Transkript
STUDIE
Reanimation für Kinder
Merksätze
Können schon Kinder effektive Thoraxkompressionen durchführen?
In einer Beobachtungsstudie wurde untersucht, ab welchem Alter Schulkinder eine suffiziente Herzdruckmassage durchführen können.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Wiederbelebungsmassnahmen sollten schon in der Schule vermittelt werden, weil Kinder leicht zu motivieren sind, rasch lernen und die vermittelten Fertigkeiten gut behalten. Nach Pionierarbeiten in Norwegen wurden in verschiedenen Ländern entsprechende Trainingsprogramme eingeführt. Dabei wird der Lernstoff entsprechend der kognitiven und psychomotorischen Entwicklung der Kinder nach und nach vermittelt. In Grossbritannien und Nordirland hat sich ein von der British Heart Foundation entwickeltes Trainingsprogramm etabliert («Heartstart UK»), das vorsieht, elfjährigen Schülern die Technik der Herzdruckmassage zu vermitteln.
Studiendesign An der Studie nahmen 157 Kinder aus vier Schulen in Cardiff/Wales teil, die zwischen 9 und 14 Jahre alt waren und Interesse am Heartstart-UK-Trainingsprogramm geäussert hatten. Nach entsprechendem Einverständnis durch Eltern und Kinder wurden Gewicht und Grösse der Kinder sowie Geschlecht und Geburtsdatum der jungen Teilnehmer dokumentiert. Die Schüler wurden in drei Altersgruppen eingeteilt: 9- und 10Jährige, 11- und 12-Jährige, 13- und 14Jährige.
Die praktische Durchführung der Herzdruckmassage lernten und übten die Schülerinnen und Schüler an einer Puppe (Trainingsdummy «Laerdal Little Anne»). Jedes Kind nahm an einer 20minütigen Trainingseinheit teil, wobei sich die Lerngruppe aus vier Schülern und einem Lehrer zusammensetzte und jedem ein eigener Dummy zur Verfügung stand. Innerhalb einer Stunde nach dem Training wurde überprüft, wie effektiv die Kinder eine Herzdruckmassage verabreichen konnten. Dazu führte jedes Kind an einem speziellen Dummy (Laerdal Resusci Anne SkillReporter), der die Grösse eines Erwachsenen hatte, drei Minuten lang kontinuierlich Thoraxkompressionen durch. Aufgezeichnet wurden Kompressionsrate, Kompressionstiefe und Prozentsatz der Kompressionen, die bei korrekter Handposition erfolgten. Als korrekt wurden eine Kompressionstiefe von 38 bis 51 mm und eine Kompressionsrate von 90 bis 110 pro Minute definiert.
Ergebnisse Mit zunehmendem Alter der Kinder stiegen auch Körpergrösse und -gewicht kontinuierlich an. Alle Schüler führten kontinuierliche Thoraxkompressionen über einen Zeitraum von drei Minuten durch. Kompressionsrate: Es gab keinen Zusammenhang zwischen durchschnittlicher Kompressionsrate und Alter, Geschlecht, Körpergrösse oder Körpergewicht der Kinder. Die durchschnittliche Kompressionsrate stieg von der ersten bis zur dritten Minute der Herzdruckmassage in allen Altersgruppen an.
■ 13- bis 14-jährige Schulkinder konnten Thoraxkompressionen so effektiv durchführen wie Erwachsene in vergleichbaren Studien.
■ Jüngere Kinder hatten zwar noch nicht die Kraft, den Brustkorb ausreichend zu komprimieren, doch sie lernten die Theorie der Technik genauso gut wie ältere Kinder.
Kompressionstiefe: Von den 9- und 10Jährigen konnte kein Teilnehmer eine adäquate Kompressionstiefe erreichen, von den 11- und 12-Jährigen immerhin 19 Prozent, von den 13- und 14-Jährigen sogar 45 Prozent. Die Kompressionstiefe wies eine signifikante Assoziation zu Alter, Gewicht und Grösse der Schüler auf. Die durchschnittliche Kompressionstiefe nahm in allen Altersgruppen von der ersten bis zur dritten Minute der Herzdruckmassage ab, während die Kompressionsrate anstieg. Handposition: Zwischen dem Alter der Schüler und dem Prozentsatz der Kompressionen, die bei korrekter Handposition durchgeführt wurden, gab es keinen Zusammenhang. Eine korrekte Handposition bei 80 bis 100 Prozent der Kompressionen wurde von 58 Prozent der 9und 10-Jährigen, von 46 Prozent der 11und 12-Jährigen und von 52 Prozent der 13- und 14-Jährigen eingehalten.
Diskussion Kein Kind der Altersgruppe 9 bis 10 Jahre und nur 19 Prozent der 11- bis 12-Jährigen waren kräftig genug, um bei einer simulierten kardiopulmonalen Wiederbelebung bei einem Dummy von Erwachsenengrösse eine ausreichende Kompressionstiefe zu erreichen. Dagegen konnten 45 Prozent der 13- und 14Jährigen für eine adäquate Kompressionstiefe sorgen. Diese Erfolgsrate ist derjenigen vergleichbar, die von Erwachsenen in entsprechenden Studien er-
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reicht wurde. Die Kompressionstiefe nahm mit zunehmender Dauer der Herzdruckmassage ab, ein Effekt, der in früheren Studien mit Erwachsenen ebenfalls beobachtet werden konnte. Die vorliegende Studie weist einige Limitationen auf. So kann ein Dummy einen geringeren oder grösseren Widerstand als ein echter Notfallpatient bieten. Darüber hinaus können emotionale Faktoren bei einer realen Reanimation die Leistung des Helfers beeinträchtigen. Die Qualität der Kompressionen wurde in der vorliegenden Studie nur über drei Minuten aufgezeichnet. Ausserdem ist zu bedenken, dass Thoraxkompressionen, die im Wechsel mit einer Beatmung durchgeführt werden, möglicherweise weniger präzise sind als kontinuierliche Kompressionen.
Fazit
In dieser Studie wandten neun- und
zehnjährige Kinder die korrekte Hand-
position an und verabreichten dieselbe
Kompressionsrate wie ältere Kinder.
Zwar waren sie noch nicht dazu in der
Lage, den Thorax ausreichend zu kom-
primieren, doch erlernten sie die Me-
thode der Herzdruckmassage ebenso
wie ältere Schüler. Durch ein entspre-
chendes Trainingsprogramm kann man
schon jüngeren Kindern Wissen ver-
mitteln, das sie später, wenn sie körper-
lich entsprechend entwickelt sind,
nutzen können. Ausserdem könnten
schon jüngere Kinder einen Erwach-
senen zu einer Herzdruckmassage an-
leiten oder einen Thorax, der weniger
Widerstand bietet als derjenige des
Dummys, adäquat komprimieren. Wird
mit dem Training schon bei jüngeren
Kindern begonnen, kann das Wissen in
der Schule wiederholt werden, was zu
einem besseren und nachhaltigeren
Lernerfolg führen dürfte.
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I. Jones (Prehospital Emergency Research Unit, Welsh Ambulance Services, NHS Trust/Cardiff University, Wales School of Medicine, Cardiff) et al.: At what age can schoolchildren provide effective chest compressions? British Medical Journal 2007; 334: 1201–1203.
Interessenkonflikte: Keine deklariert.
Andrea Wülker