Transkript
FORTBILDUNG
Die Behandlung der Gicht
Dank moderner Medikamente lässt sich die Gicht heute sehr gut therapieren. Doch sind auch nicht medikamentöse Massnahmen wie Alkoholrestriktion und Abbau von Übergewicht von Bedeutung. Was im akuten Gichtanfall und bei chronischer Gicht zu tun ist, fassen Experten im «American Journal of Managed Care» zusammen.
Merksätze
■ Der akute Gichtanfall kann bei ansonsten gesunden Patienten mit einem nicht steroidalen Antirheumatikum oder mit oralem Colchicin behandelt werden.
■ Liegt eine Niereninsuffizienz vor, sollte im akuten Gichtanfall ein Kortikosteroid (z.B. Prednison) verabreicht werden.
■ Bei Monarthritis kommt eine intraartikuläre Kortikosteroidinjektion in Betracht.
■ Für die Dauerbehandlung der chronischen Gicht ist meist Allopurinol das Mittel der Wahl. Liegt eine Allergie auf Allopurinol vor, kommen Urikosurika wie z.B. Probenecid infrage.
THE AMERICAN JOURNAL OF MANAGED CARE
Purine spielen bei vielen physiologischen Vorgängen eine Schlüsselrolle. So sind sie wichtige Bestandteile von Neurotransmittern, Antioxidanzien und Nukleinsäuren. Beim Menschen ist die Harnsäure das Endprodukt des Purinabbaus. Zwei Drittel der täglich anfallenden Harnsäure werden endogen gebildet, ein Drittel der Harnsäure stammt aus der Nahrung. Die Harnsäureausscheidung erfolgt überwiegend über die Nieren, ein Teil wird über den Gastrointestinaltrakt eliminiert. Bei primärer Gicht ist die Hyperurikämie meist auf eine zu geringe renale Harnsäuresekretion zurückzuführen (90% der Patienten), in 10 Prozent ist sie Folge einer endogenen Überproduktion von Harnsäure. Bei Hyperurikämie kann es zur Ausfällung von Uratkristallen und zu heftigen Entzündungsreaktionen kommen (akuter Gichtanfall). Verschiedene Faktoren wie Bluthochdruck, die Einnahme von Thiazid- oder Schleifendiuretika, Übergewicht, hoher Alkoholkonsum und der Verzehr grosser Fleischmengen tragen zur Entwicklung der Hyperurikämie beziehungsweise Gicht bei. Bei sehr vielen Gichtpatienten liegt eine Hyperinsulinämie oder eine Insulinresistenz vor.
Modifikation des Lebensstils und Einfluss von Medikamenten
Der Verzehr von purinreichem Fleisch und Meeresfrüchten geht mit einem erhöhten Gichtrisiko einher, während purinreiche Gemüsesorten wie zum Beispiel Spinat das Gichtrisiko offensichtlich nicht erhöhen. In einer Pilotstudie mit männlichen Gichtpatienten erwies sich eine Diät mit mässiger Kalorien- und Kohlenhydratrestriktion und mit einem erhöhten Anteil an Proteinen und ungesättigten Fettsäuren als vorteilhaft: Die Harnsäurespiegel sanken, und akute Gichtanfälle gingen signifikant zurück. Ausserdem kam es zur Gewichtsabnahme. Zwischen Alkoholkonsum und Gicht besteht ein enger Zusammenhang. Patienten mit Hyperurikämie sollten auf Alkohol verzichten oder den Alkoholkonsum zumindest stark einschränken. Bluthochdruck führt zu einer reduzierten renalen Harnsäureausscheidung, und Thiazid- und Schleifendiuretika, die häufig zur Behandlung der Hypertonie eingesetzt werden, erhöhen die Harnsäurespiegel im Serum zusätzlich. Niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS) drosselt die renale Harnsäureexkretion, während hohe ASS-Dosen urikosurisch wirken. Letzteres trifft auch für Östrogen, Losartan (Cosaar®) und Fenofibrat (Lipanthyl®) zu.
914 ARS MEDICI 19 ■ 2006
DIE BEHANDLUNG DER GICHT
Pharmakotherapie der akuten Gicht
Wichtigstes Behandlungsziel im akuten Gichtanfall ist es, die Schmerzen und Entzündungsvorgänge rasch zu beheben. Bei den meisten Patienten mit akutem Gichtanfall, die ansonsten gesund sind, gilt ein nicht steroidales Antirheumatikum (NSAR) als Mittel der ersten Wahl. Die meisten NSAR haben sich als etwa gleich wirksam erwiesen. Die Behandlung sollte möglichst früh einsetzen, wobei das NSAR in den ersten 24 bis 48 Stunden höher dosiert wird. Lässt die Symptomatik nach, kann die NSAR-Dosis reduziert werden. Der Einsatz der NSAR wird durch die bekannten Nebenwirkungen limitiert. In folgenden Situationen sollten NSAR mit Vorsicht beziehungsweise gar nicht eingesetzt werden: bei signifikanter Beeinträchtigung der Nierenfunktion, schlecht kontrollierter Herzinsuffizienz, Leberfunktionsstörung, unter Antikoagulanzientherapie oder bei aktivem peptischem Ulkus in der Vorgeschichte. Colchicin wirkt in den ersten 12 bis 24 Stunden des Gichtanfalls am besten. Jedoch weist Colchicin nur ein schmales therapeutisches Fenster auf und führt häufig zu gastrointestinalen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall. Colchicin wird meist oral verabreicht. Die intravenöse Gabe sollte nur im Krankenhaus erfolgen und von entsprechend erfahrenen Ärzten durchgeführt werden. Patienten mit Leukopenie oder signifikanter Nieren- oder Leberfunktionsstörung sollten nicht mit Colchicin behandelt werden. Falls Kontraindikationen gegen NSAR oder Colchicin vorliegen, können Kortikosteroide eingesetzt werden. Das gilt auch für Patienten, die auf NSAR oder Colchicin nicht ausreichend ansprechen. Bei Niereninsuffizienz empfehlen die Autoren 30 bis 60 mg Prednison täglich für die ersten ein bis drei Tage. Anschliessend sollte die Dosis reduziert werden. Intraartikuläre Kortikosteroidinjektionen sind besonders vorteilhaft, wenn nur ein oder zwei Gelenke von dem Gichtanfall betroffen sind. Orale Medikamente, die zur Behandlung des akuten Gichtanfalls eingesetzt werden, sollten in der Dosis reduziert werden, sobald die Symptomatik nachlässt. In den meisten Fällen kann die Medikation innerhalb von zwei Wochen abgesetzt werden. Erst wenn sich die akuten Beschwerden vollständig zurückgebildet haben, dürfen harnsäuresenkende Mittel verabreicht werden.
Pharmakotherapie der chronischen Gicht
Es besteht kein allgemeiner Konsens, wann mit einer harnsäuresenkenden Therapie zu beginnen ist, schreiben die Autoren. Die meisten Rheumatologen sind der Ansicht, dass eine harnsäuresenkende Therapie eingeleitet werden sollte, wenn der
Patient mindestens zweimal jährlich an einer akuten Gichtarth-
ritis leidet oder wenn Uratablagerungen (Tophi) in den Weich-
teilen oder Knochen vorliegen. Ziel der antihyperurikämischen
Therapie ist es, die Harnsäurespiegel im Serum auf 5 bis 6
mg/dl oder weniger zu senken.
Vor Beginn einer urikosurischen Therapie empfiehlt sich die Be-
stimmung der Harnsäureausscheidung im 24-Stunden-Urin.
Während eines akuten Gichtanfalls sollte keine harnsäuresen-
kende Behandlung eingeleitet werden. Erleidet ein Patient unter
laufender harnsäuresenkender Therapie einen Gichtanfall,
sollte das harnsäuresenkende Mittel hingegen nicht abgesetzt
werden.
In den meisten Fällen ist das Urikostatikum Allopurinol (Zylo-
ric® und Generika) Mittel der Wahl, das die Xanthinoxidase
hemmt und zu einer verminderten Harnsäurebildung führt.
Allopurinol wird einmal täglich verabreicht und sollte bei Nie-
reninsuffizienz anfangs niedrig dosiert werden. Unter Allopuri-
nol kann es zu Nebenwirkungen wie Hautausschlag, Juckreiz,
Fieber und Durchfall kommen, auch ist ein dosisabhängiges
Allopurinol-Überempfindlichkeitssyndrom beschrieben, das
insbesondere bei Niereninsuffizienten beobachtet wird. Zwi-
schen Allopurinol und Azathioprin (z.B. Imurek®) beziehungs-
weise Ampicillin kann es zu erheblichen Wechselwirkungen
kommen.
Patienten mit Allopurinol-Allergie und verminderter Harnsäu-
reausscheidung können mit einem Urikosurikum wie Probenecid
(Santuril®) behandelt werden, vorausgesetzt, die Nierenfunk-
tion ist normal und es liegen keine Nierensteine vor. Zu Beginn
der Therapie kann es zu Harnsäureausfällungen in den Nie-
rentubuli und zur Harnsteinbildung kommen. Deshalb emp-
fehlen die Autoren eine langsame Dosissteigerung und eine
hohe Flüssigkeitszufuhr, um ein grosses Harnvolumen zu er-
zielen. Darüber hinaus kann der Harn alkalisiert werden.
Wird eine harnsäuresenkende Therapie eingeleitet, sollte – falls
keine Kontraindikationen bestehen – zusätzlich Colchicin oder
ein NSAR verabreicht werden, um Gichtanfällen vorzubeugen.
Diese Prophylaxe ist über mindestens drei bis sechs Monate
durchzuführen.
Nach Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie müssen die
Serum-Harnsäurespiegel alle drei bis sechs Monate kontrolliert
werden. Die Medikation ist so zu dosieren, dass ein Harnsäure-
spiegel von < 6 mg/dl erreicht wird. ■ Amy C. Cannella et al.: Understanding treatments for gout. The American Journal of Managed Care 2005; Vol. 11 (No. 15), Sup.: S451–S458. Andrea Wülker Interessenkonflikte: keine deklariert ARS MEDICI 19 ■ 2006 915