Transkript
FORTBILDUNG
Lipide und Diabetes mellitus
Aktuelle Fragen der Lipidtherapie (4. Teil)
Bei Risikopatienten stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob eine lipidregulierende
Merksätze
Therapie angezeigt ist, sondern vielmehr
wie stark der LDL-Cholesterinwert gesenkt
werden soll. Patienten mit Typ-2-Diabetes
profitieren davon besonders.
A . L A N K E R , E . R . C H R I ST U N D P. D I E M *
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in den Industrieländern. Bei Diabetikern ist die Morbidität und die Mortalität, bedingt durch kardiovaskuläre Erkrankungen, noch höher als bei Nichtdiabetikern. Typ-2-Diabetiker ohne vorbestehende koronare Herzkrankheit (KHK) haben das gleiche Myokardinfarktrisiko wie Nichtdiabetiker, die bereits einen Myokardinfarkt erlitten haben (1). In der UKPDS-Studie (2) liess sich durch die verbesserte Blutzuckereinstellung bei Typ-2-Diabetikern das Risiko mikrovaskulärer Komplikationen zwar senken, der Effekt auf makrovaskuläre Ereignisse war jedoch deutlich geringer. Neben einer guten Blutzuckereinstellung ist bei Diabetikern deshalb auch die Behandlung der kardiovaskukären Risikofaktoren von grosser Wichtigkeit. Der Nutzen der Statintherapie bei Patienten mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ist unumstritten, und insbesondere bei Diabetikern mit koronarer Herzerkrankung führt eine Senkung des LDL-Cholesterins zu einer deutlichen Reduktion des kardiovaskulären Risikos (3–5).
LDL-Cholesterinsenkung – ist und bleibt wichtig Bei Risikopatienten stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob eine lipidregulierende Therapie angezeigt ist, sondern vielmehr wie stark der LDL-Cholesterinwert gesenkt werden soll (Tabelle). Insgesamt ist ein Vergleich der zahlreich publizierten Studien schwierig. Einerseits weil zum Teil unterschiedliche
* Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Inselspital Bern
■ Gemäss amerikanischen und europäischen Guidelines liegt das Behandlungsziel des LDL-Cholesterins bei diabetischen Patienten ohne koronare Herzerkrankung aktuell im Bereich von 2,5 bis 2,6 mmol/l.
■ Ob eine weitere LDL-Senkung einen zusätzlichen Nutzen bringt und ob vor allem die koronar bedingte Mortalität statistisch signifikant gesenkt werden kann, muss noch weiter untersucht werden.
■ Tatsache ist, dass das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse mit einer Statintherapie gemäss aktuellen Daten um zirka 30 Prozent reduziert werden kann. Ein Restrisiko bleibt bestehen.
■ Eine Therapie mit Fibraten führt zu einer durchschnittlichen Risikoreduktion von 16 Prozent.
■ Es zeigt sich, dass neben einer LDL-Senkung bei diabetischen Patienten eine Erhöhung des HDL-Cholesterins zu einer weiteren Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse führen könnte. Allerdings sind kombinierte Therapien mit den heute verfügbaren Medikamenten aufgrund ihrer möglichen Toxizität noch nicht etabliert.
Endpunkte untersucht wurden und andererseits weil sich die Studien bezüglich Design stark unterscheiden. Guidelines zur Primärprävention (American Diabetes Association, Joint European Societies und National Cholesterol Education Program) (6–8) empfehlen für Diabetiker ohne kardiovaskuläre Erkrankung als Behandlungsziel ein LDL-Cholesterin von 2,5 bis 2,6 mmol/l. Da das LDL-Cholesterin einerseits Hauptrisikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse ist und andererseits mit Statinen gut behandelt werden kann, ist es relevant, ob eine maximale Senkung auch einen zusätzlichen Nutzen bringt. Diesbezüglich hat die CARDS-Studie (9) gezeigt, dass bei Diabetikern ohne bekannte kardiovaskuläre Erkrankung und mit LDL-Werten unter 4,14 mmol/l eine LDL-Senkung zu einer Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse führt. Weiter profitieren gemäss
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LIPIDE UND DIABETES MELLITUS
Tabelle: Guidelines zur Lipidtherapie bei Diabetikern ohne bekannte KHK
European Joint Societies
American Diabetes Association
Adult Treatment Pannel III
LDL-Cholesterin (mmol/l) 2,5 2,6 *
2,6*
*bei Hochrisikopatienten mit KHK wird ein Zielwert von 1,8 diskutiert
HDL-Cholesterin (mmol/l)
kein Zielwert
1,15 bei Männern 1,4 bei Frauen
1,15 bei Männern 1,5 bei Frauen
Triglyzeride (mmol/l) kein Zielwert 1,7
1,7
einer von Costa et al. durchgeführten Metaanalyse (10) Diabetiker sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention von einer LDL-Senkung stärker als Nichtdiabetiker. Bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit führt eine maximale LDL-Senkung (durchschnittlich um 2 mmol/l) zu einer deutlichen Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse (11). Das Gleiche gilt für Diabetiker mit einer koronaren Herzerkrankung (12). Eine maximale LDL-Senkung mit einer Dosis von 80 mg Atorvastatin (Sortis®) hat in beiden oben erwähnten Studien (11, 12) zu einer Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse geführt. Der harte Endpunkt Gesamtmortalität hat allerdings nicht abgenommen. Zwar war die Mortalität bedingt durch kardiovaskuläre Ereignisse geringer (allerdings statistisch nicht signifikant), dafür hat die Mortalität bedingt durch nicht kardiovaskuläre Ereignisse leicht zugenommen. Wie diese Zunahme entsteht, ist aktuell noch unklar. Bis die Wirksamkeit einer hoch dosierten Statintherapie mit dem Ziel einer maximalen LDL-Senkung bei Diabetikern nicht besser belegt und die Ursachen der leichten Zunahme der nicht durch kardiovaskuläre Ereignisse bedingten Mortalität geklärt worden sind, sollte eine aggressive LDL-Senkung auf zum Beispiel 1,8 mmol/l noch kritisch hinterfragt werden.
HDL-Cholesterin – die Bedeutung nimmt zu Wie oben erwähnte Studien gezeigt haben, sind mit den Statinen äusserst wirkungsvolle Medikamente zur Senkung des atherogenen LDL-Cholesterins entwickelt worden. Die meisten Statinstudien haben aber maximal eine 25- bis 35-prozentige Senkung der Morbidität beziehungsweise Mortalität ergeben. Zusätzliche Therapien zur Erhöhung der klinischen Wirksamkeit der Lipidmodulation sind demzufolge notwendig. Epidemiologisch spielt das HDL-Cholesterin eine praktisch ebenso bedeutende Rolle wie das LDL-Cholesterin. Gerade bei Diabetikern ist die Dyslipidämie gekennzeichnet durch eine Erhöhung der Triglyzeride mit tiefem HDL-Cholesterin und nur geringfügiger Erhöhung des LDL-Cholesterins (13). Eine Erhöhung des HDL-Cholesterins lässt sich durch Änderung des Lifestyles (vermehrte körperliche Aktivität, mässiger
Alkoholkonsum, Konsum von Omega-3-Fettsäuren) und durch Medikamente (Fibrate, Niacin und Cannabinoid-Rezeptor-1Blocker) erzielen. In der VA-HIT-Studie (14) wurde gezeigt, dass bei Männern mit einer koronaren Herzkrankheit, tiefem HDL und einem LDL von 3,6 mmol/l oder kleiner, eine HDLErhöhung mit Gemfibrozil (Gevilon®) – auch ohne Senkung des LDL – zu einer signifikanten Reduktion der kombinierten kardiovaskulären Ereignisse führt. Die Subgruppenanalyse der VA-HIT (15), die FIELD-Studie (16) und die von Allemann et al. durchgeführte Metaanalyse (17) zeigten bei Diabetikern einen positiven Effekt der Fibrate auf die Anzahl von kardiovaskulären Ereignissen. Bis anhin konnte allerdings im Gegensatz zur Statintherapie in keiner Fibratstudie eine Senkung der Mortalität bedingt durch kardiovaskuläre Ereignisse erreicht werden. In einer von Derosa et al. (18) durchgeführten Studie konnte gezeigt werden, dass eine Kombinationstherapie aus Fluvastatin (Lescol®) und Fenofibrat (Lipanthyl®) bezüglich LDL-Senkung und HDL-Anstieg wirksamer ist als eine Monotherapie mit Fluvastatin. Bei Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit, normalem LDL und tiefem HDL führt eine Therapie mit Niacin (Niaspan®) und Simvastatin (Zocor® oder Generika) zu einer Besserung der Koronarstenose (19). Der klinische und angiografisch messbare Benefit war in der Kombinationsbehandlung grösser als aufgrund einer alleinigen Statintherapie zu erwarten wäre. Dies sind Hinweise dafür, dass eine maximale Risikoreduktion nur bei gleichzeitiger Therapie des LDLund des HDL-Cholesterins erreicht werden kann. Kombinationstherapien aus Statinen einerseits und Fibraten oder Niacin andererseits sind allerdings aufgrund einer möglicherweise erhöhten Toxizität (Myalgie, Myositis, Myopathie bzw. Rhabdomyolyse) keineswegs etabliert.
Diabetes mellitus – ein multifaktorieller Therapieansatz Die Behandlung des Diabetes hat sich in den letzten Jahren aufgrund der oben erwähnten Erkenntnisse stark gewandelt. Stand früher vor allem eine gute Blutzuckerkontrolle im Vordergrund so wird heute ein multifaktorieller Therapieansatz mit Kontrolle
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FORTBILDUNG
aller kardiovaskulären Risikofaktoren angestrebt. Bei Typ-2-
Diabetikern führt eine gute Blutzuckereinstellung mit Behand-
lung sowohl der kardiovaskulären Risikofaktoren (Dyslipid-
ämie, arterielle Hypertonie) als auch der Mikroalbuminurie zu
einer Reduktion der kardiovaskulären und mikrovaskulären
Ereignisse von zirka 50 Prozent (20).
■
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Peter Diem
Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung Inselspital Bern 3010 Bern
E-Mail: peter.diem@insel.ch
Interessenlage: Die Beiträge dieser Serie entstehen mit Unterstützung der Firma Pfizer AG.
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