Transkript
Editorial
Neue Medikamente haben in den letzten Jahren nicht nur Freude bereitet – weder den Aktienbesitzern noch den Ärzten und Gesundheitsbehörden und auch nicht allen Patienten. Manche sind vermutlich sogar daran gestorben. Was die renommierte Zeitschrift «The Lancet» als «Serie verhütbarer Medikamentenkatastrophen» bezeichnet, ist in hohem Mass an das Konzept der Blockbuster, der Präparate mit Milliardenumsätzen, geknüpft. Weite Bereiche der pharmazeutischen Forschung wurden in den letzten beiden Dekaden dieser Geschäftsmaxime untergeordnet.
ganz freiwillig noch freischwebend zustande kommt. Die bisherigen Wachstumsraten im Pharmabereich dürften sich im Clinch mit denjenigen, die die Medikamente bezahlen, schwerlich
Eine neue Richtung für «Big Pharma»?
Der ganze medizinisch-pharmazeutische Komplex hat hierbei eifrig mitgemacht, beschleunigte Zulassungsverfahren, schmächtige Surrogatmarker, unanständig zusammengesetzte Studienendpunkte und so weiter akzeptiert. Und sich bei der Erfassung wirklich relevanter Eckdaten wie Morbidität, Mortalität, unerwünschte Wirkungen oft auf später vertrösten lassen, bis die ganz grossen Umsätze weitgehend getätigt waren. Weil dies nicht immer gut ging, hat sich weitherum eine gewisse Malaise breit gemacht. Zulassungsbehörden, etwa die amerikanische, wollen zukünftig etwas strenger hinsehen, staatliche Gesundheitssysteme, etwa das britische, möchten künftig für Neues nur dann zahlen, wenn es erwiesenermassen wirkt, und grosse Pharmaunternehmen treffen Anstalten, die Steuerung ihrer Forschung wieder eher den Forschungs- als den Marketingfachleuten zu überlassen. Dies sind ermutigende Anzeichen für einen gewissen Gesinnungswandel, der weder
aufrechterhalten lassen. In durchaus wichtigen Bereichen sind die echten Innovationen immer dünner gesät und die Entwicklungspipelines alles andere als prall gefüllt. Offenbar hat die wachstumsgetriebene Atemlosigkeit hier zu einer Austrocknung geführt. Gefragt wäre demgegenüber eine Spitzenforschung mit weitem Horizont auf der Basis langfristiger Investitionen. Die ist allerdings mit dem heutigen Patentschutz nicht zu haben, denn er fördert allzu häufig die Entwicklung teurer Medikamente mit geringer Wirksamkeit, um mit dem raschen Gewinn weitere ähnliche Entwicklungen zu finanzieren. Aber wie erklären wir dem Publikum, dass Medikamente vielleicht ein ebenso langes Copyright haben sollten wie Romane oder Lieder, nachdem es erst kürzlich mühsam gelernt hat, dass Generika etwas Gutes sind?
Halid Bas
ARS MEDICI 1 ■ 2008 1