Transkript
STUDIEN
Mukoviszidose: Hypertone Kochsalzlösung verbessert die Lungenfunktion
Neuere Studien zur zystischen Fibrose
Die Lebensaussichten für Patienten mit zystischer Fibrose (CF) haben sich durch eine Viel-
Merksätze
zahl neuer Therapieansätze deutlich verbessert. Erkenntnisse zum Wachstumsfaktor TGFb1 könnten dabei helfen, bei jungen CF-Patienten frühzeitig die richtigen Weichen bei der Behandlung zu stellen. Auch ganz einfache Strategien, wie die Inhalation hypertonischer Kochsalzlösung, sind in der Lage, die Mukusclearence zu unterstützen und damit bakterielle
s Der Mukoviszidose liegt ein Defekt in einem bestimmten CFTR-Gen zugrunde. Trotzdem kann bei über tausend möglichen Mutationen der klinische Verlauf sehr unterschiedlich sein, selbst bei Patienten, die exakt die gleiche Mutation besitzen.
s Durch einen Gentest, der in naher Zukunft zur Verfügung stehen soll, könnte der Verlauf der Krankheit vorausgesagt und frühzeitig durch entsprechend veränderte Therapien reagiert werden.
s CF-Patienten können durch die Inhalation von hypertoner Salzlösung eine Verbesserung der Mukusclearence und auch der Lungenfunktion erzielen.
Entzündungen zu verhindern.
Im Folgenden werden drei im «New England
Journal of Medicine» erschienene Studien
vorgestellt.
NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE
Die Mukoviszidose oder zystische Fibrose (CF) ist eine autosomal rezessiv vererbte Erkrankung, die zu einer Fehlfunktion aller exkretorischen Drüsen führt. Durch den genetischen Defekt wird das für die zelluläre Chlorid- und Natrium-Permeabilität verantwortliche CFTR-Protein nicht oder nur noch funktionsuntüchtig gebaut, wodurch der Elektrolyt- und Wassertransport in den epithelialen Membranen gestört ist. Als Folge wird in vielen Organen ein zähes Sekret gebildet, das nicht mehr abfliessen kann und vor allem die Lunge, Bauchspeicheldrüse und die Gallenwege verstopft.
Mukoviszidose ist die häufigste angeborene Stoffwechselerkrankung in Mitteleuropa: Jeder 20. bis 30. Angehörige der kaukasischen Population ist Genträger, bei jeder 2000. bis 3000. Geburt muss mit einem CF-kranken Kind gerechnet werden. In der Schweiz, wo etwa 1000 CF-Patienten leben, werden pro Jahr etwa 40 Babys mit dieser Erkrankung geboren. Die kumulative Überlebenswahrscheinlichkeit lag im Jahr 2002 in Mitteleuropa bei etwa 30 Jahren. Für heute geborene CF-Kinder wird nach Analysen britischer Krankenversicherungen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 45 bis 50 Jahren angegeben (1).
Problem: mukoziliäre Clearence
Der Ort der Genveränderungen ist das «Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator»-(CFTR-)Gen auf dem langen Arm des Chromosoms 7 mit 1480 Aminosäuren. Bisher wurden auf dem im Jahr 1989 entdeckten Gen über 1300 Mutationen identifiziert. Bei der in Mittel- und Nordeuropa mit 70 bis 75 Prozent häufigsten Mutation (DF 508del) fehlt an Position 508 die Kodierung für Phenylalanin. In der Schweiz dominieren neben DF 508del die Mutationen R553X und 3905insT. Bei Personen aus dem Mittelmeergebiet wird ein
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MUKOVISZIDOSE: HYPERTONE KOCHSALZLÖSUNG VERBESSERT DIE LUNGENFUNKTION
anderes Mutationsspektrum beobachtet, die Mutation DF 508del tritt hier nur in 30 bis 60 Prozent der Fälle auf (1). Hauptursache für Morbidität und Mortalität bei CF ist eine fortschreitende Obstruktion der Lunge, letztlich durch die Viskositätszunahme des Bronchialschleims. Diese wird nicht nur durch einen gestörten Chlorid-Transport-Mechanismus, sondern auch durch die Läsion von Strukturproteinen durch Proteasen (hauptsächlich Elastase) sowie durch die teilweise Freisetzung von langkettigen DNA-Molekülen aus dem Zellkern und von Teilen des Zytoskeletts verschiedener Zellen verursacht. Diese Moleküle bilden ein eigenes Netzwerk, welches in Verbindung mit dem ohnehin schon dehydrierten Milieu die Zähigkeit des Mukus weiter erhöht. Die Folge: Eine effektive Eliminierung des Schleims durch die Zilien der Flimmerzellen (mukoziliäre Clearence) findet kaum mehr statt, es kommt zum Verschluss der kleinen und mittelgrossen Atemwege in der Lunge. Zudem finden Bakterien hier einen idealen Nährboden, sodass es relativ häufig zu Atemwegs- und Lungenentzündungen kommt. Bei etwa 80 Prozent der Patienten wird im Laufe ihres Lebens Pseudomonas aeruginosa zum Hauptproblemkeim der Lunge. Weitere typische Symptome von Mukoviszidosekranken sind Verdauungsstörungen und Nahrungsunverträglichkeiten vor allem fetter Speisen. Die Folgen: chronische Durchfälle und Untergewicht. Auch Nasennebenhöhlenentzündungen und Leberveränderungen können auftreten.
Mehr TGF-β1-Varianten – schlechtere Lungenfunktion
Allen Erkrankungen der Mukoviszidose liegt ein Defekt im gleichen CFTR-Gen zugrunde. Trotzdem kann bei über tausend möglichen Mutationen der klinische Verlauf sehr unterschiedlich sein, selbst bei Patienten, die exakt die gleiche Mutation besitzen. Eine Studie im «New England Journal of Medicine» (2) beschreibt ein «Modifier»-Gen, welches diese Unterschiede erklärt. Obwohl die mehr als 1300 Teilnehmer der Studie von der gleichen Delta-508-Mutation im CFTR-Gen betroffen waren,
lagen doch sehr unterschiedliche Einsekundenkapazitäten (FEV1) vor. Während die Gruppe mit leichten Erkrankungen noch im Alter von durchschnittlich 29 Jahren eine mittlere FEV1 von 72 Prozent (bei einer jährlichen Verschlechterung von 1,35%) aufwies, lag dieser Wert bei den schwereren Verlaufsformen im jungen Alter von durchschnittlich 16 Jahren bei 47 Prozent. Zudem hatten Letztere mit einer rapiden Abnahme der Lungenfunktion von 3,56 Prozent pro Jahr zu kämpfen. Verantwortlich für diese schlechte Prognose könnte die Aktivität des «transforming growth factor beta 1» (TGF-β1) sein. Denn bei den Patienten mit schwerem Verlauf wurden, im Vergleich zu Betroffenen mit langsamer Verschlechterung der Lungenfunktion, mehr als doppelt so oft verschiedene genetische Varianten gefunden. Da TGF-β1 vor allem an der Bildung von Bindegewebe und der Wundheilung beteiligt ist, könnte eine defekte Funktion die fehlende Belüftung der Lunge beschleunigen. Durch einen Gentest, der in naher Zukunft zur Verfügung stehen soll, könnte der Verlauf der Krankheit vorausgesagt und frühzeitig durch entsprechend veränderte Therapien reagiert werden.
Verbesserte Lungenfunktion durch hypertone Salzlösung
Auch die Mukusclearence fördert die alveoläre Ventilation. Die gerichteten Bewegungen der Zilien haben dabei eine zentrale Aufgabe: Eingedrungene Bakterien werden mitsamt Mukus eleminiert und damit entzündliche Prozesse in der Lunge verhindert. Eines der wichtigsten Ziele der CF-Therapie ist es daher, die respiratorisch aktive Oberfläche zu erhalten beziehungsweise zu verbessern. Da bei CF-Patienten die Chloridsekretion gestört ist, liegt der Gedanke nahe, durch Inhalation von Kochsalz von aussen unterstützend einzugreifen. Schon seit langem wird dies mit 0,9-prozentiger Kochsalzlösung praktiziert – allerdings mit eher mässigem Erfolg. Jetzt wurde in einer kleineren randomisierten Studie – ebenfalls veröffentlicht im «New England Journal of Medicine» – höher konzentrierte Salzlösung eingesetzt (3). 24 Patienten mit zys-
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tischer Fibrose inhalierten über zwei Wochen viermal pro Tag 7-prozentige Kochsalzlösung. Während die eine Hälfte der Patienten zusätzlich mit inhalativem Amilorid – einem anderen Mukolytikum – vorbehandelt wurde, bekam die andere Hälfte zur hypertonen Salzlösung lediglich Plazebo. Überraschendes Ergebnis: Die Teilnehmer der Plazebogruppe zeigten im Vergleich zur Amilorid-Gruppe bereits acht Stunden nach der ersten Inhalation der Salzlösung ein deutliches Ansteigen der Mukus-Clearence-Rate (14,0% vs. 7%, p = 0,02). Zudem verbesserte die Inhalation der hypertonischen Salzlösung die Einsekundenkapazitäten (FEV1) im Vergleich zur Baseline (6,62%, p = 0,02). Wurde zusätzlich mit Amilorid vorbehandelt, war dieser signifikante Vorteil verschwunden (2,9%, p = 0,23). Die amerikanischen Wissenschaftler um Scott Donaldson aus Chapel Hill, North Carolina, sind davon überzeugt, dass Patienten mit zystischer Fibrose durch die Inhalation von hypertoner Salzlösung eine Verbesserung der Mukusclearence und auch der Lungenfunktion erfahren. Zwar scheinen zusätzliche In-vitro-Experimente zu zeigen, dass Amilorid den Aufbau eines für den Schleimtransport wichtigen Flüssigkeitsfilms auf den Epithelien verhindert, trotzdem fehlt bis heute eine schlüssige Antwort auf die Frage, warum Amilorid die Fähigkeit von hypertonischer Kochsalzlösung zur Mukusclearence abschwächt.
Hypertonische oder physiologische Kochsalzlösung?
samkeit von hypertoner Kochsalzlösung (4). Dazu inhalierten
die Teilnehmer entweder zweimal täglich 4 ml 7-prozentige
Kochsalzlösung oder 0,9-prozentige physiologische Kochsalz-
lösung. Vor jeder Inhalationsdosis wurde ein Bronchodilatator
verabreicht. Zwar zeigte die Behandlung auf die Lungenfunk-
tion (gemessen durch forcierte Vitalkapazität [FVC] und die
Einsekundenkapazität [FEV1]) und den forcierten exspiratori-
schen Flow bei 25 bis 75 Prozent der FVC in manchen Fällen
einen höheren Benefit zugunsten der höherprozentigen
Kochsalzlösung – ein signifikanter Unterschied zwischen bei-
den Gruppen war zumeist jedoch nicht festzustellen. Patienten,
die mit hypertoner Kochsalzlösung behandelt wurden, hatten
allerdings signifikant weniger pulmonale Exazerbationen (rela-
tive Reduktion 56%; p = 0,02) und weniger Krankheitstage
(7 vs. 24 Tage). Auch Infektionen mit nachfolgender intravenö-
ser Antibiotikabehandlung traten in dieser Gruppe fast dreimal
seltener auf. Damit, so Mark R. Elkins, sei die Inhalation mit
hypertoner Kochsalzlösung eine kostengünstige, sichere und
wirksame Zusatztherapie für Patienten mit zystischer Fibrose.
Ob sie einem Vergleich mit anderen mukuslösenden Substan-
zen standhält (z.B. Dornase alpha), müssen weitere Unter-
suchungen zeigen.
s
1. Mitchell L. Drumm, Genetic Modifiers of Lung Disease in Cystic Fibrosis NEJM 2005; 353: 1443–1453.
2 Scott H. Donaldson: Mucus Clearance and Lung Function in Cystic Fibrosis with Hypertonic Saline. NEJM 2006; 354: 241–250.
3. Elkins M. R: A Controlled Trial of Long-Term Inhaled Hypertonic Saline in Patients with Cystic Fibrosis. NEJM 2006; 354: 229–240.
Auch Mark R. Elkins und seine Kollegen vom Department of Respiratory Medicine des Royal Prince Alfred Hospital in Sydney, Australien, untersuchten mit 164 CF-Patienten in einer 48 Wochen dauernden Langzeitstudie die Sicherheit und Wirk-
Interessenkonflikte: keine deklariert
Klaus Duffner
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