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Titel
Der Segen des Alters
Untertitel
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Lead
Man möchte nicht wieder jung sein. Was den jungen Kollegen heutzutage zugemutet wird, ist hässlich. Mit der Verlängerung des Zulassungsstopps wird ihnen gezeigt, dass man sie eigentlich nicht will. Und dass unser ehemals freier Beruf auf das Unschönste reglementiert wird. Wir Älteren haben so wieder mal gezeigt bekommen, dass man sich auf Versprechen von Politikern nie verlassen sollte. Maximal fünf Jahre, hiess es im Jahr 2002.
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Rubriken — ARSENICUM
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13448
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Der Segen des Alters

arsenicum
Man möchte nicht wieder jung sein. Was den jungen Kollegen heutzutage zugemutet wird, ist hässlich. Mit der Verlängerung des Zulassungsstopps wird ihnen gezeigt, dass man sie eigentlich nicht will. Und dass unser ehemals freier Beruf auf das Unschönste reglementiert wird. Wir Älteren haben so wieder mal gezeigt bekommen, dass man sich auf Versprechen von Politikern nie verlassen sollte. Maximal fünf Jahre, hiess es im Jahr 2002. In unserer Region, die viele ländliche Gegenden aufweist, sind wir alles wackere, altgediente Grundversorger, die in Notfalldiensten, von denen wir viel zu viele machen müssen, kaum wissen, wo uns der Kopf steht. Stets ist die Praxisagenda übervoll. Wir haben glücklicherweise rundherum viele wirklich ausgezeichnete Apotheken, in denen sehr gut beraten wird, sodass uns die Hypochonder weniger nerven. Aber es gibt immer noch viel zu viel Arbeit. Wir wären daher froh für ein bisschen Unterstützung durch junge Kollegen. Von Ärzteschwemme kann bei uns keine Rede sein, sondern eher von Ärztemangel. Aber der Kanton sieht das anders. Und so werkeln wir Alten rund um die Uhr weiter, bis wir eines Tages mit einem Herzinfarkt mitten in der Sprechstunde umfallen, wie es kürzlich einem Kollegen passierte. «Ich verstehe Sie nicht», meinte kürzlich ein Patient, dessen Nasenbluten ich notfallmässig tamponiert hatte und warf mir meine Rechnung auf den Tisch, «für so einen lächerlich niedrigen Lohn würde ich kein WC reparieren! Und von ihnen erwartet man, dass sie die Verantwortung für die Gesundheit von Menschen übernehmen!» Nun, das wollen immer weniger Leute. Dabei benötigen es immer mehr. Haben Sie in letzter Zeit einmal versucht, einen Patienten zum Psychiater zu überweisen? Ist es Ihnen gelungen? Ich schaffe es selten, denn unsere niedergelassenen psychiatrischen Kollegen sind – kaum haben sie ihre Praxis eröffnet – schon wieder ausgebucht. Und im Spital klagen sie, dass sie vier Stellen nicht besetzen konnten. «Wenn sie nur Deutsch radebrechen können, dann nehmen wir sie!», seufzte der Chefarzt Psychiatrie auf dem Ärzte-Weihnachtsapéro. Wobei er das Problem hat, dass seine Assistenzärzte besser Deutsch reden als

wir, denn es sind alles Deutsche. Die reden so schnell, dass wir sie kaum verstehen, wenn wir uns nicht sehr konzentrieren. Und sie verstehen uns nicht. Einer meiner Patienten, der mitten in einer Kampfscheidung steckt und an seiner stressigen Arbeitsstelle einen cholerischen Ausbruch hatte, suchte Zuspruch, Rat und Trost beim Psychiater in der Poliklinik. Erzählte diesem, dass er «verruckt» geworden sei. Daraufhin fragte ihn der deutsche Seelendoktor, wie sich denn diese Verrücktheit gezeigt habe, ob er Stimmen gehört oder Wesen gesehen habe, die nicht existieren. Der Patient erläuterte dann, er sei «hässig» geworden, was der Deutsche mit «gehässig» verwechselte. Daraufhin meinte der Patient, es sei «genug Heu dunde gewesen und es habe ihm den Nuggi uusegejaggt», worauf der junge Kollege völlig ratlos war. Am Apéro sprach ich mit ihm. Betätigte mich als «cultural gap bridger». Er genoss das «entlastende Gespräch», erzählte vom Klinikalltag, in dem 50 Stunden immer noch nicht die Norm sind und von der Völkerwanderung, die junge Ärztinnen und Ärzte heutzutage machen müssen. Die Deutschen gehen in die Schweiz, die Polen und Tschechen nach Deutschland, die Russen nach Tschechien und Polen und deren Stellen füllen junge Afrikaner aus, die in ihrem Land bitter nötig wären und dort fehlen. Und mit den Kommunikationsschwierigkeiten sinkt die Qualität der Anamnese. Staunend hörte ich, was Bologna bedeutet und schauderte, als mir der junge Kollege das Leben zwischen Administration und Qualitätskontrollen schilderte, plus die mangelnde Wertschätzung, die schon in meiner medizinischen Jugend ärgerlich war. «Aber in wenigen Jahren ist der Zulassungsstopp aufgehoben, und dann gehe ich in die freie Praxis!», strahlte er. Milde lächelte ich und entschloss mich, dem jungen Mann vor Weihnachten nicht seine Illusionen zu rauben …

46 ARS MEDICI 2 ■ 2008