine Ausweitung der Therapie In einem begleitenden Editorial lehnen die Hepatologen Bulent Degertekin und Anna S.F. Lok von der University of Michigan Health Systems die Forderungen ab. Sie verweisen darauf, dass die Hepatitis-B-Therapieempfehlungen auf der Erkenntnis gründen, dass HBeAG-positive Patienten mit normalen ALT-Spiegeln eine geringe Serokonversionsrate auch unter Behandlung aufweisen und die Erkrankung bei perinatal erworbener Hepatitis B nur sehr langsam fortschreitet.
«Obwohl die HBV-Replikation nach HBeAG-Serokonversion
bei allen Patienten ungeachtet des Alters reaktiviert werden
kann, kann bei einer Zahl von 30 Prozent in zehn Jahren keine
Therapie bei allen gerechtfertigt werden.»
Auch verweisen sie darauf, dass die Resistenzraten bei Lang-
zeittherapie mit der Zeit ansteigen, Langzeitdaten zur Sicher-
heit fehlten und die Therapie obendrein kostspielig sei. «So-
lange eine sichere Langzeittherapie, die eine permanente Sup-
pression der HBV-Replikation bei (fast) allen Patienten
erreicht, nicht verfügbar ist, empfehlen wir die Therapie nur
für Patienten mit hoher Serum-HBV-DNA und aktiver oder
fortgeschrittener Lebererkrankung – unabhängig davon,
wann die Infektion erworben wurde.»
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Ching-Lung Lai, Man-Fung Yuen: The natural history and treatment of chronic hepatitis B: a critical evaluation of standard treatment criteria and end points. Ann Med 2007; 147: 58–61. Bulent Degertekin, Anna S.F. Lok: When to start and stop hepatitis B treatment: can one set of criteria apply to all patients regardless of age at infection? Ann Intern Med 2007; 147: 62–64.
Interessenkonflikte: C.-L. Lai hat einen «Grant» von Bristol-Myers Squibb erhalten. Anna S.F. Lok gibt unter anderem Beratertätigkeiten bei verschiedenen Pharmaunternehmen an, darunter Bristol-Myers Squibb, GlaxoSmithKline, Roche, Schering-Plough.
Uwe Beise
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