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Titel
Diszi-Spleen
Untertitel
-
Lead
Jawoll, jawoll, jawoll! Das Buch «Lob der Disziplin. Eine Streitschrift» von Bernhard Bueb, dem pensionierten Leiter der «Eliteschmiede» Salem, habe ich – leider gelesen. Nicht erworben, nur geliehen, denn solche Autoren unterstütze ich nicht durch den Kauf ihres reaktionären Quatsches. Ist es wirklich eine Zeile wert, wenn ein vorgestriger Greis, schmissig allenfalls wegen der Schmissnarbe auf der Stirn, vor TV-Kameras von der meisterhaften Erziehung der Massen unter den Nazis faselt? Nur deren Ziele, tja, die seien halt nicht so gut gewesen … In der Tat, Herr Doktor B. Und die Folgen auch nicht. Vaaaarstanden?
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Rubriken — ARSENICUM
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12881
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Diszi-Spleen

Jawoll, jawoll, jawoll! Das Buch «Lob der Disziplin.
Eine Streitschrift» von Bernhard Bueb, dem pensionierten Leiter der «Eliteschmiede» Salem, habe ich – leider gelesen. Nicht erworben, nur geliehen, denn solche Autoren unterstütze ich nicht durch den Kauf ihres reaktionären Quatsches. Ist es wirklich eine Zeile wert, wenn ein vorgestriger Greis, schmissig allenfalls wegen der Schmissnarbe auf der Stirn, vor TV-Kameras von der meisterhaften Erziehung der Massen unter den Nazis faselt? Nur deren Ziele, tja, die seien halt nicht so gut gewesen … In der Tat, Herr Doktor B. Und die Folgen auch nicht. Vaaaarstanden? Typen wie diesen Internatsy gibt es wirklich noch ausserhalb von Wachsfigurenkabinetten und Witzblättern! Und aufgrund der Redefreiheit – Voltaire sei Dank - dürfen sie sich sogar äussern. Nach der Lektüre der dumpfen Drillfibel heiterte mich der geistreiche Verriss von Zeit-Autor Matthias Altenburg auf, welcher aus Adornos Rede «Erziehung nach Auschwitz» zitierte: «Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte.» Das Wort Disziplin steht in Wissenschaft, Sport oder Job für «Fachgebiet». Es bedeutet ein auf Ordnung bedachtes Verhalten. Doch es heisst auch Unterwerfung unter Befehle. Und im Sadomasochismus das lusterzeugende Zufügen körperlicher Schmerzen … Und dies, nämlich Angst und Schmerz, soll jetzt wieder in der Erziehung exerziert werden? Wie im Internat Salem, wo auf Drogen und Alkohol getestet wird und Lehrer mit Ferngläsern beobachten, ob Schüler auf dem Hof rauchen? Wenn die potenziellen Jungdelinquenten dann endlich bei Regelverstössen ertappt wurden, die man von ihnen erwartete, flogen sie von der Schule. Eine Bankrotterklärung der Pädagogen, aber keineswegs «Menschenführung». Schon Tagesschausprecher Ulrich Wickert schulmeisterte in seinem «Buch der Tugenden» – während er selbst in einem hässlichen Familienknatsch agierte. Nichts gegen «αρετη», die aristotelischen Kardinaltugenden, wie Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mässigung – die Fähigkeit, das Gute zu tun, aus innerer Neigung, leicht und mit Freude. Auch gegen das Einhalten von allgemein akzeptierten Regeln und das Respektieren echter Autoritäten (klug, integer, gütig) ist nichts zu sagen. Aber bereits das lateinische virtus, von vir = Mann, abgeleitet, bezeichnet martialisch-männliche Qualitäten und – genau wie das japanische «Bushido-» – den «Weg des Kriegers». Die Rittertugenden Aufrichtigkeit, Bescheidenheit und Verläss-

lichkeit sind in Ordnung, genauso wie die bürgerlichen Tugenden Ordnungsliebe, Sparsamkeit, Fleiss, Reinlichkeit und Pünktlichkeit. Amen und Halleluja auch zu den christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Grenzwertig hingegen die preussischen Mannestugenden Gehorsam und Pflichtbewusstsein und die viktorianischen Frauentugenden Häuslichkeit, Sparsamkeit und Keuschheit ... Besorgt sieht man, wie Eltern die Privacy-Rechte ihrer Kinder missachten und deren Nöte der Fernsehnation und Super-Nanny Katia Saalfrank ausliefern. Deren Methoden sind aber nicht mit denen des gern harten Bernhard gleichzusetzen. Augenscheinlich sind Antike, Renaissance, Humanistik, französische Revolution und die 68er-Jahre diesem Erz-Zieher kein Begriff, hat er nicht erfasst, was Humboldt und Pestalozzi vorgelebt haben. Hinsetzen! Lernen! Möge die Zucht-Bulle dieses Feld-Wald-Wiesen-Weibels nicht die Medizin befruchten. Ein Rückschritt zu Sauerbruch wäre faustisch-mephistophelisch bis infaust. Dann scheissen wir wieder «süchtige» oder «irre» Patienten zusammen, sich zusammenzureissen. Das tun schon einige Hardliner-Präventivler, die ihre Kindheitstraumata durch buebsche Pädagrobiane noch nicht verarbeitet haben. Sollen Chefärzte wieder im Kasernenhofton durch Spitäler brüllen, Massnahmen und die Einnahme von Arzneien befehlen, mit invasiven Eingriffen durchgreifen? Pflegefachleute zu «Krankenwärtern» regredieren, PhysiotherapeutInnen zu Boot Camp Drill-Sergeants? Wollen wir Grund(ver-)sorgende nicht mehr behutsam zusammen mit den Patienten nach den (Hinter)-gründen für deren Leiden suchen, sondern Pathologisches «bekämpfen», «ausrotten» und «besiegen»? Sieg Heil? Und wer sich nicht kurieren lässt – wird der eingewiesen und notfalls euthanasiert? Die Errungenschaften der modernen Medizin, die schon Hippokrates kannte und umsetzte, nämlich über die Rolle des Arztes, über Zwang und Gewalt in der Behandlung nachzudenken, die Biologie zu beobachten und mittels «informed consent» zu einer «concordance» zu kommen, müssen bewahrt werden. Um nicht zu sagen verteidigt und täglich aufs Neue erkämpft. Doch nehmen wir den Schuder-Bueben-Streich gelassen. Ruhen! «Bushido-» ist heutzutage kein Kendokämpfer mehr, der sich seinem Boss sklavisch unterwirft, sondern ein cooler deutsch-tunesischer Rapper, den MTV zum «best german act» wählte. Wir leben in einem demokratischen Rechtstaat und disziplinieren uns selbst. Unsere Medizin ist keine Mengele-Lehre mehr. In der Psychiatrie würden Li(e)berale solch buebischem Sturm und Zwang Mores lehren. Kurz – Buebs sogenannte «Streitschrift» provoziert noch nicht einmal, obwohl sie disst. (Anmerkung des jungen, selbstdiziplinierten Layouters: dissen = Jugendslang für «Disrespekt zeigen»). Selbst in Salem macht der Doktorbueb ja keine Sprösslinge mehr zu Zöglingen. Abtreten!

1054 ARS MEDICI 22 ■ 2006