Transkript
FORTBILDUNG
Säurehemmung, Gastroparese und funktionelle Störungen
Am Jahreskongress des American College of
Gastroenterology (ACG) in Philadelphia wur-
den neue Forschungsergebnisse vorgestellt,
die auch für die Praxis Bedeutung haben.
MEDSCAPE
Funduspolypen unter Langzeit-Säurehemmung Protonenpumpenhemmer (PPI) haben die Behandlung säurebedingter Erkrankungen aufs Gründlichste revolutioniert. Die äusserst effektive Wirkstoffklasse sieht sich aber wegen Bedenken etwa zu erhöhten Risiken für Hüftfrakturen, enterischen Infektionen oder Pneumonien auch immer wieder Fragen zu ihrer Langzeitsicherheit ausgesetzt. Ein periodisch hochgespültes Fragezeichen ist die Entdeckung von Funduspolypen bei Patienten unter Langzeit-PPI-Behandlung. Derzeit betrachten die meisten Experten diese Veränderungen als duchgehend benigne und sehen sie nicht als Anlass zu einer Therapieänderung, einige äussern aber auch Besorgnis. Eine neue Kohortenstudie hat sich dem Problem bei Patienten mit familiärer adenomatöser Polypose angenähert und fand bei Individuen mit mehr als 30 Polypen zwar eine zehnmal höhere Häufigkeit von Dysplasien in Fundusdrüsen, die jedoch mit der Einnahme von Säurehemmern (PPI und H2-Antagonisten) negativ assoziiert war. Wieweit sich solche Beobachtungen auf Individuen ohne familiäre Belastung übertragen lassen, muss offen bleiben, sie bieten aber einige Beruhigung.
Merksätze
■ Eine Kohortenstudie bei Patienten mit familiärer adenomatöser Polypose fand bei Individuen mit mehr als 30 Polypen zwar eine zehnmal höhere Häufigkeit von Dysplasien in Fundusdrüsen, die jedoch negativ assoziiert war mit der Einnahme von Säurehemmern.
■ Eine Studie mit 50 Patienten ergab, dass ein hoch reichender Reflux am ehesten Sodbrennen verursacht, und zwar sowohl bei erosiver wie nicht erosiver Ösophagitis als auch bei funktionellem Sodbrennen.
■ Aufgrund weiterer, neuer Studien darf man zurzeit davon ausgehen, dass die PPI-Dosis für schwergewichtige Patienten nicht angepasst werden muss.
■ Bei nichtselektionierten Patienten mit nicht kardialen Brustschmerzen hatte eine deutliche Mehrheit Anzeichen für eine GERD und dürfte auf einen adäquaten Behandlungsversuch mit Säureunterdrückung gut ansprechen.
■ Bei funktioneller Dyspepsie scheint eine tatsächlich nachweisbare verlangsamte Magenentleerung mit den geklagten Symptomen nicht in enger Verbindung zu stehen.
■ Patienten mit funktioneller Dyspepsie fürchten in hohem Masse eine Chronizität der Symptome und ein erhöhtes Krebs- und Ulkusrisiko.
Endoskopische Plicatio bei GERD Die anfängliche Begeisterung für endoskopische Prozeduren zur GERD-Behandlung ist angesichts beschränkter Erfolge einer gewissen Ernüchterung gewichen und beschränkt sich heute in den USA auf die selten durchgeführte Radiofrequenzablation sowie die endoskopische Plicatio. Zu Letzterer liegen nun die Fünf-Jahres-Ergebnisse hinsichtlich des längerfristigen Nutzens vor. 28 von 64 Patienten konnten bisher nachbeobachtet werden, und 62 Prozent benötigten weiterhin keine PPITherapie. Wichtigster Punkt dieser kleinen, nicht kontrollierten
Studie ist, dass die Operationsergebnisse hinsichtlich PPI-Bedarf und Lebensqualität zwischen drei und fünf Jahren nach dem endoskopischen Eingriff stabil blieben.
Sodbrennen und Refluxhöhe Gemeinhin werden GERD-Patienten in zwei Gruppen eingeteilt, diejenigen mit erosiver Ösophagitis und diejenigen mit nicht erosiver Ösophagitis. Dies erscheint trivial, wirft aber doch die Frage nach einer unterschiedlichen Pathogenese auf.
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Daneben scheint es aber auch noch eine dritte Gruppe zu geben: Patienten mit chronischem Sodbrennen, die auf PPI nur minimal reagieren und eine normale Endoskopie sowie normale pH-Monitoringwerte haben. Hier spricht man von «funktionellem» Sodbrennen und nimmt an, dass ihm keine GERD zugrunde liegt. Eine Studie mit 50 Patienten aus allen drei Gruppen untersuchte den Reflux auf unterschiedlichen Höhen über dem unteren Ösophagussphinkter und fand, dass ein hoch reichender (≥ 11 cm über Sphinkter) Reflux am ehesten Sodbrennen verursachte, und zwar sowohl bei den Ösphagitisformen wie auch bei funktionellem Sodbrennen. Möglicherweise gibt es Patienten, die auf Speiseröhrendehnung, Muskelkontraktion oder -zug besonders empfindlich reagieren, wobei die Höhe des nur gelegentlich auftretenden, mit normalen Mitteln nicht nachweisbaren Reflux als Trigger dient.
Reflux und persistierender Husten Patienten mit chronischem Husten werden heute auch oft auf GERD abgeklärt. Dies erfolgt gewöhnlich zunächst mittels eines empirischen Therapieversuchs mit hochdosierten PPI. Geht der Husten trotz Säureunterdrückung weiter, empfiehlt eine Mehrheit der Gastroenterologen keine weiteren Tests, während eine Minderheit für eine aggressive Abklärung mittels intraluminalen Mehrkanal-Impedanz- und -pH-Monitorings zum Ausschluss von nicht oder schwach saurem Reflux plädiert. An der ACG-Tagung wurde eine Studie vorgestellt, die die Kosteneffektivität untersuchte und für das intensive Monitoring substanzielle Kosteneinsparungen bei PPI-refraktären Patienten mit chronischem Husten fand, insbesondere wenn geeignete Kandidaten auch eine Antirefluxchirurgie erhielten. Ob dies mit dem Patientengut im Praxisalltag ebenso wäre, muss dahingestellt bleiben, da spezialisierte Zentren, an denen solche aufwändigen Abklärungen erfolgen, einen deutlich anderen Patientenmix haben.
Drahtlose pH-Messung Die ambulante pH-Messung bei Patienten mit GERD-Verdacht hat durch die neue Technologie mit Messkapseln Fortschritte gemacht. Zwei neue Studien hatten die telemetrische pH-Messung über 48 Stunden an Patienten unter PPI-Behandlung zum Gegenstand. Die Auswertung der pH-Messungen mit der drahtlosen Kapsel brachte bei 72 Prozent neue Informationen, änderte die Diagnose bei 22 Prozent und das Management (Medikation, Überweisung zur Refluxchirurgie) bei 58 Prozent. Die andere Untersuchung sah einen erstaunlich hohen Anteil von Patienten, die trotz PPI-Behandlung mit bis zu zwei Dosen täglich immer noch eine abnormale Säureexposition hatten. Gegen beide Studien lässt sich einwenden, dass sie retrospektiv waren, dass die Compliance mit der PPI-Behandlung nicht dokumentiert und der Einfluss auf den klinischen Verlauf nicht untersucht wurde. Sie geben immerhin einen Hinweis, dass bei PPI-refraktären GERD-Symptomen ein modernes 48-StundenpH-Monitoring doch weiterhelfen kann. Zwar nicht drahtlos, aber mittels eines feinen Katheters lässt sich heute auch ein sehr hoch reichender Reflux durch aeroso-
lisierte Säure im Hypopharynx messen. Dies könnte in Zukunft für die Diagnose vermuteter säurebedingter HNO-Probleme interessant werden.
Brauchen Dicke höhere PPI-Dosen? Zwischen GERD und Adipositas besteht ein bekannter Zusammenhang. Übergewichtige haben eher eine erosive Ösophagitis und eine höhere GERD-Komplikationsrate. In den gepoolten Daten zweier Studien bei 704 Patienten mit nicht erosiver Refluxkrankheit, die täglich einmal 20 oder 40 mg Esomeprazol (Nexium®) oder Plazebo erhielten, wurden die Behandlungsergebnisse nach Normalgewicht, Übergewicht und Adipositas aufgeteilt. Zwischen den drei Gruppen ergaben sich keine Unterschiede hinsichtlich Schwere des Sodbrennens und Verschwinden der Symptome. Wünschenswert wären zu dieser Frage allerdings prospektive Untersuchungen. Zurzeit darf man aber doch davon ausgehen, dass die PPI-Dosis für schwergewichtige Patienten nicht angepasst werden muss. Eine weitere Post-hoc-Analyse beschäftigte sich mit dem Körpergewicht und der Abheilung einer erosiven Ösphagitis bei 560 Patienten, die entweder zu täglich 20 mg Rabeprazol (Pariet®) oder 20 mg Omeprazol (Antramups® oder Generika) über vier bis acht Wochen randomisiert worden waren. Hier erfolgte die Unterteilung in einen Body-Mass-Index (BMI) unter oder über 25 kg/m2. Bis zur beginnenden oder vollständigen Symptomlinderung ergaben sich mit Heilungsraten zwischen 88,9 und 98,6 Prozent in den beiden BMI-Kategorien keine Unterschiede. Für die Praxis heisst das, dass auch bei Übergewichtigen die PPI-Dosis nicht nach oben korrigiert werden muss. Die Entwicklung bei den PPI ist nicht abgeschlossen. Ein in Erprobung befindlicher neuer PPI (TAK-390MR) nutzt eine modifizierte Freisetzungstechnologie und soll verlängerte Plasmakonzentrationen garantieren, die die Einnahme unabhängig vom Frühstück oder einer anderen Mahlzeit machen.
Nicht kardiale Brustschmerzen Patienten mit Brustschmerzen, für die keine kardiale Ursache gefunden werden kann, werden nicht selten zur Abklärung einer «funktionellen» Störung an den Gastroenterologen weitergereicht. Solche Patienten können eine unerkannte Erkrankung kleiner Koronargefässe aufweisen, an einer Depression leiden oder ein muskuloskeletales Schmerzsyndrom haben. In einer Studie an 31 Patienten (von 138, die sich auf einer Notfallstation gemeldet hatten) wurde die Ausbeute einer gastroenterologischen endoskopischen Abklärung evaluiert. Insgesamt sahen die Autoren bei 19 Prozent endoskopisch eine Ösophagitis, und 57 Prozent hatten abnorme 24-Stunden-pH-Messwerte. Damit hatte eine deutliche Mehrheit Anzeichen für eine GERD und dürfte auf einen adäquaten Behandlungsversuch mit Säureunterdrückung gut ansprechen. Stärke dieser Studie ist, dass sie an einem nicht selektionierten Patientengut erfolgte. Bei Patienten mit nicht kardialem Brustschmerz dürfte sich ein kurzfristiger PPI-Versuch somit lohnen, auch wenn Langzeitresultate nicht vorliegen.
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Gastroparese In den meisten Fällen bleibt die Ätiologie einer verzögerten Magenentleerung unbekannt. Nach Ausschluss von Diabetes mellitus, Kollagenosen, neurologischen Störungen oder Dünndarmobstruktion bleibt eine grosse Gruppe idiopathischer Gastroparesen. 2006 war eine Studie an 62 konsekutiven Gastroparesepatienten veröffentlicht worden, von denen 89 Prozent nachweisbare Hyperkoagulabilitäts-Risikofaktoren hatten. 40 Prozent hatten zudem anamnestisch gerinnungsbedingte Erkrankungen wie tiefe Venenthrombose oder Lungenembolie durchgemacht. Am ACG-Kongress wurde ergänzend eine retrospektive Serie von 191 Patienen derselben Institution vorgestellt, von denen 74 Prozent unabhängig von früheren Gerinnungsproblemen eine Hyperkoagulabilität hatten. Noch ist nicht klar, was das zu bedeuten hat, aber die Autoren schlagen vor, bei allen Patienten mit Gastroparese auch auf den Gerinnungsstatus zu achten. Die Abklärung mit einem validierten Fragebogen ergab bei 53 Patienten, dass bei dokumentierter Gastroparese die häufigsten Symptome Nausea (43%) und Erbrechen (25%) waren. Eine Minderheit (17%) nannte Schmerzen als Hauptsymptome. Die Lebensqualität wurde besonders stark durch Erbrechen beeinträchtigt. In einer anderen Studie besserten sich die meisten Patienten unter Standardtherapie (Prokinetika, Antiemetika, Antidepressiva). Frühe Sättigung, postprandiales Völlegefühl, gespanntes Abdomen und Blähungen waren bei Nonrespondern häufigere Symptome. Die gastrische Elektrostimulation über implantierte Elektroden gehört zu den neueren Therapiemodalitäten. Sie ist bei refraktären Fällen in der Lage, die Symptome zu beeinflussen, auch wenn sie nicht zu einer rascheren Magenentleerung führt. Verschiedene neue Studien aus US-amerikanischen und westeuropäischen Zentren zeigen bei diesem schwierigen Patientengut, dass die Elektrostimulation bei idiopathischer und diabetischer Gastroparese sogar langfristig potenziell nützlich sein kann. Möglicherweise wird man zukünftig die Stimulationsresponder mittels temporärer endoskopischer Mukosaelektroden vor dem Implantateingriff erfassen können. Bei akuter idiopathischer Gastroparese besteht heute die supportive Therapie in Diätmodifikationen, Antiemetika und Prokinetika (Metoclopramid [Paspertin®, Primperan®], Erythromycin, Domperidon [Motilium®]). Sehr vorläufige Studien oder Fallbeobachtungen scheinen bei therapierefraktären Patienten auf einen Nutzen einer hochdosierten Steroidbehandlung (z.B. 2 × 4 mg Dexamethason i.v.) hinzuweisen. Hier wird man aber auf randomisierte Studien warten müssen.
So hat eine Fallkontrollstudie Hinweise gefunden auf eine gewisse familiäre Häufung von funktioneller Dyspepsie, wobei aber offenbleiben muss, ob genetische Faktoren oder gemeinsame Umweltfaktoren verantwortlich sind. In einer retrospektiven Studie mit 99 Patienten hatten 40 Prozent der Patienten mit postprandialem Beschwerdebild, 44 Prozent derjenigen mit epigastrischem Schmerzsyndrom und 38 mit chronischer idiopathischer Übelkeit eine Verzögerung im Magenentleerungsszintigramm. Die tatsächlich nachweisbare verlangsamte Magenentleerung scheint also mit den geklagten Symptomen nicht in enger Verbindung zu stehen. Eine Sicht der Betroffenen legte eine Befragung bei 297 Patienten mit den diagnostischen Kriterien für funktionelle Dyspepsie und normaler Endoskopie offen. 60 Prozent beantworteten den Fragebogen. Störendstes Symptom war der Schmerz (und nicht die mahlzeitenabhängigen Symptome), fast jeder Zweite hegte die Befürchtung, dass die Symptome nie mehr verschwinden würden, ein Drittel fürchtete wegen der Symptome ein erhöhtes Krebsrisiko, und die Hälfte glaubte an ein höheres Risiko für peptische Erkrankungen. Konsequenz für die Praxis: In der Patientenberatung ist diesen Aspekten ausführlich Rechnung zu tragen.
Rumination
Patienten, die Nahrung nach dem Essen in den Mund hinauf-
würgen und sie dann wieder verschlucken oder ausspucken,
haben mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Ruminationssyn-
drom. Die Betroffenen selbst klagen oft über wiederkehrendes
«Erbrechen», obwohl das Wiederkäuen das wirkliche Problem
ist. In einer retrospektiven Auswertung von Krankengeschich-
ten war bei den 36 neu mit Rumination diagnostizierten Pa-
tienten charakteristisch, dass sie «müheloses» Erbrechen als
Hauptbeschwerde berichteten. 90 Prozent hatten Nausea,
Bauchschmerzen und Gewichtsverlust als Begleitfaktoren. Die
grosse Mehrheit hatte keine Verzögerung der Magenentlee-
rung, bei 19 Prozent liess sie sich jedoch nachweisen. Die Pa-
tienten hatten verschiedene Behandlungen inklusive Entspan-
nungs- und Verhaltenstherapie oder Trizyklika erhalten. Innert
zwei bis acht Wochen nach Behandlungsbeginn war eine 20-
bis 50-prozentige Symptomreduktion beobachtet worden. Für
die Praxis wichtig ist die Unterscheidung einer Gastroparese
von funktionellem Erbrechen.
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Philip O. Katz: Applications of acid-suppression therapy in GERD/acid-related disorders. http://www.medscape.com/viewarticle/565395 Nicholas J. Talley: Upper GI functional and motility disorders. http://www.medscape.com/viewarticle/565390
Funktionelle Dyspepsie Patienten mit rezidivierendem epigastrischem Schmerz oder Brennen, mahlzeitenabhängigem Unbehagen (rasche Sättigung, Völlegefühl) ohne relevante abnorme Befunde in der Ösophagogastroduodeno-Endoskopie oder anderen diagnostischen Standardtests erhalten das Etikett «funktionelle Dyspepsie», das sehr viele Frage offenlässt, die die Forschung gern beantworten würde.
Interessenkonflikte: Philip O. Katz deklariert Beratertätigkeiten für die Firmen Negma Lerads, AstraZeneca, Prometheus und TAP sowie Vortragshonorare von AstraZeneca, Santarus und TAP. Nicholas J. Talley ist Berater für viele Firmen mit Interessen auf dem Gebiet der Magen-Darm-Leiden und hat Forschunsgelder von Novartis, Takeda, GlaxoSmithKline, Dynogen und Tioga erhalten.
Halid Bas
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