Transkript
COPD-Studien: immer gut für Überraschungen
Was haben wir aus grossen Medikamentenstudien gelernt?
FORTBILDUNG
Während der letzten zehn Jahre wurden zahlreiche grosse Studien zur Erforschung der COPD
Merksätze
und ihrer Behandlungsmöglichkeiten durch-
geführt. In ihrem Review diskutieren die Auto-
ren einige wichtige Veränderungen, die sich
daraus für das Therapiemanagement ergeben
haben.
THE LANCET
Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist eine heterogene Erkrankung, bei der behandlungsbedingte Veränderungen oft nur langsam vor sich gehen. Exazerbationen treten nicht in regelmässigen Intervallen und nicht bei allen Patienten auf. Um Ereignisse und Behandlungserfolge angemessen untersuchen zu können, sind daher gross angelegte Studien mit einem ausreichend langen Zeitraum und ausreichend vielen Patienten erforderlich. Randomisierte Studien liefern die beste Evidenz zur Wirksamkeit verschiedener Therapieoptionen. Die Resultate können jedoch durch Variieren der Einschlusskriterien oder durch Ausscheiden von Studienteilnehmern beeinflusst werden. Lungenfunktionstests sind die Eckpfeiler zur Untersuchung der Wirksamkeit von Medikamenten. Inzwischen werden aber auch die Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands sowie die Reduzierung von Exazerbationen und Krankenhauseinweisungen als wichtige Behandlungserfolge angesehen.
Grosse Studien zur COPD Fast alle Studien der letzten zehn Jahre wurden durch die Gesundheitsindustrie gesponsert oder mit nur geringer staatlicher Unterstützung durchgeführt. Die ersten Studien, in denen der klinische Verlauf der COPD erforscht wurde, waren jedoch ausschliesslich staatlich finanziert. In der bahnbrechenden Studie von Fletcher, die vom British Medical Research Council (MRC) unterstützt wurde, überprüften die Wissenschaftler an 792 bri-
■ Die wichtigste Massnahme bei COPD ist die Einstellung des Rauchens.
■ Die medikamentöse Behandlung verbessert die körperliche Leistungsfähigkeit eher durch die Vergrösserung der Lungenkapazität als durch die Änderung des exspiratorischen Atemflusses.
■ Kombinationen mehrerer Bronchodilatatoren oder mit Kortikosteroiden wirken meist besser als die Einzelmedikamente.
■ Lang wirkende Medikamente sind kurz wirkenden vorzuziehen, da sie nicht nur die Lungenfunktion, sondern auch den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern.
tischen Männern die Hypothese, dass Patienten mit Husten und Sputumauswurf einen schwereren Krankheitsverlauf haben als Patienten ohne diese Symptome. Das unerwartete Ergebnis, dass vor allem das Ausmass der Atemwegsobstruktion die Progression bestimmt, hat die Definition der COPD beeinflusst und zu einer klaren Entscheidung für die Spirometrie als wichtigstes Instrument in der Diagnose geführt. Die vom US National Heart, Lung and Blood Institute (NHLBI) unterstützte Lung Health Study bewies 1994 an 6000 nordamerikanischen Rauchern mit leichter COPD, dass die Einstellung des Rauchens die Lungenfunktion verbessert und den Krankheitsverlauf verlangsamt. Nach 1997 wurden zahlreiche grosse Studien zu folgenden Fragestellungen durchgeführt: ■ Reduzieren inhalative Kortikosteroide die Verminderungsrate
des forcierten Einsekundenvolumens (FEV1)? (1999–2000) ■ Kann ein lang wirkender Bronchodilatator Endpunkte mo-
difizieren, die üblicherweise nicht mit Bronchodilatation assoziiert sind? (2002–2003) ■ Hat die Kombination eines inhalativen Kortikosteroids mit einem lang wirkenden Betaagonisten einen klinischen Nutzen? (2003–2007)
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FORTBILDUNG
■ Verbessert eine Phosphodiesterase-4-Hemmung Lungenfunktion und klinische Ergebnisse? (2005–2007)
■ Reduziert das Antioxidans Acetylcystein (Fluimucil®, Solmucol® oder Generika) die Verminderungsrate des FEV1? (2005)
Studiendesign und Ergebnisse Ergebnisse von COPD-Studien können durch zahlreiche Gestaltungsfaktoren beeinflusst werden. Dazu einige Beispiele: ■ Eine unterschiedliche Definition der Bronchodilatatoren-
reversibilität in Europa und in den USA führte zur unterschiedlichen Abgrenzung von Asthma- und COPD-Patienten und somit zu verschiedenen Studienergebnissen bei der Prüfung des gleichen Medikaments unter ähnlichen Studienbedingungen. (Kriterien der European Respiratory Society: Veränderung des FEV1 um mehr als 9 Prozent des für diese Person prognostizierten Werts. Kriterien der American Thoracic Society und GOLD-Kriterien: eine Veränderung von mehr als 12% des FEV1-Ausgangswerts, die eine absolute Veränderung von 200 ml umfasst.) ■ Das Ausscheiden von Patienten aus einer Studie verändert Anzahl und Charakteristika der verbleibenden behandelten Patienten sowie der Kontrollgruppen. ■ Zur Durchführung einer klinischen Studie zu COPD werden gezielt Patienten ausgewählt, an denen eine Hypothese bestmöglich überprüft werden kann. Patienten mit schweren Komorbiditäten oder fortgeschrittener Erkrankung werden dabei oft ausgeschlossen.
Ergebnisse aus klinischen Studien Bei klinischen Studien werden zuvor primäre Endpunkte definiert und zusätzlich meist eine Reihe von Sekundärhypothesen geprüft. Die Resultate haben substanzielle Auswirkungen auf die Behandlungsrichtlinien, die für COPD jährlich durch die Global initiative for Obstructive Pulmonary Disease (GOLD) aktualisiert werden.
Einstellung des Rauchens am wichtigsten Der möglichst frühe Verzicht auf das Rauchen wirkt sich positiv auf den Krankheitsverlauf aus und senkt das Mortalitätsrisiko. Die Einstellung des Rauchens kann bei COPD-Patienten mit einer Nikotinersatztherapie und mit dem Antidepressivum Bupropion (Zyban®) unterstützt werden. Vareniclin (Champix®) hat sich bei gesunden Probanden als noch wirksamer erwiesen, die Daten für COPD-Patienten stehen jedoch noch aus.
Bronchienerweiternde Medikamente Bronchienerweiternde Medikamente wie Betaagonisten oder Anticholinergika bewirken kleine, aber konsistente FEV1-Verbesserungen ungeachtet der Ausgangswerte. Eine Kombination von Bronchodilatatoren wirkt meist besser als ein Einzelmedikament. Kombinationen aus inhalativen Kortikosteroiden mit lang wirkenden inhalativen Betaagonisten wirken ebenfalls besser als jedes Medikament für sich. Lang wirkende inhalierbare Medi-
kamente werden kurz wirkenden vorgezogen, da sie nicht nur eine Verbesserung der Lungenfunktion, sondern auch des allgemeinen Gesundheitszustands erzielen und die Häufigkeit von Exazerbationen verringern. Die Verbesserung der Symptome, vor allem die Zunahme der körperlichen Leistungsfähigkeit, beruht dabei eher auf Veränderungen der Lungenkapazität als auf Änderungen des exspiratorischen Atemflusses. Die Verbesserung der Vitalkapazität unter Ruhebedingungen ist vermutlich auf die Reduzierung des Residualvolumens zurückzuführen, die ebenso auftritt, wenn bei Exazerbationen hohe Dosen an Bronchodilatatoren gegeben werden. Zudem reduzieren sowohl Bronchodilatatoren als auch Kombinationen mit inhalativen Kortikosteroiden den Grad der dynamischen Hyperinflation bei körperlicher Anstrengung und verlängern das Durchhaltevermögen. Diese Effekte addieren sich mit denen der pulmonalen Rehabilitation oder einer ambulanten Sauerstofftherapie. Aufgrund der additiven Wirkungen empfiehlt sich die Anwendung verschiedener therapeutischer Optionen im Management der COPD.
Inhalative Kortikosteroide Obwohl von einigen Wissenschaftlern kontrovers diskutiert, weisen die meisten Daten darauf hin, dass inhalierbare Kortikosteroide die Zahl der Exazerbationen senken und den Gesundheitszustand der Patienten verbessern. Es gibt allerdings auch Hinweise darauf, dass es unter inhalierbaren Kortikosteroiden zu zusätzlichen Pneumonien kommt.
Unerwartete Studienergebnisse In den grossen Studien zur COPD kam es auch zu einigen unerwarteten Ergebnissen, beispielsweise im Zusammenhang mit Komorbiditäten. Patienten mit substanziellen Komorbiditäten wie ischämischen Herzkrankheiten, Stauungsinsuffizienz oder Krebserkrankungen werden meist aus klinischen Studien ausgeschlossen. Dennoch liegen auch bei Studienteilnehmern häufig Komorbiditäten vor. So ereigneten sich in der TORCH-Studie (Towards a Revolution in COPD-Health), in die Personen mit nicht unmittelbar lebensbedrohlichen Komorbiditäten aufgenommen wurden, mehr als ein Viertel der Todesfälle aufgrund kardiovaskulärer Ursachen und 20 Prozent infolge von Tumorerkrankungen, die Hälfte davon aufgrund von Lungenkrebs. 50 Prozent der Teilnehmer, die sich einer Knochendichtemessung unterzogen hatten, wiesen zum Zeitpunkt der Behandlungszuordnung eine Osteoporose oder Osteopenie auf. Diese Ausgangserkrankung war ein wesentlich stärkerer Prädiktor für die folgende Entwicklung der Knochendichte als irgendeine Behandlungswirkung. Die Heterogenität bei COPD ist seit Jahrzehnten bekannt. Die National-Emphysema-Treatment-(NETT-)Studie war die erste, in der ein unterschiedliches Ansprechen auf phänotypbasierte Behandlungen beobachtet wurde. In dieser Studie waren chirurgische Eingriffe bei Patienten mit sichtbarem Oberlappenemphysem im Computertomogramm (CT), deren Trainingsleistung sich nach Rehabilitation nicht verbesserte, von grossem Nutzen in Bezug auf Gesundheitszustand und Mortalität.
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COPD-STUDIEN: IMMER GUT FÜR ÜBERRASCHUNGEN
Bei Patienten mit einer diffusen Erkrankung war die Mortalität höher als bei der lokalisierten Erkrankung. Spezifische Patientengruppen, die auf bestimmte Medikamente ansprachen, wurden nicht identifiziert. Medikamentöse Behandlungen führen nicht immer zum erwarteten Ergebnis. So dachte man, dass ein Bronchodilatator wie ein lang wirkender Betaagonist eine grössere Veränderung der Lungenfunktion bewirkt als jedes inhalierbare Kortikosteroid. Die Änderungen der Lungenfunktion erwiesen sich jedoch in einigen Studien mit mindestens einem Jahr Follow-up als überraschend ähnlich. Auch erwartete man zwar von Bronchien erweiternden Medikamenten, dass sie die Belastbarkeit verbessern; die Erkenntnis, dass sie zusätzlich die Anzahl der Exazerbationen signifikant reduzieren, kam jedoch überraschend und hat zur Revision bisheriger Annahmen geführt. Dies konnte deutlich an Tiotropium (Spiriva®) gezeigt werden, dessen antientzündliche Wirkungen vor Durchführung der Studien nicht bekannt waren und zu einer erneuten Untersuchung der Rolle der Anticholinergika bei Entzündungen führten. Versuche zur Modifizierung der intrapulmonalen Entzündung bei der stabilen COPD sind bisher enttäuschend verlaufen. Studien haben gezeigt, dass inhalierbare Kortikosteroide in diesem Zusammenhang nicht sehr wirksam sind, obwohl die Kombination aus Kortikosteroiden und einem Betaagonisten sowie einem Phosphodiesterase-4-Hemmer die Anzahl der entzündeten Zellen in endobronchialen Biopsien reduzieren kann. Studien mit Phosphodiesterase-4-Hemmern haben über
einen Zeitraum von sechs Monaten konsistent eine Verbesserung der Lungenfunktion ergeben, jedoch war diese bei schwerer Erkrankung nicht erkennbar und hat die Häufigkeit der Exazerbationen nicht beeinflusst. Weitere Untersuchungen zur antientzündlichen Therapie mit monoklonalen Antikörpern haben sich trotz einer guten theoretischen Basis bisher als enttäuschend herausgestellt.
Zukünftige Studien
Einige Ziele zukünftiger Studien sind:
■ bessere Definitionen von Phänotypen der COPD zur Ent-
wicklung von Therapiealgorithmen
■ die Einbeziehung von Komorbiditäten wie Herzerkrankun-
gen, Osteoporose, Muskelschwäche, Depressionen und
Anämie in die Studienkonzeption
■ Untersuchungen anderer nicht pulmonaler Medikamente
wie Angiotensin-2-Blocker oder Statine bezüglich ihrer
Wirksamkeit bei COPD.
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Calverley Peter MA, Rennard Stephen I.: What have we learned from large drug treatment trials in COPD, The Lancet 2007, 370: 774–785.
Interessenkonflikte: Die Autoren deklarieren vielfältige finanzielle und Forschungsbeziehungen zu vielen Firmen mit Interessen auf dem Gebiet der Atemwegserkrankungen.
Petra Stölting
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