Transkript
VERNETZT
IGOMED-Ärztenetzwerk Raum Thun – Bilanz nach zehn Jahren
Die Integrierte Gesundheitsversorgung im Raum Thun zeigt, dass eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Ärzten der Grundversorgung, Spezialärzten und Spitalärzten sowie Versicherern und deren Managed-Care-Versicherten möglich ist.
Zehn Jahre Erfahrung mit Managed-Care-Modellen in der Schweiz
Das 1996 eingeführte Krankenversicherungsgesetz verfolgt unter anderem das Ziel, mithilfe von Managed-Care-Konzepten die Qualität und Effizienz der Krankenversorgung zu verbessern (Art. 41 Abs. 4, Art. 58, 62, 64 Abs. 6c KVG). HMO und Hausarztmodelle sollten durch den Kassenwettbewerb und durch finanzielle Anreize für die Versicherten gefördert werden. Zehn Jahre nach Inkrafttreten des KVG fällt die Bilanz jedoch bescheiden aus: Heute sind weniger als 10 Prozent der Versicherten in ein Hausarztmodell oder in eine HMO eingeschrieben. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive der Versicherer sind HMO und Hausarztmodelle nur dann sinnvoll, wenn es gelingt, die bereits bei ihnen versicherten «schlechten» Risiken, also vor allem chronisch Kranke, von der Nutzung dieser Versicherungsformen zu überzeugen. Bei den guten Risiken sind die Einsparmöglichkeiten vergleichsweise gering, da sie auch in der normalen Versicherung keine oder nur geringe Kosten verursachen würden. Nach dem Abklingen
der anfänglichen Euphorie zogen sich deshalb insbesondere einige Grosskassen aus den Kooperationsverträgen zurück, ohne Alternativen in Zusammenarbeit mit den bestehenden Ärztenetzwerken anzubieten. Gerade wegen des ungenügenden Risikoausgleichs, welcher heute nur das Alter und das Geschlecht berücksichtigt, ist es offenbar für die Versicherer nach wie vor interessanter, Konkurrenzvorteile durch das Umwerben von guten Risiken als durch effizientere Versorgungsmodelle zu erzielen. Zudem tun sich auch Politik und Behörden schwer bei der Umsetzung von wirksamen Massnahmen im Rahmen der KVG-Revision. Die Machtpolitik der namhaften Krankenversicherer und wirtschaftliche Interessen wiegen schwerer als der Wille zur Schaffung von Anreizsystemen in Richtung einer institutionsübergreifenden Integration der Patientenbehandlung.
Zehn Jahre Erfahrung von IGOMED
Bei seiner Gründung im Jahr 1995 hat sich der Ärzteverein IGOMED zum Ziel gesetzt, die medizinische Betreuung der Bevölkerung im Grossraum Thun nach den Kriterien von Managed Care – hoch
stehende qualitative Gesundheitsversorgung unter ökonomischem Einsatz der Mittel – zu verbessern. Dabei wurden von Anfang an die aus den verschiedenen Modellen nunmehr bekannten Schlüssel-Erfolgsfaktoren von Managed Care berücksichtigt. Diese sind: 1. Berücksichtigung der ganzen Behandlungskette (ambulante Grundversorgung – ambulante spezialärztliche Versorgung – stationäre Spitalversorgung). 2. ein wirksames Management des Zugangs zu hoch spezialisierten Versorgungsstrukturen durch Steuerung der Behandlungskette. 3. ein professioneller Umgang mit der fall- beziehungsweise patientenbezogenen Leistungserbringung – Stichwort Kosten-Nutzen-Effizienz. 4. ein funktionierender Informationsund Datenaustausch entlang der Behandlungskette. Somit gab es bereits in den Anfängen der Entwicklung von Managed Care in der Schweiz ein funktionierendes System, welches sich als sogenanntes «integriertes Gesundheitsversorgungssystem» versteht und in erster Linie auf Vernetzung, optimierten Abläufen und Transparenz und nicht auf dirigistisch reglementierten Vorgaben der Kostenträger beruht. Der im Jahr 2002 noch grösste Versicherer kündigte seine Verträge mit den Ärztenetzwerken und ihren entsprechenden Versicherten mit Ausnahme des Vertrages mit dem Ärzteverein IGOMED. Dies lässt den Schluss zu, dass offenbar einzig das IGOMED-Modell für den Versicherer trotz einem Prämienrabatt von 15 Prozent profitabel ist, und dass der Grundgedanke der Integration von Spezialisten und Spitalärzten gegenüber reinen Hausartmodellen doch Vorteile bietet.
902 ARS MEDICI 19 s 2006
VERNETZT
Zentrale Aufgaben und Kompetenzen des Ärztenetzwerkes IGOMED
Managed-Care-Verträge mit Versicherungen
s Ärztenetzwerk als Vertragspartner: Basisvertrag zwischen Ärztenetzwerk und Versicherung mit freiwilligem Anschlussvertrag der einzelnen Netzwerkmitglieder
s Paritätische Systementwicklung gemäss WZW-Kriterien aufgrund vergleichbarer statistischer Daten
s Eine Budgetmitverantwortung ist nur auf Ebene Netzwerk aufgrund klar definierter Erfolgsbemessungsformeln und morbiditätsbereinigtem Risikoausgleich verhandelbar
s Entschädigung des Ärztenetzwerkes für Systemaufwand mit fixem und erfolgsabhängigem variablem Anteil
Organisation im Ärztenetzwerk
s Entscheid über Aufnahme oder Verbleib von Ärzten im Netzwerk gemäss Selektionskriterien
s Netzwerkspezifische Weiter- und Fortbildung s Koordination von Behandlungs- und Betreuungsprozessen – Disease-Management s Freie Arztwahl (inkl. Spezialisten) innerhalb des Ärztenetzwerkes für Patienten
Qualitätsentwicklung
s Evaluation und Entwicklung von Leitplanken und Anreizen für alle Beteiligten, z.B. differenzierte Kontrahierung für Ärzte, differenzierte Kostenbeteiligung für Patienten
Jedenfalls zeichnet sich IGOMED dadurch aus, dass sich die im Netzwerk Versicherten seit zehn Jahren durch eine relativ konstante, zu ihren Gunsten ausfallende Kostendifferenz von 18 Prozent auszeichnen (Extremwerte 15–23%), und dies trotz des Trittbrettfahrereffekts. Damit ist die Tatsache gemeint, dass die übrigen Versicherten von den mitmachenden Hausärzten genauso kostengünstig behandelt werden wie Netzwerk-Versicherte. Eigentlich würde man erwarten, dass dadurch die Differenz langsam aber stetig abnimmt. Im ge-
samtschweizerischen Vergleich bewegen sich die Einsparungen bei den IGOMEDVersicherten im oberen Mittelfeld, und dies trotz Einbezug von Spezialisten und Spitalärzten. Am deutlichsten wird die Kostendifferenz bei der stationären Behandlung im Spital sichtbar, ohne dass dadurch aber die ambulante Behandlung bei den niedergelassenen Ärzten und im Spital teurer wird als beim Vergleichskollektiv. Anfang letzten Jahres hat sich IGOMED als eines der grössten Ärztenetzwerke mit 116 Ärzten und bald 8000 Versicher-
ten zum Beitritt zu med-swiss.net, dem Dachverband der Schweizer Ärztenetzwerke, entschlossen. Mit einem neuen Vorstand und neuen Managed-Care-Verträgen will sich der Verein von seiner bis anhin lockeren Form der Zusammenarbeit hin zu mehr Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit bezüglich Qualität und Wirtschaftlichkeit der Behandlung verändern. Dabei orientiert sich IGOMED an den Kriterien, wie sie heute von Experten aus der Managed-Care-Szene gefordert werden (vgl. Kasten).
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das integrierte Ärztenetzwerk IGOMED Thun nicht nur eine Verbesserung der Zusammenarbeit unter den Ärzten und eine signifikante Kosteneinsparung zugunsten der Versicherer und deren Versicherten gebracht hat. Die positiven Erfahrungen von IGOMED haben gezeigt, dass offenbar ein integraler Ansatz, also eine institutionsübergreifende Integration der Arbeitsprozesse entlang des Behandlungspfades, langfristig die richtigen Anreize für eine sinnvolle Entwicklung und Verbesserung unseres Gesundheitswesens geben kann. Ob durch die Förderung von integrierten Ärztenetzwerken eine echte Verbesserung der Kosten-Nutzen-Effizienz möglich ist, wird die Zukunft weisen. s
Für den Vorstand der IGOMED: Ueli Bodmer
Arzt für Allgemeine Medizin FMH Medical Manager FH
Gründungsmitglied und ehemaliger Präsident IGOMED
ARS MEDICI 19 s 2006 903