Transkript
FORTBILDUNG
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Krankheitsaktivität bestimmt die Therapie
Bei länger anhaltenden Diarrhöen, Blut im Stuhl und Bauchschmerzen sollte man auch an
Merksätze
eine chronisch entzündliche Darmerkrankung, also eine Colitis ulcerosa oder einen Morbus Crohn, denken. Die beiden Erkrankungen unterscheiden sich hinsichtlich Darmbefall, Histologie, Verlauf und Symptomatik und
■ Der Morbus Crohn kann den gesamten Verdauungstrakt vom Mund bis zum Anus befallen, das Rektum ist im Gegensatz zur Colitis ulcerosa aber oft ausgespart.
■ Morbus Crohn und Colitis ulcerosa können sich auch extraintestinal manifestieren.
■ Die Therapie konzentriert sich bei beiden Erkrankungen auf eine symptomatische Behandlung der Entzündung.
erfordern unterschiedliche Therapien.
Bauhin’schen Klappe. Bei 54 Prozent der Patienten besteht eine
BERND LIMBERG
Proktosigmoiditis, bei 27 Prozent eine linksseitige Kolitis und bei 19 Prozent eine Pankolitis. Die entzündliche Infiltration der
Darmwand ist bis auf fulminante Verläufe auf die Mukosa be-
grenzt.
Bei der Entstehung einer chronisch entzündlichen Darm- Der Morbus Crohn ist eine chronische Entzündung, die den ge-
erkrankung (CED) wirken eine erbliche Veranlagung und Um- samten Verdauungstrakt (Mund bis Anus) betreffen kann. Bei
welteinflüsse zusammen. Beim Morbus Crohn nimmt man zum 40 bis 50 Prozent der Patienten sind Dünn- und Dickdarm be-
Beispiel an, dass die Bildung niedermolekularer Verteidigungs- fallen, eine besondere Prädilektionsstelle ist das terminale
proteine, sogenannter Defensine, in der Darm-
schleimhaut gestört ist. So können Bakterien in
die Darmwand eindringen und überschiessende Abwehrreaktionen auslösen. Der Verdacht auf eine
Tabelle 1: Colitis ulcerosa – Morbus Crohn: Unterschiede
CED sollte aufkommen, wenn ■ Diarrhöen länger als vier Wochen bestehen ■ die Stuhlfrequenz > 2 pro Tag ist ■ die Stuhlkonsistenz sich vermindert ■ Blut im Stuhl nachweisbar ist ■ abdominelle Schmerzen auftreten.
Symptome Histologie
Colitis ulcerosa Durchfall Blutung
Entzündung vorwiegend der Mukosa
Morbus Crohn Schmerzen Durchfall Gewichtsverlust Fisteln
transmurale und extramurale Entzündung
Morbus Crohn und Colitis ulcerosa weisen typische Unterschiede hinsichtlich des Befallsmusters des Gastrointestinaltraktes, der klinischen Symptomatik und der Komplikationen auf (Tabelle 1). Die Colitis ulcerosa ist eine rezidivierende entzündliche Erkrankung des Kolons und des Rektums. Charakteristisch ist eine kontinuierliche Ausbreitung der Entzündung vom Anus bis zur
endoskopische Befunde
Komplikationen
kontinuierlicher Befall Geschwüre Blutung
toxisches Megakolon
segmentaler Befall Aphthen Geschwüre
Fisteln Stenosen Abszesse
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CHRONISCH ENTZÜNDLICHE DARMERKRANKUNGEN
Tabelle 2: Basisdiagnostik von Colitis ulcerosa und Morbus Crohn
Tabelle 4:
CED: wichtige Differenzialdiagnosen
Erstdiagnose
akuter Schub Kontrolle
Colitis ulcerosa Koloskopie Ultraschall
Ultraschall (Koloskopie)
Koloskopie Karzinomprophylaxe (Ultraschall, CT)
M. Crohn
Koloskopie Gastroskopie Ultraschall (CT, MRT, endorektale Sonografie)
Ultraschall (Koloskopie, Gastroskopie) (CT, MRT, endorektale Sonografie)
Ultraschall Koloskopie (CT, MRT, endorektale Sonografie)
■ Infektionserkrankungen (Bakterien, Viren, Parasiten, pseudomembranöse Kolitis)
■ Appendizitis ■ Divertikulitis ■ Lymphom ■ ischämische Kolitis ■ Vaskulitis ■ mikroskopische Kolitis ■ Sprue ■ medikamenteninduzierte Kolitis ■ Laktoseintoleranz
Labor Blutbild, CRP, Gamma-GT, alkalische Phosphatase, Stuhlkultur
Tabelle 3: Extraintestinale Manifestationen von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa
Lokalisation
Häufigkeit
Polyarthritis, Monarthritis, Sakroileitis Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum primär sklerosierende Cholangitis (PSS) Steatosis hepatis lridozyklitis, Uveitis Osteoporose
26% 19% 7% (bei Colitis ulcerosa) 30% 4% bei M. Crohn bis zu 40%
Ileum, bei 25 bis 30 Prozent liegt ein alleiniger Dünndarmbefall vor, bei 3 bis 5 Prozent sind Ösophagus, Magen und Duodenum befallen, bei 20 bis 25 Prozent nur der Dickdarm. Im Gegensatz zur Colitis ulcerosa ist das Rektum häufig ausgespart. Charakteristisch für den Morbus Crohn sind die transmurale entzündliche Infiltration und die extramurale Ausbreitung der Entzündung. Dies erklärt die Symptome und Komplikationen der Erkrankung.
Diagnostik: von Ultraschall bis MRT
Die Diagnose einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung ergibt sich aus der Zusammenschau von Klinik, Labor und bildgebenden Verfahren. Zur Basisdiagnostik gehören: ■ Stuhlkultur ■ Blutbild und CRP ■ Gamma-GT ■ alkalische Phosphatase (primär sklerosierende Cholangitis
bei Colitis ulcerosa).
Im Zeitalter des Tourismus sollten je nach Anamnese des Patienten auch häufige tropische Erkrankungen (z.B. Amöbenkolitis)
ausgeschlossen werden. Unter den endoskopischen Verfahren ist die Koloskopie mit Biopsie das Verfahren der ersten Wahl. Die hochauflösende Darmsonografie hat als nichtinvasives und kostengünstiges Verfahren einen hohen klinischen Stellenwert nicht nur in der Primärdiagnostik, sondern insbesondere auch in der Verlaufskontrolle und bei der Diagnose der Komplikationen der Erkrankungen erlangt. Hilfreich ist dabei die Powerdopplersonografie zur direkten Darstellung der entzündlich bedingten Hyperämie innerhalb der Darmwand. Die Duplexsonografie der Mesenterialarterien kann durch Messung der veränderten Strömungsgeschwindigkeit zusätzliche Informationen liefern, die einen Hinweis auf ein mögliches Rezidiv bei Patienten mit Morbus Crohn geben. Die MRT- oder CT-Untersuchung ist zur Diagnose des Dünndarmbefalls geeignet. Für die Diagnostik des perianalen Fistelleidens stehen die MRT und die endorektale Sonografie zur Verfügung, beide Verfahren weisen eine vergleichbare Sensitivität auf (Tabelle 2). Morbus Crohn und Colitis ulcerosa können sich auch extraintestinal manifestieren (Tabelle 3). Bei der Differenzialdiagnose der CED sind entzündliche und nicht entzündliche Erkrankungen zu berücksichtigen (Tabelle 4). Da die genaue Ätiologie der CED nicht bekannt ist, konzentriert sich die Therapie auf eine symptomatische Behandlung der Entzündung. Dazu stehen unterschiedliche Substanzgruppen zur Verfügung: Mesalazin, Steroide, Immunsuppressiva (Azathioprin, 6-Mercaptopurin, Methotrexat) und TNF-alpha-Antikörper (Infliximab).
Therapie des Morbus Crohn
Bei leichtem Schub ist ein Therapieversuch mit Mesalazin (3–6 g/Tag) oder bei vorwiegend ileozökalem Befall mit Budesonid (9 mg/Tag) indiziert. Spricht der Patient darauf nicht an, ist die Gabe von Prednisolon-Äquivalent (30–60 mg/Tag) notwendig. Bei der Therapie des schweren Schubs des Morbus Crohn (Abbildung 1) ist neben der Gabe von Prednisolon eine immunsuppressive Therapie mit Azathioprin erforderlich. Bei Unverträglichkeit von Azathioprin kann eine Behandlung mit
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Prednisolon 50–60 mg/Tag oral
Therapieerfolg
Steroidreduktion > 12 Wochen
eventuell Azathioprin
2–2,5 mg/kg KG/Tag oder MTX 25 mg/Woche
Bei häufigen Schüben Azathioprin
2–2,5 mg/kg KG/Tag oder MTX 25 mg/Woche
Therapieerfolg Therapieerfolg
Kein Ansprechen nach 10–14 Tagen
Prednisolon 50–60 mg/Tag i.v.
Kein Ansprechen
Infliximab 5 mg/kg KG
Abbildung 1: Algorithmus: Therapie des Morbus Crohn (schwerer Schub)
Mesalazin 3–5 g/Tag
Therapieerfolg
Therapieversagen
Erhaltungstherapie Mesalazin > 1,5 g/Tag
Prednisolon 50–60 mg/Tag oral
Therapieerfolg
Abbildung 2: Algorithmus: Therapie der Colitis ulcerosa (mittlere Aktivität)
Therapieerfolg
Prednisolon 50–60 mg/Tag oral
Dauertherapie Mesalazin > 1,5 g/Tag
Therapieerfolg
Therapieversagen
Prednisolon 50–60 mg/Tag i.v.
Therapieversagen
chender Wirkung kann auf Methotrexat (25 mg 1 x pro Woche) umgestellt werden. Bei fehlender Wirkung ist eine Therapie mit Infliximab indiziert. Die immunsuppressive Therapie sollte langfristig (mindestens 4 Jahre) zur Remissionserhaltung erfolgen.
Therapie der Colitis ulcerosa
Bei leichter bis mittlerer Aktivität der Colitis
ulcerosa kann eine distale Kolitis durch topi-
sche Applikation von Aminosalicylaten oder
Steroiden behandelt werden. Bei Ausdehnung
bis zur linken Flexur kann die lokale Therapie
durch Mesalazin oral ergänzt werden. Bei aus-
gedehnter Kolitis werden orale Mesalazin-Prä-
parate eingesetzt. Sollte die Therapie innerhalb
von 10 bis 14 Tagen keinen Erfolg zeigen, er-
folgt eine Umstellung auf 60 mg Prednisolon-
Äquivalent pro Tag. Zur Remissionserhaltung
sollte eine Behandlung mit Mesalazin 1,5 g pro
Tag erfolgen (Abbildung 2).
Bei schweren Verlaufsformen ist sowohl zur
Einleitung als auch zur Remissionserhaltung
eine zusätzliche immunsuppressive Therapie
erforderlich (Abbildung 3).
Bei Patienten mit Colitis ulcerosa besteht ein
erhöhtes Risiko für die Entstehung eines
Kolonkarzinoms. Sie bedürfen deshalb einer
regelmässigen koloskopischen Überwachung.
Eine Operationsindikation ist gegeben, wenn
Komplikationen der Erkrankung durch eine
medikamentöse Therapie nicht mehr be-
herrschbar sind. Beim Morbus Crohn wären
dies Stenosen mit Entwicklung eines Subileus/
Ileus, Abszesse oder Fisteln. Bei der Colitis
ulcerosa ist das toxische Megakolon eine
Operationsindikation. Im Rahmen des Über-
wachungsprogramms zur Karzinomprophy-
laxe stellt der Nachweis einer hochgradigen
intraepithelialen Neoplasie eine Indikation zur
Kolektomie dar.
■
Azathioprin* 2–2,5 mg/kg KG/Tag
Therapieerfolg
Infliximab 5 mg/kg oder Cyclosporin A 4 mg/kg KG/Tag i.v.
Abbildung 3: Algorithmus: Therapie der Colitis ulcerosa (schwere Aktivität)
Prof. Dr. med. Bernd Limberg Städtisches Klinikum Wolfenbüttel GmbH
Klinik für Innere Medizin – Gastroenterologie
D-38302 Wolfenbüttel
Methotrexat (MTX) erfolgen. Die Gabe von Infliximab ist schweren Verläufen vorbehalten. Der chronisch aktive Morbus Crohn erfordert eine langfristige Immunsuppression, um die Zahl der Rezidive und die Notwendigkeit der Steroidgabe zu reduzieren. Azathioprin ist dabei das Mittel der ersten Wahl. Bei Unverträglichkeit oder nicht ausrei-
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 11/2006. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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