Transkript
FORTBILDUNG
Prostatakarzinom – wie behandeln?
US-amerikanische Urologen haben neue Guidelines vorgestellt
Nach über einem Jahrzehnt hat die American Urological Association (AUA) ihre Richtlinien zum Prostatakarzinom auf den neuesten Stand gebracht. Die wesentlichen Aspekte hat Michael S. Cockson, einer der Autoren der Guidelines, kürzlich in «Medscape» vorgestellt.
Merksätze
■ Die wesentliche Neuerung in den Richtlinien ist die Risikostratifizierung. Demnach werden die Therapieempfehlungen nach dem individuellen Risiko ausgegeben.
■ Obwohl zahlreiche Studien vorliegen, sind wichtige Fragen weiter offen. Bis heute fehlen beispielsweise direkte Vergleichsstudien zu den infrage kommenden Therapieformen.
MEDSCAPE
Richtlinien sind nur so gut wie die Qualität der verfügbaren Studien methodisch. Und, so schreibt der Autor weiter im englischen Wortlaut: «No guideline should be accepted without first examining how it was formulated.» Tatsächlich mussten sich die Autoren der Guidelines bescheiden. Zwar machten sie in ihrer ausführlichen Litarturrecherche 13 800 Artikel ausfindig, doch letztlich hielten nur 483 von ihnen den gewählten Kriterien stand. Und auch diese liessen, räumt Cockson ein, einige Wünsche offen: So fand das Panel beispielsweise nicht eine brauchbare direkte Vergleichsstudie für konkurrierende Therapieverfahren. Zudem stellten sie fest, dass einige Patientendaten mehrfach publiziert waren. Um die Lebensqualität unter den verschiedenen Behandlungsoptionen zu beurteilen, fanden sich keine validen Studien. Grundsätzlich sollte jeder Therapie des lokalisierten Prostatakarzinoms folgende Bewertung vorausgehen: Wie hoch ist die Lebenserwartung des Mannes, wie ist der allgemeine Gesundheitszustand und wie ist der Tumor charakterisiert? Dabei müsse man ins Auge fassen, dass weniger das nummerische Alter als vielmehr die Lebenserwartung ausschlaggebend ist. Selbstverständlich spielt das Alter eine Rolle: Bei hochbetagten Männern wächst das Prostatakarziom langsam und ist schliesslich selten die Todesursache. Der Gesundheitszustand spielt hinsichtlich der Lebenserwartung eine Rolle, aber auch für das Ansprechen der Therapie und die zu erwartenden Nebenwirkungen.
Eine der wichtigen Aspekte und zudem eine der entscheidenden Neuerungen ist die Risikostratifizierung zum Zeitpunkt der Diagnose (Tabelle) als Grundlage für die einzuschlagende Behandlung. Zu diesem Zweck dienen das prostataspezifische Antigen (PSA), der Gleason-Score, der über die histologische Charakteristik des Tumors Auskunft gibt, sowie die klinische Untersuchung durch digital-rektale Palpation. Allerdings räumen die Autoren ein, dass es verschiedene brauchbare und gleichwertige Wege zur Risikostratifizierung gebe. Ungeachtet der heute akzeptierten Tumorprognosefaktoren bleibt es im Einzelfall schwierig einzuschätzen, ob ein lokalisierter Tumor sich ausbreiten oder symptomlos bleiben wird.
Behandlungsoptionen Die Guidelines beschreiben im Detail die heute weithin akzeptierten Optionen. Dazu gehören als Besonderheit des Prostatakarzinoms auch Strategien, die mit der kurativen Therapie zurückhaltend sind. Der Grund hierfür ist weithin bekannt und lässt sich in einem Satz plakativ beschreiben: Viele Männer sterben mit einem Prostatakarzinom, aber nicht an ihm. Inzidenz und Mortalität unterscheiden sich also. Im Laufe des Lebens wird bei 15 bis 20 Prozent aller Männder ein Karzinom der Prostata diagnostiziert, das Sterblichkeitsrisiko beträgt allerdings nur ganze 3 Prozent. Für etliche Männer ist daher eine zunächst abwartende Haltung eine Option. Hierbei sind zwei Strategien möglich: das Watchful Waiting und die Active Surveillance. Die Begriffe sind, anders als im Sprachgebrauch gelegentlich geübt, nicht synonym. Beim Watchful Waiting wird
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PROSTATAKARZINOM – WIE BEHANDELN?
Tabelle: Risikoeinteilung
Risikograd
Gering:
PSA < 10 ng/ml und Gleason-Score < 7 und klinisches Stadium T1c oder T2a Mittel: PSA > 10 ng/ml oder Gleason-Score > 7 oder klinisches Stadium T2b
Hoch :
PSA > 20 ng/ml oder Gleason-Score 8–10 oder klinisches Stadium T2c
keine kurative Therapie angestrebt, stattdessen wird bei Bedarf eine palliative Behandlung beim lokalen oder metastatischen Fortschreiten der Erkrankung angeboten. Lokale palliative Massnahmen sind beispielsweise die transurethrale Prostataresektion oder andere Verfahren zur Behandlung einer Harnwegsobstruktion, palliativ sind auch die Hormontherapie und die Bestrahlung bei Metastasen. Die Active Surveillance (aktive Beobachtung) hingegen ist ein strenger geführtes Vorgehen mit regelmässigen Kontrollbiopsien, PSA-Bestimmung und körperlicher Untersuchung. Neben den abwartenden und auf Kontrolle setzenden Strategien gibt es die prinzipiell kurativen Verfahren: die interstitielle Brachytherapie, die externe Bestrahlung und die radikale Prostatektomie. Das Panel der amerikanischen Urologen war mehrheitlich der Auffassung, dass bei Männern, bei denen diese
Therapien nicht möglich sind oder aber abgelehnt werden, auch eine primäre Hormontherapie oder eine Antiandrogentherapie eingesetzt werden kann, um die Symptome unter Kontrolle zu bringen. Nicht bewertet wurde dereinst die Kryotherapie. Hier finden intensive Evaluationen statt, ein entsprechendes Update ist anscheinend in naher Zukunft zu erwarten. Im Folgenden sollen die Empfehlungen in Abhängigkeit vom Risikostatus skizziert werden: Patienten mit geringem Risiko: Die Empfehlungen basieren auf einem Literaturreview und einem Expertenkonsensus. Sinnvolle Behandlungsoptionen sind für diese Gruppe die interstitielle Brachytherapie, die aktive Beobachtung, die externe Strahlentherapie und die radikale Prostatektomie. Es gibt derzeit keine gesicherten Daten zur Frage, ob eine dieser Optionen prinzipiell die Nase vorn hat. Es geht also darum, die Präferenzen des Patienten und den Gesundheitszustand zu beachten. Wichtig ist die Frage, inwieweit die Harnwegsfunktion, die sexuelle Funktion und die Darmfunktion beeinträchtigt sind. Patienten, die ein Watchful Waiting präferieren, sollte gesagt werden, dass bei einer Radikaloperation die Überlebenswahrscheinlichkeit grösser ist. Basis für diese Aussage ist eine einzige randomisierte Studie. Bei Patienten, die eine aktive Beobachtung bevorzugen, sollten in regelmässigen Abständen das PSA bestimmt werden, eine rektale (digitale) Untersuchung und ein Symptomcheck durchgeführt werden. Von Zeit zu Zeit sind Biopsien angeraten. Eine Behandlung wird nach diesem Vorgehen erst begonnen, wenn sich dabei Hinweise auf eine Tumorprogression ergeben.
PSA-Verlauf – kein zuverlässiger Prädiktor
Die zeitliche Entwicklung der PSA-Werte in den ersten Jahren nach der Diagnose eines Prostatakarzinoms geben keine zuverlässigen Hinweise auf die Prognose des Patienten. Diese Erkenntnis hat die Scandinavian Prostate Cancer Group vor einigen Monaten gewonnen – nach Abschluss der Recherchen der amerikanischen Urologen übrigens. Publiziert wurde die Studie im «Journal of the National Cancer Institute» (JNCI 2007; 99: 526–532).
Weiterhin kontrovers ist die Bedeutung des PSA-Screenings. Einen Hinweis auf die Problematik geben folgende Daten: In den USA wird heute bei 17 Prozent aller Männer ein Prostatakarzinom entdeckt, fast doppelt so viele wie vor Einführung des PSA-Screenings (8,7%). Dennoch sterben heute mit 3 Prozent mehr Männer an einem Prostatakrebs als 1985; vor der Einführung des Screenings starben 2,5 Prozent aller Männer an diesem Krebsleiden. Diese Zahlen bedeuten, wie Dipen Parekh von der Universität von Texas in San Antonio in einem begleitenden Editorial klarstellt (JNCI 2007; 99: 496–497), zwar eine grobe Vereinfachung, nichtsdestotrotz haben sie das Interesse an einer aktiven Überwachung der Patienten erhöht, bei denen während des Screenings ein Tumor im Frühstadium entdeckt wird.
Auf grosses Interesse stossen deshalb die Erfahrungen der Scandinavian Prostate Cancer Group. Diese betreut seit 1989 eine Gruppe von mittlerweile 267 Männern, die sich nach der Diagnose ihres Prostatakarzinoms nicht sofort einer kurativen Therapie unterzogen. Bis Ende 2003 sind nach einer mittleren Beobachtungszeit von jetzt 8,5 Jahren 34 Patienten am Prostatakarzinom gestorben, 18 leiden an einem metastasierten Prostatakarzinom. Männer mit schnell wachsenden und deshalb tödlichen Tumoren hatten oft einen hohen PSA-Wert, der sich regelmässig innerhalb kurzer Zeit verdoppelte. Umgekehrt kann jedoch von einem hohen PSA-Wert oder einer schnellen Veränderung der PSA-Werte nicht sicher auf einen tödlichen Tumor geschlossen werden.
Der Grund ist die starke Überlappung der PSA-Kurven und der PSA-Verdopplungskurven von Männern, die später an dem Tumor sterben werden und solchen, die ihren Krebstod nicht mehr erleben, weil sie von einer anderen tödlichen Krankheit heimgesucht werden. Fazit: Eine einfache Methode, die Entwicklung von Prostatakarzinomen vorherzusagen, gibt es momentan nicht.
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FORTBILDUNG
Patienten mit mittlerem Risiko: Geeignete Therapieoptionen sind hier aktive Beobachtung, interstitielle Brachytherapie, externe Bestrahlung und Prostataoperation. Auch für diese Patientengruppe ist keine Überlegenheit eines der Verfahren nachgewiesen. Stattdessen gilt es wieder, die Situation und die Vorlieben des Patienten zu berücksichtigen. Watchfull Waiting ist einer Studie zufolge nicht so günstig wie eine Radikaloperation. Patienten, die eine Radiotherapie wählen, sollten darüber informiert werden, dass eine Kombination mit der Hormontherapie die Überlebenszeit verlängern kann. Für Patienten, die eine Active Surveillance wählen, gilt dasselbe wie für Patienten mit geringem Risiko. Patienten mit hohem Risiko: Hier sind interstitielle Brachytherapie, aktive Beobachtung, Strahlentherapie und Radikaloperation die Optionen. Die Rezidivraten sind jeweils hoch.
Aufforderung zur Studienteilnahme Zwei zusätzliche Empfehlungen sind durch Konsensus zustande gekommen. Allen Patienten sollte nach Mehrheitsauf-
fasung der Experten die Teilnahme an Studien aktiv offeriert werden, in denen neue Therapieformen, einschliesslich Kombinationsbehandlungen geprüft werden. Zudem konstatiert das Panel, dass eine primäre Homontherapie nur in Ausnahmefällen First Line indiziert ist. Eine solche Situation kann bei schlecht differenzierten Tumoren gegeben sein und grundsätzlich bei Patienten, deren Lebenserwartung zu kurz ist, um einen kurativen Therapieversuch zu starten. Die zu erwartenden Nebenwirkungen der Antiandrogentherapie sollten zudem stets im Licht bestehender Komorbiditäten bewertet werden. ■
Michael S. Cockson: The AUA Prostate cancer guidelines: what’s new? Medscape 2007. http://www.medscape.com/viewarticle/561664
Hinweis: Die vollständigen Richtlinien sind unter www.auanet.org/guidelines frei einsehbar.
Interessenlage: Der Medscape-Autor gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.
Uwe Beise
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