Transkript
STUDIE
Welche Rolle spielen Fibrate in der Welt der Statine?
Helsinki Heart Study: Langzeitdaten legen den Schluss nahe, dass Gemfibrozil bei Patienten mit metabolischem Syndrom wirkt
Patienten mit Dyslipidämie und anderen dem metabolischen Syndrom zugehörigen
Merksätze
Störungen können offenbar von der Behandlung mit Gemfibrozil profitieren. Das zeigen Langzeitergebnisse der Helsinki Heart Study, die in den «Archives of Internal Medicine» publiziert wurden.
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
■ Der Teil der Patienten, der ursprünglich fünf Jahre mit Gemfibrozil behandelt wurde, weist nach 18 Jahren eine verringerte kardiale Sterblichkeit auf. Die Gesamtsterblichkeit ist aber im Vergleich mit Plazebo nicht verringert.
■ Patienten, deren Dyslipidämie Teil eines metabolischen Syndroms ist, profitieren anscheinend wesentlich mehr. Für diese Patienten kann Gemfibrozil eine Alternative zu Statinen sein.
■ Insgesamt stellt diese Studie aber den grundsätzlichen Vorrang der Statine nicht infrage.
In der «Welt der Statine», wer fragt da eigentlich noch nach den Fibraten? Gibt es sie überhaupt noch? Die Antwort heisst: Fibrate mögen am Boden sein, erledigt sind sie wohl noch nicht. Doch der Reihe nach. Angefangen hat die Geschichte vor 30 Jahren, in den Siebzigerjahren, mit dem Clofibrat, gewissermassen dem Prototyp dieser Substanzklasse. Man wollte in Erfahrung bringen, ob es gelänge, mit dem Fibrat durch Senkung des Cholesterins günstige, das heisst kardioprotektive Effekte auf das Herz zu erzielen. Doch das Glück war nicht auf der Seite der hoffnungsvoll gestarteten Substanz. In einer der Studien, es war der World Health Organization’s Cooperative Prevention Trial, geschah das Unerwartete. In der Verumgruppe waren mehr Krebserkrankungen aufgetreten, und es starben mehr Patienten als unter Plazebo. Damit war das Schicksal von Clofibrat besiegelt. Die Substanz musste vom Markt genommen werden.
«34 Prozent weniger kardiale Ereignisse»
Doch damit war die Geschichte der Fibrate nicht ein für allemal erledigt. Ende der Achtzigerjahre ging ein neueres Fibrat, das Gemfibrozil, im Rahmen der doppelblind konzipierten Helsinki Heart Study (HHS) an den Start. Etwas mehr als 4000 Männer im Alter zwischen 40 und 55 Jahren mit einer Dyslipidämie, aber ohne offenkundige koronare Herzkrankheit, nahmen entweder Gemfibrozil ein oder aber ein Plazebo. Als
die Ergebnisse dieser Präventivstudie fünf Jahre später gelüftet wurden, war man mehr als zufrieden. Unter Gemfibrozil traten 34 Prozent weniger kardiale Ereignisse auf als unter dem Scheinmedikament. Dieses Resultat, das seinerzeit in der Fachpresse begeistert aufgenommen wurde, war gleichwohl bei Licht besehen etwas weniger spektakulär, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Statt 4,1 pro 100 Patienten erlitten 2,7 pro 100 Patienten unter Gemfibrozil einen Herzinfarkt – und dies nach fünfjähriger Behandlung. Oder, in einer anderen Darstellungsweise: 71 Personen mussten über fünf Jahre behandelt werden, damit 1 Infarkt verhindert werden konnte. Die HHS war denn auch eine der ersten Studien, anhand deren Kritiker seinerzeit monierten, der tatsächliche therapeutische Nutzen, mithin die Evidenz, lasse sich durch das des relative Risiko nur schwer fassen. Doch daran sei nur am Rande erinnert. Denn wie auch immer – der grandios anmutende Therapieerfolg half der Substanz nicht nennenswert auf die Beine. Mit Lovastatin war nämlich zu jener Zeit bereits das erste Statin auf dem Markt. Es erwies sich als sehr gut verträglich und senkte zudem das LDL-Cholesterin deutlich. Fortan wurden eine ganze Reihe an Statinstudien auf den Weg gebracht, das Interesse an Fibraten schwand zusehends, die Substanzen fristeten ihr Dasein in einer therapeutischen Nische.
1066 ARS MEDICI 22 ■ 2006
STUDIE
Der Nutzen der HDL-Erhöhung
Seit einigen Jahren allerdings ist das Interesse an den Fibraten wieder etwas gestiegen. Auslöser dafür war zunächst die VA-HIT-Studie (Veterans Affairs HDL Intervention Trial) aus dem Jahr 1999 – ebenfalls mit Gemfibrozil durchgeführt. Im Rahmen der Untersuchung liess sich erstmals zeigen, dass auch ohne LDL-Senkung, allein durch Anheben des HDL und Senkung erhöhter Triglyzeridspiegel, ein Teil der kardiovaskulären Ereignisse verhindert werden kann. Im Gegensatz zu allen früheren Studien zielte die Therapie erstmals also nicht auf die LDL-Senkung, sondern auf die Erhöhung des HDL-Cholesterins und auf die Senkung der Triglyzeride. In diesem Jahr sind nun neue Langzeitdaten der Helsinki Heart Study in den «Archives of Internal Medicine» publiziert worden. Die Studie war nämlich seinerzeit nicht nach fünf Jahren beendet worden. Die Studienärzte lüfteten aber das Geheimnis der Randomisierung. Alle Patienten erfuhren also, ob sie das Verum oder ein Plazebo erhalten hatten und wurden aufgefordert, sich zu entscheiden, ob sie die Therapie mit dem Gemfibrozil für weitere 31/2 Jahre im Rahmen einer offenen Folgestudie fortsetzen wollten. Das taten zwei Drittel aus beiden Gruppen. Nach Abschluss dieser Phase wurde es den Teilnehmern freigestellt, mit der Behandlung weiter fortzufahren. Nun fanden zwar keine regelmässigen Untersuchungen mehr statt, doch konnte anhand eines nationalen Registers zuverlässig festgestellt werden, ob jemand von ihnen gestorben war und auch, woran. Mit der neuen Publikation wissen wir, was nach 18 Jahren aus den Teilnehmern geworden ist: Patienten, die ursprünglich in der Verumgruppe waren, hatten ein um 22 Prozent geringeres Risiko, an einer Herzkrankheit zu sterben. Allerdings war die Sterblichkeit insgesamt nicht beeinflusst. Kein berauschendes Ergebnis also. Positive Meldungen lassen sich erst verkünden, wenn man den Blick nur auf die Patienten mit den höchsten Triglyzeridwerten und dem höchsten BMI richtet. In dieser Subgruppe sank das relative KHK-Mortalitäts-Risiko nach 18 Jahren um 71 Prozent, und auch die Gesamtsterblichkeit fiel signifikant geringer aus. Die Autoren nehmen nun an, dass nur ein früher Therapiebeginn mit Gemfibrozil Erfolg versprechend ist
(die Patienten, die zu einem späteren Zeitpunkt freiwillig Gemfibrozil einnahmen, konnten demgegenüber nicht mehr oder kaum noch profitieren).
Eine kostengünstige Alternative
Vor allem aber, so meinen die Forscher, lassen sich mit dem
Fibrat wohl in erster Linie Patienten erfolgreich behandeln, die
auch Zeichen eines metabolischen Syndroms aufweisen. Für
diese Menschen, so meint auch die Kommentatorin Hanna E.
Bloomfield, sei Gemfibrozil eine «gute und kostengünstige
Alternative» zu Statinen, an deren herausragender Stellung im
Übrigen nicht gerüttelt werden könne. Die anderen Fibrate,
Bezafibrat und Fenofibrat, müssten ihre Langzeitwirksamkeit
erst noch unter Beweis stellen. Für Bloomfield kommt es jetzt
darauf an herauszufinden, ob sich die Wirksamkeit der Statine
durch Kombination mit einem Fibrat erhöhen lässt. Denn eines,
unterstreicht sie, sei gewiss: «Statine sind exzellente Medika-
mente, aber auch sie vermögen maximal 20 bis 30 Prozent der
kardialen Ereignisse zu verhindern.» Eine Kombinationsthera-
pie käme nach dem Stand des Wissens wohl in erster Linie für
Menschen in Frage, die niedrige HDL-Spiegel und hohe Trigly-
zeridwerte sowie Merkmale eines metabolischen Syndroms
aufweisen. Wie viel man sich von einer solchen Behandlung er-
warten darf, werden vermutlich die Ergebnisse der gerade lau-
fenden ACCORD-Studie zeigen, in der Fenofibrat eingesetzt
wird. Bis zum Jahr 2010 wird man sich aber noch gedulden
müssen.
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Leena Tenkanen et al.: Gemfibrozil in the treatment of dyslipidemia. An 18-year followup of the Helsinki Heart Study. Arch Intern Med 2006; 166: 743–748. Hanna E. Bloomfield: The role of fibrates in a statin world. Arch Intern Med 2006; 166: 715–716.
Uwe Beise
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1068 ARS MEDICI 22 ■ 2006