Transkript
FORTBILDUNG
Lebensqualität soll Behandlung bestimmen
Betreuung von Männern mit benigner Prostatahyperplasie
Männer über 60 Jahre haben histologisch zur Hälfte eine benigne Prostatahyperplasie
Merksätze
(BPH), mit 85 Jahren sind es sogar 90 Prozent.
Wie soll man damit diagnostisch und thera-
peutisch umgehen?
AMERICAN ACADEMY OF FAMILY PHYSICIANS
Die Symptome einer gutartigen Prostatavergrösserung entstehen durch die anatomische Obstruktion sowie durch die Kontraktion glatter Muskeln in Prostata, Urethra und Blase. Für den Schweregrad der Symptomatik ist der periurethrale Anteil der Drüse und weniger die Gesamtgrösse ausschlaggebend. Die Rate der Grössenzunahme ist höher bei initial grosser Prostata und erhöhtem Ausgangswert des prostataspezifischen Antigens (PSA). Zwischen den Charakteristika der BPH und den von den Betroffenen bemerkten Symptomen besteht nur eine unregelmässige Korrelation. Nicht alle Männer mit histologischer BPH haben Symptome, und Harnwegsbeschwerden wie schwacher Strahl, Tröpfeln, häufiger Harndrang und Nykturie können auch ohne Prostatavergrösserung vorkommen. Hauptsächlicher BPH-Risikofaktor ist das Alter, ebenfalls angeschuldigt wurden erhöhter Body-Mass-Index, metabolisches Syndrom und Hyperinsulinämie, wie dieses Fortbildungsmodul der American Academy of Family Physicians festhält. Ohne Behandlung können sich im Zusammenhang mit einer BPH Komplikationen einstellen: rezidivierende Harnwegsinfekte, hypotone Blase, Blasensteine und obstruktive Nephropathie. Am meisten gefürchtet ist der akute Harnverhalt, bei dem es sich um einen Notfall handelt, der häufig Hospitalisation und chirurgisches Eingreifen erfordert. Ein spontan auftretender Harnverhalt, der durch eine BPH verursacht ist, verschwindet im Allgmeinen nicht ohne eine invasive Therapie.
Diagnose Zur Erfassung und Beschreibung einer BPH eignen sich die gängigen Fragebögen mit Quantifizierung des Symptomindexes (International Prostata Symptom Score, IPSS). Eine sorgfältige
■ Zur Charakterisierung der Beschwerden sollte der International Prostata Symptom Score (IPSS) mittels Fragebogen bestimmt werden.
■ Eine PSA-Bestimmung kommt in Betracht bei Patienten mit mindestens 10 Jahren Lebenserwartung, bei denen die Kenntnis eines Prostatakarzinoms das Management verändern würde oder bei Patienten, bei denen die Kenntnis des PSA-Werts das Management der Miktionsbeschwerden ändern würde.
■ Abwarten und Beobachten ist das bevorzugte Management für Patienten mit leichten BPH-Symptomen und auch eine angemessene Option bei Männern mit mittleren bis schweren Symptomen, die noch keine BPH-Komplikationen entwickelt haben.
■ Die medikamentöse Behandlung mit Alphablocker, 5-alpha-Reduktase-Hemmer oder Sägepalmenextrakt ist heute bei Männern gebräuchlich, die nicht nur abwarten wollen, aber einem chirurgischen Eingriff (noch) ablehnend gegenüberstehen.
Anamnese sollte folgende Punkte erfassen: derzeitige Symptome, eine Liste der frei erhältlichen und auf Rezept bezogenen Medikamente, bekannte Erkrankungen, Kaffee- und Alkoholkonsum, Gewohnheiten der Flüssigkeitsaufnahme sowie eine Familienanamnese hinsichtlich BPH und anderer Prostataerkrankungen. Bei der körperlichen Untersuchung ist die digitale Rektaluntersuchung ausschlaggebend und gibt Auskunft über Sphinktertonus, Prostatagrösse oder suspekte Palpationsbefunde. Dringend empfohlen wird zudem ein Urinstatus (Hämaturie, Infekt, postobstruktive Nephropathie). Die Erfassung des Serum-Kreatinin-Spiegels gibt einen Hinweis auf die Nierenfunktion und ist zudem wichtig, wenn ein chirurgischer Eingriff erwogen wird, da das Risiko postoperativer Komplikationen bei Nierendysfunktion erhöht ist. Eine PSA-Bestimmung kann
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geeigneten Patienten als Screening auf Prostatakarzinom angeboten werden, obwohl ein isolierter Wert eine BPH nicht von einem Karzinom unterscheiden kann. Die PSA-Spiegel korrelieren mit dem Prostatavolumen, und serielle Bestimmungen können daher Aussagen über die BPH-Pprogression erlauben. Ein plötzlicher rascher PSA-Anstieg sollte eine Krebsabklärung veranlassen. Die Bestimmung eines Basiswerts ist sinnvoll bei Patienten, die mit 5-alpha-Reduktase-Hemmern behandelt werden sollen, da diese die PSA-Spiegel senken. Infektionen von Harnwegen, Blase oder Prostata können BPHähnliche Symptome hervorrufen. Schmerz ist das beste Unterscheidungsmerkmal zur Prostatitis. Antidepressiva, Diuretika und Antihistaminika können die obstruktiven Beschwerden verstärken.
Empfehlung für die Praxis Zur initialen Evaluation aller Patienten mit BPH-verdächtigen Symptomen gehören: ■ umfassende Anamnese ■ körperliche Untersuchung mit digitaler Rektaluntersu-
chung und fokussiertem Neurostatus ■ Urinstatus (Streifentest oder mikroskopische Sediment-
untersuchung) zum Ausschluss von Hämaturie und Harnwegsinfekt ■ PSA-Bestimmung bei Patienten mit mindestens zehn Jahren Lebenserwartung und bei denen die Kenntnis eines
Prostatakarzinoms das Management verändern würde oder bei Patienten, bei denen die Kenntnis des PSA-Werts das Management der Miktionsbeschwerden ändern würde ■ Zur Charakterisierung der Beschwerden sollte der International Prostata Symptom Score (IPSS) mittels Fragebogen bestimmt werden.
Behandlung und Symptommanagement Zur Vorbeugung einer BPH gibt es nur spärliche Daten, weshalb sich die ärztlichen Bemühungen auf die Symptomlinderung und Verzögerung der Progression konzentrieren. Die Wahl der Behandlung soll sich am Ausmass der Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Beschwerden orientieren. Dies kann bedeuten, sich für abwartende Beobachtung zu entscheiden, wenn die potenziellen Nebenwirkungen einer Therapie schwerer ins Gewicht fallen als die derzeitigen Symptome. Man kann den Betroffenen dann die Empfehlung geben, ihren Konsum alkohol- und koffeinhaltiger Getränke einzuschränken, salzige oder scharfe Speisen zu meiden und vor dem Zubettgehen nicht mehr zu trinken. Die abwartende Haltung sollte periodisch überprüft werden.
Empfehlung für die Praxis ■ Abwarten und Beobachten ist das bevorzugte Manage-
ment für Patienten mit leichten BPH-Symptomen und auch eine angemessene Option bei Männern mit mittleren bis
Tabelle: Medikamente bei benigner Prostatahyperplasie
Alphablocker (nicht selektiv): Terazosin (Hytrin®)
Dosierung 1–10 mg/Tag
Wirkungsbeginn potenzielle Nebenwirkungen
2 bis 4 Wochen
Benommenheit, Orthostase, Harnretentionssymptome, Kopfweh, Müdigkeit, Synkopen
Alphablocker (selektiv): Alfuzosin (Alfuzosin-CIMEX 10,
Alfuzosine Uno Winthrop®, Alfuzosin Sandoz®, Xatral®) Tamsulosin (Omix Ocas®, Pradif® T)
10 mg/Tag
2 bis 4 Wochen
Kopfschmerzen, Asthenie, Benommenheit, Somnolenz, Insomnie, Diarrhö, Nausea, Harnretentionssymptome, gestörte Ejakulation
5-alpha-Reduktase-Hemmer: Finasterid (Proscar®) Dutasterid (Avodart®)
5 mg/Tag 0,5 mg/Tag
6 Monate 3 bis 12 Monate
verminderte Libido, Impotenz, abnorme Ejakulation, Gynäkomastie
Alternativmedikation: Sägepalmenextrakt
(A. Vogel ProstaMed, Permixon®, Prostasan®, Prosta-Urgenin®, SabCaps®)
im Allgemeinen 1(–2) Kapsel(n)* täglich
Tage bis Wochen
* je nach Präparat
selten Magenbeschwerden
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schweren Symptomen, die noch keine BPH-Komplikationen (Niereninsuffizienz, Harnverhalt, rezidivierende Harnwegsinfekte) entwickelt haben.
Pharmakotherapie Die medikamentöse Behandlung ist heute bei Männern gebräuchlich, die nicht nur abwarten wollen, aber einem chirurgischen Eingriff (noch) ablehnend gegenüberstehen. Eine Übersicht der Wirkstoffgruppen gibt die Tabelle. Alphablocker können den Tonus der glatten Muskulatur in Prostata, Urethra und Blasenhals reduzieren und so die obstruktiven Symptome beeinflussen. Die selektiven Alphablocker (Alfuzosin, Tamsulosin) haben die prostatischen Muskelzellen zum Ziel, das nichtselektive Terazosin kann auch zur Blutdruckabsenkung eingesetzt werden, sollte aber wegen Hypotoniegefahr unbedingt langsam auftitriert werden. Alphablocker haben einen raschen Wirkungseintritt (zumindest teilweise Erleichterung schon innert 48 h). Sie verbessern für 70 Prozent der Patienten die Symptomscores um 30 bis 40 Prozent. Bis zur vollen Wirkungsenfaltung können bis zu vier Wochen vergehen, was bei Dosissteigerungen zu beachten ist. Alphablocker bessern die unangenehmen Symptome, verkleinern aber die Prostatagrösse nicht und beeinflussen auch den Krankheitsprozess nicht. Zwischen den verschiedenen Alphablockern gibt es keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede, aber Differenzen bei den Nebenwirkungen. Selektive Alphablocker haben weniger Nebenwirkungen und benötigen weniger Dosisanpassungen. Die 5-alpha-Reduktase-Hemmer (Finasterid, Dutasterid) hemmen die Produktion von Dihydrotestosteron, das für die Prostatavergrösserung und die konsekutiven Symptome verantwortlich gemacht wird. Im Gegensatz zu den nur symptomatisch wirkenden Alphablockern können sie daher die Prostatagrösse und die Progression vermindern. Allerdings benötigen 5-alphaReduktase-Hemmer bis zur Beeinflussung der Beschwerden mehrere Monate. Die beiden Vertreter dieser Wirkstoffklasse haben ähnliche Nebenwirkungen, aber einen etwas unterschiedlichen Wirkmechanismus. Finasterid hemmt die 5-alphaReduktase Typ II, die primär im Genitalgewebe vorkommt, Dutasterid hingegen ebenfalls den Typ I, der auch in Leber und Haut exprimiert wird. Wenn ein Patient nicht auf die initiale Behandlung mit einem Alphablocker anspricht, ist die Dosis zu erhöhen. Führt auch
dies nicht zum Ziel oder spricht er auch nicht auf einen 5-alphaReduktase-Hemmer an, kommen ein Präparatwechsel oder eine Kombinationstherapie in Frage. Die amerikanische Urologengesellschaft empfiehlt besonders bei Patienten mit hohem Progressionsrisiko eine Kombinationsbehandlung von Alphablocker und 5-alpha-Reduktase-Hemmer. Die Evidenz zum Einsatz von Alternativmedikationen bei BPH ist begrenzt, aber optimistisch, wie die amerikanischen Autorinnen schreiben. Viele derartige Therapieoptionen sind in Studien geprüft worden, die keine konsistenten, validierten Verlaufsparameter benutzten. Am populärsten sind Sägepalmenextrakte, die in Europa sehr verbreitet zum Einsatz kommen (Tabelle). Einige Studien konnten eine Überlegenheit von Sägepalmenextrakten gegenüber Plazebo dokumentieren, eine neuere grosse Studie vermochte dies jedoch nicht zu reproduzieren. Das grosse Spektrum weiterer pflanzlicher Präparate ist deutlich schlechter dokumentiert.
Chirurgische Eingriffe
Die offene Prostatektomie, einst der Goldstandard in der BPH-
Behandlung, hat heute der transurethralen Prostataresektion
(TURP) Platz gemacht. Die TURP ist die effektivste BPH-Thera-
pie, trägt aber auch das Risiko von Blutungen, Harnwegsinfek-
ten, erektiler Dysfunktion und Inkontinenz, weshalb manche
Patienten den Eingriff so lange hinauszögern wollen, bis die
Symptome anders nicht mehr befriedigend zu beherrschen
sind.
Heute sind auch vielerorts weitere, minimalinvasive Eingriffe
gebräuchlich, die weder eine Allgemein- noch eine Regional-
anästhesie erfordern und sogar ambulant durchgeführt werden
können. Prinzip ist die lokalisierte Zufuhr von Wärme, die zu
umschriebenen Hitzenekrosen führt, die dann resorbiert wer-
den. Sie gelten allgemein als effektiver als die Pharmakothe-
rapie aber – bei weniger Nebenwirkungen – als weniger wirk-
sam als die TURP.
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Steff Dendardo, Pamela Dull: Caring for patients who have benign prostatic hyperplasia. CME Bulletin Vol 6, No 4, June 2007. Das Fortbildungsmodul ist im Original einsehbar unter: www.aafp.org/online/en/home/cme/selfstudy/cmebulletin/bph.html
Interessenkonflikte: keine deklariert
Halid Bas
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