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BERICHT
Bisphosphonat bei Osteoporose als Monatstablette
Bessere Compliance bei Langzeitmedikation ist möglich
Bisphosphonate können das Risiko Osteoporose-bedingter Frakturen bei Frauen nach der Menopause vermindern, müssen jedoch über Jahre hinweg regelmässig eingenommen werden. Wie bei vielen chronischen Erkrankungen ist die Compliance ein grosses Problem. Von Präparaten, die nur einmal im Monat oder in noch grösseren Intervallen verabreicht werden müssen, erhofft man sich eine deutliche Verbesserung der Situation. Auf Einladung von GlaxoSmithKline erläuterten OsteoporoseExperten ihre Erfahrungen mit dem Bisphosphonat Ibandronat in einem Pressegespräch anlässlich des diesjährigen Kongresses der American Society for Bone and Mineral Research, der vom 15. bis 19. September in Philadelphia stattgefunden hat.
RENATE BONIFER
Fragt man Patientinnen nach den Gründen, warum sie ihre Bisphosphonate nicht pünktlich einnehmen, so bekommt man am häufigsten zu hören, dass ihnen die strikten Einnahmeregeln und die Nebenwirkungen auf Dauer zu lästig werden. Wenig motivierend ist auch die Tatsache, dass sie etwas einnehmen, dessen Wirkung sie nicht unmittelbar spüren können. Während man dieses allzu menschliche Problem aller präventivmedizinischen Massnahmen vermutlich auch durch noch so viel Aufklärung nie vollständig wird ausräumen können, lässt sich bezüglich der Einnahmefrequenz durchaus etwas machen, sodass allfällige Unannehmlichkeiten seltener zum Tragen kommen. Fast drei Viertel aller OsteoporosePatientinnen würden hierzulande die monatliche Einnahme ihres Medikaments der wöchentlichen Dosis vorziehen. Dies ergab eine Umfrage unter 633 Patientinnen in 125 Facharztpraxen vor der Einführung der Ibandronat-Monatstablette (Bonviva®) in der Schweiz, berichtete Professor Dr. med. Robert Theiler, Chef-
arzt der Klinik für Rheumatologie und Rehabilitation am Stadtspital Triemli in Zürich. 73 Prozent der Frauen erhielten zum Zeitpunkt der Umfrage eine Bisphosphonattherapie mit einmal wöchentlicher Dosierung, drei Prozent nahmen eine solche Substanz täglich ein. Ähnliche Resultate ergaben die europaund weltweiten BALTO-Studien (1), bestätigte Professor E. Michael Lewiecki, Dozent an der University of New Mexico School of Medicine und Direktor des New Mexico Clinical Research & Osteoporosis Center.
Frakturrisiko und Knochenstoffwechsel Ibandronat war das erste Bisphosphonat, für das auch bei intermittierender Gabe eine Risikominderung für neue vertebrale Frakturen bei Frauen mit bereits vorhandenen Wirbelkörperbrüchen nachgewiesen werden konnte. In der 2004 publizierten, randomisierten, doppelblinden BONE-Studie (2) sank das Risiko weiterer Wirbelkörperbrüche nach drei Jahren gegenüber Plazebo um 62 Prozent bei 2,5 mg/Tag und um 50 Prozent bei intermittierender Gabe (20 mg
Ibandronat jeden zweiten Tag insgesamt zwölf Mal, drei Monate Pause, dann erneut 24 Tage mit 20 mg jeden zweiten Tag). 2946 Osteoporose-Patientinnen nahmen daran teil. Statistisch betrachtet mussten 10,6 Patientinnen behandelt werden, damit eine davon profitierte (Number needed to treat). Nach den ermutigenden Resultaten der BONE-Studie testete man verschiedene Einnahmeintervalle in der sich anschliessenden MOBILE-Studie (3) mit 1609 postmenopausalen OsteoporosePatientinnen. Nach zwei Jahren wurden die Effekte von Ibandronat auf den Knochenstoffwechsel in den Dosierungen 2,5 mg täglich sowie 50, 100 oder 150 mg einmal pro Monat verglichen. Dabei zeigten sich die besten Resultate mit der Dosierung 150 mg 1 × im Monat bei vergleichbarer Verträglichkeit aller Dosierungen. Die Knochendichte der Wirbelkörper stieg damit nach einem Jahr um 4,9 Prozent und nach zwei Jahren um 6,6 Prozent gegenüber dem Ausgangswert; für den Hüftknochen betrug die Steigerung 3,1 Prozent nach einem Jahr und 4,2 Prozent nach zwei Jahren. Die MOBILE-Studie wird fortgesetzt, um langfristige Effekte zu erfassen. 3-JahresDaten wurden erstmals am diesjährigen Kongress der American Society for Bone and Mineral Research präsentiert. Demnach steigt die vertebrale Knochendichte im dritten Jahr bei 150 mg/Monat um weitere 1,5 Prozent, die der Hüftknochen um weitere 0,3 Prozent.
Machen Bisphosphonate die Knochen spröde? Alle Biphosphonate reduzieren die Umbaurate des Knochens, sodass nachteilige Langzeitfolgen für die Knochenelastizität befürchtet werden. Ibandronat senke die Knochenumbaurate auf
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BERICHT
prämenopausale Werte, aber nicht darunter, sagte Michael Lewiecki. Die theoretisch begründete Sorge mangelhafter Knochenregeneration unter Bisphosphonaten sei darum unbegründet, zumal entsprechende Langzeitbeobachtungen unter Alendronat keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Knochenqualität lieferten. Zwar gebe es vereinzelte Fallberichte über Patienten unter Bisphosphonaten mit extrem vermindertem Knochenstoffwechsel, jedoch sei nicht klar, ob dies tatsächlich auf das Bisphosphonat zurückzuführen sei. Aus diesen Gründen spräche nichts gegen eine Langzeitherapie mit Bisphosphonaten, so Lewiecki. In der Schweiz wird eine Bisphosphonatpause nach vier bis fünf Jahren empfohlen, wobei nach ein bis zwei Jahren die Knochendichte erneut zu messen und die Wiederaufnahme der Medikation zu prüfen ist. Allerdings muss das Frakturrisiko individuell beurteilt werden, und viele weitere Faktoren, wie zum Beispiel ein erhöhtes Sturzrisiko bei älteren Menschen, sind dabei zu bedenken, betonte Robert Theiler. Zu einem allfälligen Off-label-Gebrauch von Bisphosphonaten bei Frauen vor der Menopause, zum Beispiel zur Osteoporoseprävention bei der Langzeitmedikation mit systemischen Kortikosteroiden, rät Lewiecki nicht. Zwar habe er Bisphosphonate in Ausnahmefällen auch prämenopausalen Frauen mit einer sehr hohen Kortikoiddosierung und bereits eingetretenen Frakturen gegeben, aber nur mit einer sehr deutlichen Warnung, dass sie in den nächsten Jahren nicht schwanger werden dürften. Generell sei von diesen Substanzen bei prämenopausalen Frauen wegen der Risiken im Fall einer Schwangerschaft abzuraten.
Gute Verträglichkeit Die BONE-Studie ergab keinen Unterschied hinsichtlich der Nebenwirkungen unter Ibandronat im Vergleich zu Plazebo. Ebenso ergab sich kein statistisch messbarer Unterschied zwischen den verschiedenen Dosierungen in der MOBILEStudie. Trotzdem muss man in der Praxis mit Nebenwirkungen rechnen, da «typischerweise 20 Prozent der Patienten
über Sodbrennen oder Magenverstimmung berichten, egal ob sie ein Bisphosphonat oder ein Plazebo bekommen», sagte Michael Lewiecki. Man müsse auch immer bedenken, dass die Patienten in der Praxis meist unter mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden, darunter auch solchen, die sie möglicherweise von einer entsprechenden Studie ausgeschlossen hätten. «Interessanterweise führt das Absetzen des Medikaments zum Verschwinden der Symptome, aber sie kommen bei rund der Hälfte der Patientinnen auch dann nicht wieder, wenn man ihnen nach einer Pause die gleiche Pille wieder gibt», schilderte Lewiecki seine Erfahrungen aus der Praxis. «Gastrointestinale Probleme sind weit verbreitet, auch bei Personen, die gar keine Medikamente einnehmen», ergänzte Robert Theiler. Darum sei es mitunter sehr schwierig, eine Nebenwirkung eindeutig zuzuordnen. So können selbst Kalziumsupplemente, die bei Osteoporose zur Basistherapie gehören, eine ganze Reihe gastrointestinaler Beschwerden verursachen. Insbesondere bei intravenös applizierten Bisphosphonaten können grippeartige Symptome mit Fieber, Muskel- und Gelenkschmerzen bei etwa 10 bis 15 Prozent der Patienten vorkommen. Manchmal treten diese auch bei der Einnahme der ersten Monatstablette auf, sagte Michael Lewiecki. Bei rund 80 Prozent dieser Patientinnen kämen sie kein zweites Mal vor, oder sie würden von Mal zu Mal geringer. Da die Symptome die Patientinnen ängstigen, sei es wichtig, darauf hinzuweisen und gegebenfalls die Einnahme von Acetylsalicylsäure zur Linderung zu empfehlen.
Steigert «1 x im Monat» die Compliance? Die eingangs erwähnten Umfrageergebnisse legen eine Steigerung der Compliance durch die Monatstablette nahe, doch erst die Alltagserfahrung wird zeigen, ob sich diese Hoffnung erfüllt. Michael Lewiecki berichtete von einer britischen Beobachtungsstudie4, wonach der Anteil der therapietreuen Patientinnen bei der Monatstablette nach sechs Monaten höher war als bei Patientinnen mit einem wöchent-
lichen Bisphosphonat (57 vs. 39 Prozent).
Allerdings wird die Monatstablette in
Grossbritannien – anders als in der Schweiz
oder anderen europäischen Ländern –
zusammen mit einem Telefonservice ver-
ordnet, mit dem die Patientinnen an die
Einnahme erinnert werden, während dies
bei dem wöchentlichen Präparat nicht der
Fall ist; die beiden Gruppen waren streng
genommen also nicht vergleichbar.
Wichtig sei es auf alle Fälle, den Patien-
tinnen nicht nur einfach das Bisphos-
phonat in die Hand zu drücken, betonte
Lewiecki. Wenn er bei einer Patientin mit
Bisphosphonaten beginnt, bestellt er sie
nach wenigen Monaten wieder ein und
fragt systematisch ab, ob und wie sie ihr
Medikament einnimmt. Ganz wichtig sei
es auch, ausdrücklich nachzufragen, ob
die Kalziumpräparate und das Vitamin D
auch weiterhin regelmässig eingenom-
men werden. Patienten hätten eine Ten-
denz, diese wichtige Basistherapie zu
vergessen, sobald sie ein Medikament
gegen Osteoporose bekommen. Robert
Theiler, der gerade eine neue, vom
Schweizer Nationalfonds unterstützte
Studie zum Vitamin D in der Rehabilita-
tion nach Hüftfrakturen begonnen hat,
konnte dem nur zustimmen.
Voraussichtlich bis Ende dieses Jahres
wird in der Schweiz das i.v.-Ibandronat
verfügbar sein. Robert Theiler verspricht
sich davon insbesondere Vorteile für äl-
tere Patientinnen, die mit einer Tablet-
teneinnahme – sei sie nun wöchentlich
oder monatlich – generell überfordert
sind.
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Renate Bonifer
1. BALTO: Bonviva versus Alendronat Trial in Osteoporosis; Emkey R., Curr Med Res Opin 2005, 21: 1895–1903.
2. BONE: Oral Ibandronate Osteoporosis Vertebral Fracture Trial in North America and Europe; Chestnut C.H. et al., J Bone Min Res 2004, 19(8): 1241–1248.
3. MOBILE: Monthly Oral Ibandronate in Ladies; Reginster J.Y. et al.: Ann Rheum Dis 2006, 65: 654–661.
4. Cooper A. et al., Int J Clin Pract. 2006 Aug; 60(8): 896–905.
Interessenlage: Die Berichterstattung wurde von GlaxoSmithKline finanziell unterstützt.
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