Transkript
FORTBILDUNG
Hämorrhoiden stadiengerecht behandeln
Von Stuhlregulierung bis Operation
Das Hämorrhoidalleiden ist eine der häufigsten Erkrankungen in den Industrienationen.
Merksätze
Annähernd 70 Prozent aller Erwachsenen sind im Laufe ihres Lebens irgendwann einmal betroffen. Oberhalb der Linea dentata, unter der Rektummukosa, findet sich ein zirkulär angelegtes arterio-venöses Gefässkonglomerat, das Corpus cavernosum recti. Diese Gefällpolster haben eine wichtige Funktion bei der
s Um ein Hämorrhoidalleiden diagnostizieren zu können, genügt eine proktologische Untersuchung (Inspektion, Palpation, Proktoskopie).
s Bei Hämorrhoiden 3. Grades ist die Operation die Therapie der Wahl. Damit wird eine Beschwerdefreiheit von über 90 Prozent nach zwei Jahren erreicht.
s Die Stapler-Hämorrhoidopexie zeichnet sich durch einen höheren Patientenkomfort mit geringeren postoperativen Schmerzen und schnellerer Arbeitsfähigkeit aus.
Feinkontinenz. Erst bei deren Hyperplasie
spricht man von Hämorrhoiden und bei
zusätzlich auftretenden Beschwerden vom
Hämorrhoidalleiden.
ALEXANDER HEROLD
Die auf Hämorrhoiden zurückzuführenden Beschwerden sind uncharakteristisch und auch bei vielen anderen proktologischen Erkrankungen in ähnlicher Weise vorhanden (Tabelle 1). Sie sind nicht von der Grösse der Hämorrhoiden abhängig. Das häufigste Symptom ist die anale Blutung.
Diagnostik
Entsprechend der Klassifikation nach Goligher unterscheidet man zwischen Hämorrhoiden 1. bis 4. Grades (Tabelle 2). Die Prädilektionsstellen liegen bei 3, 7 und 11 Uhr in Steinschnittlage. Nichtprolabierende Hämorrhoiden sind am besten proktoskopisch zu erkennen. Prolabierende Hämorrhoiden zeigen sich
am besten nach der Defäka-
tion. Bei der Untersuchung sind sie zu provozieren,
Tabelle 1: Symptomatik
indem man den Patienten s anale Blutung
kräftig pressen lässt. Hämorrhoiden 2. Grades retrahieren sich sofort wieder spon-
s anales Nässen s Juckreiz
tan. Hämorrhoiden 3. Grades verbleiben extraanal, lassen sich aber mit dem Finger reponieren. Aussen
s analer Gewebeprolaps s Stuhlschmieren s Schmerzen (selten)
fixierte und nicht mehr zu
reponierende Hämorrhoiden
(Hämorrhoiden 4. Grades) sind allein bei der Inspektion gut zu
beurteilen. Somit ist zur Diagnostik des Hämorrhoidalleidens
ausschliesslich eine proktologische Untersuchung erforderlich.
Zum Ausschluss zusätzlicher analer Erkrankungen bezie-
hungsweise zur Differenzialdiagnostik sollte jedoch in allen
Fällen eine Rektoskopie durchgeführt werden.
Lokaltherapie gegen die Entzündung
Die lokale Behandlung mit Salben, Suppositorien oder Analtampons orientiert sich ausschliesslich an den Symptomen und nicht an der Ursache der Beschwerden. Daher ist bei Be-
1080 ARS MEDICI 22 s 2006
HÄMORRHOIDEN STADIENGERECHT BEHANDELN
Sklerosierungsbehandlung
Hämorrhoiden 1. Grades werden konservativ behandelt. Neben ballaststoffeicher Ernährung, besonders bei begleitender Obstipation, kommt die Sklerosierung zum Einsatz (Abbildung 1). Der therapeutische Effekt ist auf eine Fixierung und Stabilisierung der Hämorrhoidalkonvolute oberhalb der Linea dentata zurückzuführen (2, 3). Das Verfahren ist komplikationsarm. In bis zu 5 Prozent treten schwache Blutungen auf. Einer primären Erfolgsrate von 80 Prozent folgt aber eine Rezidivrate von 75 Prozent in den ersten 4 Jahren.
Abbildung 1: Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten nach Blond
Gummiringligatur
Die Therapie der Wahl bei Hämorrhoiden 2. Grades ist die ambulante Gummiringligatur nach Barron (Abbildung 2). Einer Erfolgsrate von über 95 Prozent steht eine Rezidivrate von 25 Prozent innerhalb von vier Jahren gegenüber. Neben gelegentlichen Schmerzen sind geringere Blutungen in den ersten Tagen nach der Behandlung am häufigsten zu beobachten. Mit Abstossen der Nekrose sind in bis zu 1 Prozent therapiebedürftige Nachblutungen beschrieben (1). Als neue Technik wird in Zentren seit kurzem die Doppler-gesteuerte Hämorrhoiden-Arterien-Ligatur (DGHAL) eingesetzt. Mit dieser gezielten Unterbindung der zuführenden Arterien werden Erfolgsraten im Kurzzeitverlauf von über 95 Prozent erreicht. Eine abschliessende Beurteilung sowohl der Indikation als auch der Effektivität ist zurzeit noch nicht möglich.
Operation
Abbildung 2: Gummiringligatur nach Barron: schmerzfreie Platzierung eines Gummirings oberhalb der Linea dentata mithilfe eines Proktoskops und eines Applikators
Hämorrhoiden 3. Grades sind nur in Ausnahmefällen noch konservativ mit zufriedenstellendem Ergebnis therapierbar. Daher ist hier die Indikation zur Opera-
tion gegeben.
schwerden, die ausschliesslich auf Hämorrhoiden zurück- Folgende Methoden stehen zur Verfügung:
zuführen sind, kein dauerhafter Erfolg zu erwarten. Allerdings s offene Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan
lassen sich damit die bei Hämorrhoiden auftretenden, ent- s geschlossene Hämorrhoidektomie nach Ferguson
zündlichen und ödematösen Begleitveränderungen günstig s submuköse Hämorrhoidektomie nach Parks
beeinflussen.
s rekonstruktive Hämorrhoidektomie nach Fansler-Arnold
s supraanodermale Hämorrhoidektomie nach Whitehead
Stuhlregulierung als erste Massnahme
s supraanodermale Hämorrhoidopexie mit dem Stapler.
Bei der kausalen Behandlung steht eine physiologische Stuhlregulierung an erster Stelle (4). Der Stuhl soll weich geformt sein und ohne zu pressen entleert werden. Mithilfe einer ballaststoffreichen Kost können die auf Hämorrhoiden zurückzuführenden Blutungen ebenso günstig beeinflusst werden wie durch eine Sklerosierungsbehandlung. Insbesondere bei obstipierten Patienten ist dies der Fall (5, 15). Die Therapie orientiert sich an der Grösse der Veränderung.
Tabelle 2: Stadieneinteilung der Hämorrhoiden
1. Grad proktoskopisch sichtbar vergrössertes Corpus cavernosum recti 2. Grad Prolaps bei der Defäkation – retrahiert sich spontan 3. Grad Prolaps bei der Defäkation – manuell reponibel 4. Grad Prolaps fixiert, fibrosiert, thrombosiert – irreponibel
ARS MEDICI 22 s 2006 1081
FORTBILDUNG
Die Methode nach Milligan-Morgan belässt die
so entstandenen Wunden im Anoderm zur Se-
kundärheilung offen, während bei der Tech-
nik nach Ferguson etwas mehr Anoderm er-
halten wird, um die Wunde durch Naht zu
verschliessen. Es handelt sich jeweils um Ope-
rationstechniken mit kurzer Operationszeit
von 10 bis 30 Minuten, einer Krankenhauslie-
Hämorrhoiden 1. Grades
Hämorrhoiden 2. Grades (mit begleitendem Analprolaps)
gedauer von derzeit drei bis fünf Tagen, einer Arbeitsunfähigkeit von zwei bis vier Wochen und einer Komplikationsrate meist unter 10
Prozent. Die Rezidivrate wird in der Literatur
der letzten 20 Jahre zwischen 3 und 26 Pro-
zent angegeben. Als subanodermale/submu-
köse Resektion der Hämorrhoiden mit gleich-
zeitiger Reposition des dislozierten Anoderms
– somit bei fortgeschritteneren Befunden zu
bevorzugen – kommt alternativ die Opera-
tionstechnik nach Parks zur Anwendung (7).
Hämorrhoiden 3. Grades (mit begleitendem Analprolaps)
Hämorrhoiden 4. Grades (thrombosierte irreponible Hämorrhoide bei 11 Uhr SSL)
Die Hämorrhoidenoperation mit dem Zirkularstapler (Stapler-Hämorrhoidopexie) wird in
Abbildung 3: Hämorrhoiden in unterschiedlichen Stadien
Deutschland seit 1998 angewandt. Da keine Wunde im sensiblen Anoderm entsteht, hat sie
sich, bedingt durch diesen höheren Patienten-
komfort, zu einer effektiven Alternative ent-
wickelt (Abbildung 4). Der Vorteil liegt besonders
in den geringeren postoperativen Schmerzen
und einem höheren Komfort. Ebenso wird die
Arbeitsfähigkeit schneller wieder erreicht. Die
ideale Indikation ist bei zirkulären Hämor-
rhoiden 3. Grades zu sehen. Für die Stapler-
Hämorrhoidopexie werden Komplikationsra-
ten zwischen 5 und 10 Prozent sowie eine nie-
drige Rezidivrate (0–3%) berichtet (6, 9, 10).
Ist der Hämorrhoidalprolaps nicht mehr repo-
nibel, so liegen Hämorrhoiden 4. Grades vor.
Bei akuter Thrombosierung oder Inkarzera-
tion ist die konservative Therapie mit Anti-
phlogistika, Analgetika und lokalen Massnah-
men zu bevorzugen. Oft tritt im Verlauf weni-
ger Wochen eine komplette Restitution ein,
sodass keine Operation erforderlich wird. In
erfahrenen Händen kann auch eine sofortige
Operation zum Einsatz kommen. Bei chroni-
schen, fibrosierten, fixierten Befunden meist
mit einem begleitenden zirkulären Anoderm-
Abbildung 4: Stapler-Hämorrhoidopexie: supraanale zirkuläre Resektion von Mukosa
prolaps sind plastisch-rekonstruktive Verfahren
und proximalen Hämorrhoiden mit Hilfe eines speziellen Op.-Instrumentariums
sinnvoll (Fansler-Arnold). Diese operativtech-
nisch und auch zeitlich wesentlich aufwendi-
gere Technik (Operationszeit 30–60 Minuten)
Insbesondere bei segmentären Hämorrhoidalvorfällen sind die erzielt neben der Resektion des hämorrhoidalen Gewebes
Verfahren nach Milligan-Morgan und Ferguson empfehlenswert mittels plastischer Verschiebelappen eine zirkuläre beziehungs-
(Abbildung 3). Die vergrösserten Hämorrhoidalknoten werden weise semizirkuläre komplette Rekonstruktion des Analkanals.
segmentär reseziert und ausreichend breite Brücken an Anoderm Dies resultiert in einer hohen postoperativen Komplikationsrate
erhalten, um Stenosen und Kontinenzeinbussen vorzubeugen. von bis zu 20 Prozent.
1082 ARS MEDICI 22 s 2006
HÄMORRHOIDEN STADIENGERECHT BEHANDELN
Mit allen operativen Techniken liegt die Beschwerdefreiheit nach zwei Jahren bei über 90 Prozent. Rezidive nehmen im Zeitverlauf zu, sind aber meist mit konservativen Massnahmen beherrschbar (8). Die Reoperationsrate liegt unter 5 Prozent. Die vom Patienten am meisten gefürchtete Störung der Kontinenzleistung liegt direkt postoperativ bei bis zu 30 Prozent, über langfristige Inkontinenz wird in bis zu 5 Prozent der Fälle berichtet, wobei eine permanente Inkontinenz selbst für festen Stuhl nur in wenigen Einzelfällen vorkommt.
Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de
Prof. Dr. med. Alexander Herold Enddarm-Zentrum Mannheim
D-68165 Mannheim
Interessenkonflikte: keine deklariert
Zusammenfassung
Eine stadienorientierte Therapie des Hämorrhoidalleidens mit konservativen und operativen Massnahmen bietet eine hohe Heilungschance mit niedrigem Komplikations- und Rezidivrisiko. s
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 12/2006. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
ARS MEDICI 22 s 2006 1083