Transkript
FORTBILDUNG
Behandlungsstrategie bei Arthrose
Ein kurzer Überblick unter Berücksichtigung der pflanzlichen Entzündungshemmer
Bei der Behandlung der Arthrose (im englischen Sprachraum Osteoarthritis) stehen die Linde-
Merksätze
rung der Schmerzen und die Verbesserung der
Lebensqualität im Vordergrund, wobei die
Behandlung aufgrund ihres Langzeitcharakters
möglichst nebenwirkungsarm sein sollte,
da eine krankheitsspezifische antiarthrotische
Behandlung nicht zur Verfügung steht.
JULIA E. CHRUBASIK1, 2 UND ULF MÜLLER-LADNER1
Die pharmakologischen und nicht pharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten der Arthrose wurden vor gut zehn Jahren unter anderem in den Guidelines des American College of Rheumatology (ACR) zusammengefasst (30, 31). Empfehlungen zur chirurgischen Behandlung sind darin allerdings nicht enthalten. In der Zwischenzeit – seit Veröffentlichung der Guidelines 1995 – wurden verschiedene systematische Reviews, Metaanalysen und qualitativ gute klinische Studien zur Behandlung mit Synthetika veröffentlicht (24, 59–61, 63), sodass die Therapieempfehlungen angepasst werden mussten. Sie sind auf der Internetseite des American College of Rheumatology publiziert (www.rheumatology.org/publications/guidelines/oa-mgmt/ oa-mgmt.asp?aud=mem).
Medikamentöse Behandlung Bei geringen bis mässigen Schmerzen
Bei geringen bis mässigen Schmerzen wird an erster Stelle die Behandlung mit dem Analgetikum Paracetamol empfohlen. Der
1Abteilung für Rheumatologie und Klinische Immunologie, Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim / Lehrstuhl für Innere Medizin mit Schwerpunkt Rheumatologie der Justus-LiebigUniversität Giessen, Benekestrasse 2–8, D-61231 Bad Nauheim 2Institut für Rechtsmedizin, Albert-Ludwig-Universität Freiburg, Albertstrasse 9 D-79104 Freiburg
■ Paracetamol ist bei leichten bis mässigen Schmerzen in der Regel das Analgetikum der ersten Wahl. Bei Patienten, die mehrere lebertoxische Medikamente erhalten, ist aber Vorsicht geboten.
■ Bei mässigen bis starken Schmerzen sind zumeist NSAR indiziert. Zu beachten ist, dass bei Risikopatienten ein gleichzeitiger Magenschutz erforderlich ist. Bei Erfolglosigkeit kommen auch Opioide in Betracht.
■ Phytotherapeutika werden in den aktuellen Guidelines nicht erwähnt. Einige dürften aber durchaus bei geringen bis mässigen Schmerzen eine Alternative sein.
■ Nicht medikamentöse Massnahmen sollten voll ausgeschöpft werden, um die Medikamentendosen gering zu halten.
Therapieerfolg kann dabei ebenso gut sein wie mit nicht steroidalen Antirheumatika (6, 17, 60, 61, 65), allerdings muss auf die mögliche Lebertoxizität geachtet werden, in erster Linie bei älteren Patienten, bei denen mehrere potenziell lebertoxische Medikamente zum Einsatz kommen (48, 64). Die Paracetamol-Tagesdosis sollte daher 4 g nicht überschreiten. Weiterhin sind beispielsweise Interaktionen mit Warfarin beschrieben (34, 51). Nierenschäden treten dagegen bei einer Dosierung unter 4 g/Tag selten auf (28). Bei Patienten mit geringen bis mässigen Schmerzen, die auf eine Behandlung mit Paracetamol nicht ansprechen, kann eine lokale Applikation von Analgetika (z.B. Methylsalicylat, Diclofenac oder Capsaicin-Creme) in Betracht gezogen werden (als zusätzliche Therapie oder als Monotherapie). Bei der Behandlung muss beachtet werden, dass sie mehrmals täglich aufgetragen werden müssen und dass Hautsensationen auftreten können, zum Beispiel Hautrötung oder Brennen, die aber nur selten zum Abbruch der Behandlung führen (42).
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Danach sind Coxibe obsolet bei Patienten mit
Tabelle: Phytotherapeutika bei Gelenkerkrankungen, empfohlene Dosierungen und Gehalt an Markersubstanz(en) in der Tagesdosis
ischämischen Herzerkrankungen, Schlaganfall und peripheren Durchblutungsstörungen. Risikofaktoren wie zum Beispiel Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte, Diabetes und Rauchen, erhöhen
das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen.
Zubereitungen aus
Tagesdosis (mg)
Markersubstanz(en)/Tag
Die selten auftretenden Hautreaktionen können
Teufelskrallenwurzel
4,5–9 g Extrakt
50 bis 100 mg Harpagosid
tödlich verlaufen. Deshalb sollten Coxibe nur in
Scheinfrüchten der Hagebutte 5–10 g Pulver
Weidenrinde
Extrakt mit
Brennnesselkraut/-blättern 12–15 g Kraut/Blätter
Johannisbeerblättern
20–50 g Blätter
Johannisbeersamen
Öl mit
Nachtkerzensamenöl
Öl mit
Boretschsamenöl
Öl mit
1,5–3 mg Galactolipid 120–240 mg Salicin Nicht definiert 300 bis 750 mg Rutin bis 3 g Gammalinolensäure bis 3 g Gammalinolensäure bis 3 g Gammalinolensäure
der niedrigsten wirksamen Dosierung verordnet und eingenommen werden und auch nur so lange, wie es medizinisch notwendig ist. Weitere Optionen bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen sind die intraartikuläre Injektion von Glukokortikoiden (z.B. 40 mg Triamcinolon) (13, 38, 39) oder die intraartikuläre Injektion von Opioiden
Kombinationspräparat aus Tinkturen mit
(39) unmittelbar nach der Gelenkpunktion zur
– Pappelblättern und -rinde
bis 5,4 mg Salicin
Aspiration der Synovialflüssigkeit. In den USA ist
– Eschenrinde – Goldrutenkraut Avocado-Soja-Fraktion
300 mg (1/3 A., 2/3 S.)
bis 0,36 mg Fraxin bis 0,18 mg Rutin Nicht definiert
auch die intraartikuläre Instillation von Hyaluronsäure oder die orale Einnahme von Glucosamin sehr beliebt (1, 2, 4, 5, 16, 37, 41, 67). Unter aseptischen Bedingungen ist das Auftreten einer Infektion im Anschluss an die intraartikuläre In-
jektion gering. Aus beiden Gründen sollte deshalb
nicht mehr als viermal im Abstand von vier Wo-
Bei mässigen bis starken Schmerzen
chen diese Massnahme durchgeführt werden. Gelegentlich kann
Bei mässigen bis starken Schmerzen sind nicht steroidale Anti- die kristalline Lösung eine vorübergehende lokale Reizung aus-
rheumatika indiziert. Vor der Gabe der nicht steroidalen Anti- lösen.
rheumatika sollte das Risiko für das Auftreten gastrointestinaler Bei Patienten mit mässigen bis starken Schmerzen, die nicht
und renaler Nebenwirkungen überprüft werden. Aus epide- mit unspezifischen nicht steroidalen Antirheumatika behandelt
miologischen Studien geht hervor, dass Patienten, die älter als werden können oder die nur unzureichend auf diese Therapie
65 Jahre sind, multimorbide Patienten, Patienten, die Gluko- ansprechen, sollte die systemische Applikation von Tramadol
kortikoide oder Antikoagulantien einnehmen, die in ihrer oder Opioiden (z.B. Tilidin) (15, 45, 46) in Erwägung gezogen
Anamnese ein Magenulkus oder eine Magenblutung haben, ein werden. Bezüglich der reinen Schmerzreduktion kann eine
erhöhtes Risiko für das Auftreten schwerer gastrointestinaler Opioidbehandlung ebenso wirksam wie eine Behandlung mit
und anderer Nebenwirkungen aufweisen (3, 22, 23, 25, 26, 35, Ibuprofen sein (15). Jedoch muss unter einer Opioidbehand-
40, 55). Bei diesen Patienten sollten unspezifische nicht steroi- lung mit Nebenwirkungen gerechnet werden, wie etwa Übel-
dale Antirheumatika nur mit einer Magenschutzbehandlung keit, Schwindel, Verstopfung und die Fähigkeit zum Führen
(Misoprostol 2 x 200 µg oder Protonenpumpenhemmer, z.B. von Kraftfahrzeugen oder zum Bedienen von Maschinen kann
Pantroprazol, Omeprazol oder Esomeprazol, 20–40 mg) verab- herabgesetzt sein. Im Gegensatz zur Opioidbehandlung kommt
reicht werden, auch bei geringen Dosen von unspezifischen es bei einer Tramadol- oder Tilidin-/Naloxon-Kombinations-
nicht steroidalen Antirheumatika (18, 27, 44, 50, 57). Vielfach behandlung nicht zu einer Toleranzentwicklung oder Opioid-
ist nicht bekannt, dass sich mit H2-Blockern kein ausreichender abhängigkeit (15).
Magenschutz erzielen lässt (66). Coxibe sind bei Beachtung der
Nebenwirkungen eine sinnvolle Alternative bei gastrointestina-
len Risiken. Zurzeit gilt Celecoxib als der sicherste COX-2-Hem- Stellenwert pflanzlicher Medikamente
mer, wenn er in möglichst niedriger Dosis und nur für möglichst Weder die ACR-Guidelines noch die später publizierten Emp-
kurze Zeit verabreicht wird (35, 52). Nach der Marktrück- fehlungen berücksichtigen die oralen pflanzlichen Entzün-
nahme Rofecoxib-haltiger Arzneimittel wegen eines erhöhten dungshemmer. Dabei könnte es sinnvoll sein, deren Wirkungs-
Risikos für das Auftreten von Herz-Kreislauf-Komplikationen potenzial auszunutzen, bevor Synthetika eingesetzt werden,
bei Langzeitanwendung wurde eine erneute aktuelle Bewertung vor allem dann, wenn die klinische Wirksamkeit (Überlegen-
von Sicherheitsdaten für die anderen zugelassenen Coxibe (Ce- heit gegen Plazebo, Nichtunterlegenheit gegen konventionelle
lecoxib, Etoricoxib, Valdecoxib und Parecoxib) auf europäischer Therapiemassnahmen) der pflanzlichen Medikamente belegt
Ebene erarbeitet (http://info.multimedica.de/public/html/news/ ist. Vorteil der Phytotherapie bei Gelenkerkrankungen ist das
PXABI980X/2005/20050705/PXABI980X050705XMA7683_.html). breitere Wirkspektrum im Vergleich zu den Synthetika und das
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in der Regel geringere Ausmass an Nebenwirkungen. Phytotherapeutika mit im Detail untersuchten Wirkungsmechanismen greifen über den Arachidonsäurestoffwechsel (Cyclo- und Lipoxygenasehemmung) in das Schmerz- und Entzündungsgeschehen ein, hemmen in vitro und im Tierversuch die bei der Knorpelzerstörung beteiligten Zytokinbotenstoffe, hemmen die Elastase respektive die Hyaluronidase und besitzen eine mehr oder weniger ausgeprägte antioxidative Wirkung. Definierte Dosis-Wirkungsbeziehungen wurden allerdings bislang nur für Teufelskrallenwurzel- (9) und Weidenrinden-Extrakt (10) nachgewiesen. Die Dauer der Einnahme von Phytotherapeutika bei Gelenkerkrankungen ist bei Fehlen von limitierenden Nebenwirkungen zeitlich nicht begrenzt. Eine Optimierung der Pflanzenextrakte und ihrer Dosierungen bei den verschiedenen Schmerzursachen ist dennoch dringend erforderlich, um die Präparate gezielter einsetzen zu können. Die Ergebnisse der mit Spezialextrakten durchgeführten Studien können hierbei nicht auf anders zubereitete Extrakte transferiert werden, es sei denn, der Nachweis der Bioäquivalenz mit dem getesteten Extrakt wurde erbracht (11). Zu den bei Gelenkerkrankungen infrage kommenden Phytotherapeutika zählen Präparate aus der Teufelskrallenwurzel (Harpagophyti radix), der Weidenrinde (Salicis cortex), den Scheinfrüchten der Hagebutte (Rosae pseudofructus cum fructibus), dem Kraut beziehungsweise den Blättern der Brennnessel (Urticae folium/herba), ein Kombinationspräparat aus Pappelrinde beziehungsweise -blättern (Populi cortex bzw. folium), dem Kraut der Goldrute (Solidaginis herba) und der Rinde der Esche (Fraxini cortex) sowie die Blätter und das Samenöl der schwarzen Johannisbeere (Ribis nigri folium/ semen), die Samenöle der Nachtkerze (Oenotherae semen) und des Borretsch (Boraginis semen) sowie eine unverseifbare Fraktion aus Avocado (Persea americana) und Soja (Glycine max) und ein Kombinationspräparat aus Pappelblättern, Pappel- und Eschenrinde und Goldrutenkraut (Tabelle). Systematische Reviews gibt es zur Teufelskralle (12), zur Hagebutte (7) und zur Avocado-Soja-Fraktion (8, 19). Die Evidenz der Wirksam-
keit ist für das Pulver Harpadol® oder wässrigen Extrakt (z.B. Doloteffin®) besser als für Ethanolextrakte aus der Teufelskralle, die inkomplett extrahiert sind (Harpagosidgehalt um 30 mg in der Tagesdosis). Zur Hagebutte fehlen belegende Studien, während die belegende Langzeitstudie zur Avocado-Soja-Fraktion die knorpelprotektive Wirkung gemessen an der Weite des Gelenkspalts nur in einer Subpopulation nachweisen konnte. Entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung ist die Qualität der Präparate und eine ausreichende Wirkstoffzufuhr.
Nicht medikamentöse Behandlung
Die nicht pharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten um-
fassen Patientenanweisungen, Selbsthilfeprogramme, soziale
Unterstützung durch Hotlines/telefonische Beratung, Gewichts-
abnahme bei Übergewicht, Aerobic-Übungsprogramme, phy-
sikalische Therapien, Muskelaufbauübungen, Beschäftigungs-
therapien, bewegungserleichternde Gerätschaften, Knie-Taping,
orthopädische Schuhe beziehungsweise Schuheinlagen, Ge-
lenkschoner und Hilfsmittel für den Alltag. Durch diese Mass-
nahmen lässt sich die Anzahl der Arztbesuche verringern, die
körperliche Aktivität steigern und die Lebensqualität verbes-
sern (14, 20, 29, 32, 33, 36, 43, 47, 53, 54, 56, 62). Die aktuel-
len Empfehlungen der ACR weisen ausdrücklich darauf hin,
dass alle nicht medikamentösen Behandlungen ausgeschöpft
werden sollten, um die Medikamentendosen so gering wie
möglich zu halten.
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Das Literaturverzeichnis kann beim Verlag angefordert werden unter: info@rosenfluh.ch
Korrespondenzadresse: Julia E. Chrubasik
Institut für Rechtsmedizin der Universität Freiburg Albertstrasse 9, D-79104 Freiburg E-Mail: jchrubasik@hotmail.com
Interessenkonflikte: keine
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