Transkript
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Unkomplizierte Harnwegsinfektion: Trimethoprim günstig und vernünftig
Ein Gespräch mit Dr. Beat Schmid
In einem Brief* an Apotheker
und Hausärzte in Schaffhau-
sen hat der Kantonsapotheker
und Leiter des Zentrallabors
im Kantonsspital über Trime-
thoprim als Mittel erster Wahl
bei Harnwegsinfekten infor-
miert. ARS MEDICI stellte
Dr. sc. nat. Beat Schmid dazu
einige Fragen.
ARS MEDICI: Die Empfehlung, bei unkomplizierten Harnwegsinfekten Trimethoprim zu verwenden, kommt überraschend. Worauf basiert dieser Rat an die Hausärzte? B e a t S c h m i d : Die Information war weniger als Rat, sondern als reine Information gedacht. Am Kantonsspital Schaffhausen wird Trimethoprim seit längerer Zeit als Mittel erster Wahl bei unkomplizierten Harnwegsinfekten (HWI) eingesetzt, und einige Hausärzte haben vor kurzem den Wunsch geäussert, ebenfalls Trimethoprim zu verschreiben.
Welche Erreger sprechen auf Trimethoprim an, welche nicht? Zum Wirkungsspektrum in vitro von Trimethoprim gehören grampositive Bakterien und die häufigsten gramnegativen Erreger von Harnwegsinfektionen ausser Pseudomonas aeruginosa, die in der Hausarztpraxis bei Harnwegsinfektionen aber sel-
Dr. sc. nat. Beat Schmid
ten auftritt. Enterokokken sind in vitro empfindlich, in vivo kann die Wirksamkeit fraglich sein, da Enterokokken eventuell präformierte Folsäure aus der Umgebung aufnehmen können. Dies gilt vor allem bei systemischen Infektionen, für die Trimethoprim nicht eingesetzt werden sollte. Im Urin wird Trimethoprim derart aufkonzentriert, dass bei einem unkomplizierten HWI eine Wirksamkeit erreicht wird. Resistente Stämme finden sich unter Staphylococcus aureus, Pneumokokken, Klebsiellen und Enterobacter-Arten (1). Trimethoprim hat grundsätzlich ein ähnliches Wirkungsspektrum wie die Chinolone, mit Ausnahme der Pseudomonas-Wirksamkeit.
Sie schreiben: «bei entsprechend sensiblen Erregern». Heisst das, dass vorgängig einer Zystitisbehandlung mit Trimethoprim auf jeden Fall eine Kultur anzulegen ist (Uricult)? Im Spital ist das Anlegen einer Urinkultur Usanz, jedoch nicht in der Hausarztpraxis. Bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen kann und soll aus Kostengründen weiterhin auf eine Urinkultur verzichtet
*Aufgrund der guten lokalen Resistenzsituation verwenden wir am Kantonsspital zur Therapie von Harnwegsinfektionen als Mittel erster Wahl Trimethoprim bei entsprechend sensiblen Erregern. Vermehrt werden auch praktizierende Ärzte Trimethoprim verordnen wollen, obwohl in der Schweiz kein zugelassenes Präparat verfügbar ist. Wir importieren aus Deutschland das Produkt «Infecto Trimet». Seit dem 1.9.2004 dürfen auch alle Apotheken ohne Sonderbewilligung in der EU zugelassene Präparate importieren, sofern keine in der Schweiz registrierten Alternativen verfügbar sind. Die Apotheken (und die selbstdispensierenden Ärzte) dürfen auch kleine Mengen an Lager nehmen, damit sofort lege artis therapiert werden kann und keine Zeit verloren geht. Der importierende und abgebende Betrieb ist aber verpflichtet, einen lückenlosen Chargenverwendungsnachweis zu führen.
werden. Hingegen sollte bei rezidivierenden HWI oder bei Therapieversagen auch wegen der Gefahr einer Resistenzentwicklung eine Kultur angelegt und anschliessend resistenzgerecht therapiert werden.
Wie gross ist das Risiko, dass die Patientin oder der Patient nicht auf das Medikament anspricht, wenn man probatorisch behandelt, wie das in der Praxis häufig der Fall ist? Der häufigste Erreger von HWI ist E. coli (50% der Urinkulturen im Spital!). Aufgrund unserer Resistenzstatistik im Spital
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Unkomplizierte Harnwegsinfektion: Trimethoprim günstig und vernünftig
sehen wir zirka 3 Prozent resistente E.coli
auf Ciprofloxacin und zirka 23 Prozent re-
sistente E. coli bei Trimethoprim. Dabei ist
allerdings zu vermerken, dass wir seit
1994 eine äusserst restriktive Chinolon-
Politik betreiben. Wir mussten feststellen,
dass sich ab 1992 nach Einsatz von Nor-
floxacin als Mittel erster Wahl bei HWI die
Resistenzlage massiv verschlechterte. So
stieg in nur einem Jahr (!) die Resistenz
gegenüber den Chinolonen massiv an:
E. coli
1% ⇒ 4%
K. pneumoniae
2% ⇒ 5%
S. aureus
8% ⇒ 16%
P. aeruginosa
10% ⇒ 21%
Bei der Chinolonresistenz besteht eine Kreuzresistenz unter allen Chinolonen, was sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich bei der Therapie von Pseudomonasinfektionen zu Problemen führt. Chinolone sollten deshalb nicht für einfache Infektionen «verschossen» werden. Durch eine restriktive Antibiotika-(Chinolon)-Politik seit 1994 konnten die Resistenzen weit gehend wieder rückgängig gemacht werden. Leider existieren keine Resistenzdaten aus den Hausarztpraxen der Region Schaffhausen. Wir haben uns Überlegungen zur Erfassung der lokalen Resistenzsituation gemacht, noch fehlen aber das Detailkonzept und vor allem Sponsoren.
Wie wird Trimethoprim dosiert? Gibt es eine Einmaltherapie? Gemäss Literatur (1) steht keine Einmaldosierung zur Verfügung.
“ Trimethoprim hat ein
grundsätzlich ähnliches
Wirkungsspektrum wie
die Chinolone, mit Ausnahme
der Pseudomonas-
”Wirksamkeit.
Dosierung bei unkomplizierten HWI während sieben Tagen: Erwachsene und Kinder >12 Jahre: 2-mal täglich 150 bis 200 mg Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und einer Kreatininclearance von 25–15 ml/min: 2-mal 200 mg über 3 Tage, anschliessend 2-mal tägl. 100 mg Bei einer Kreatininclearance von 15–10 ml/min: 2-mal tägl. 100 mg Bei einer Kreatininclearance unter 10 ml/min ist Trimethoprim kontraindiziert. Kinder von 6 bis 12 Jahren: 2-mal tägl. 3–4 mg/kg KG.
In der Praxis beginnt man die Behandlung in der Regel ohne bekanntes Resultat einer Urinkultur. Ist man da mit einem Chinolon nicht eher auf der sicheren Seite, ohne grosses Risiko von Nebenwirkungen? Trimethoprim ist weit weniger risikoreich als die Chinolone. Unerwünschte Wirkungen der Chinolone laut Kompendium sind unter anderem: Magen-Darm-Störungen, ZNS-Störungen, Überempfindlichkeitsreaktionen, Herz-Kreislauf, Blut und Blutbestandteile, Tendinopathie (Sportler!) und Fotosensibilisierung. Ein weiterer Nachteil liegt in der relativ schnellen Resistenzentwicklung, gefolgt von einer Selektion speziell multiresistenter Staphylokokken (resistente Staph. sind bereits nach 3 Tagen Therapie auf der Haut und in der Nase nachweisbar und persistieren bis zu 6 Wochen nach Therapieende, [Lancet 1997; 349: 167–169]). Dies ist vorwiegend bei Patienten von Bedeutung, die hospitalisiert werden, da dadurch postoperative Wundinfektionen mit multiresistenten Erregern entstehen können. Im Weiteren wird die Chinolon-Konzentration im Körper durch gleichzeitige Einnahme von zweiwertigen Ionen mit Nahrungsmitteln, insbesondere Milch oder Jogurt, derart reduziert, dass suboptimale Chinolon-Spiegel resultieren. Daraus ergibt sich, dass die Chinolone wohl eine etwas grössere Treffsicherheit aufweisen, dass aber mit einem breiten Einsatz dieser Substanzklasse grosse therapeutische Probleme entstehen
können durch Resistenzentwicklungen einzelner Patienten, aber auch ganzer Patientengruppen und bei schweren Infektionen.
Ist die Situation im Spital vergleichbar mit jener in der Praxis? Das heisst: Sind die Erreger die gleichen, und ist die Resistenzsituation identisch? Die Erreger sind bei unkomplizierten HWI in der Praxis wie im Spital die gleichen. In der Praxis ist der Anteil an E. coli als HWI-Erreger jedoch tendenziell grösser. Wie bereits erwähnt, ist die lokale Resistenzsituation in unserer Praxisregion (noch) nicht bekannt.
Welches sind die Vorteile einer Therapie mit Trimethoprim im Vergleich zur Kombination Co-trimoxazol, bei der Trimpethoprim mit einem Sulfonamid kombiniert ist? Die unerwünschten Wirkungen [UW] von Co-trimoxazol sind vorwiegend auf den Sulfonamid-Anteil zurückzuführen. Diese UW können bei gleich guter Wirksamkeit (bei HWI, nicht bei systemischen Infektionen) eliminiert werden.
Trimethoprim ist in der Schweiz als Monotherapeutikum gar nicht mehr im Handel. Die Firma Ecosol hat ihr Präparat zurückgezogen. Wie also kommt man zu diesem Medikament? Seit dem 1.9.2004 dürfen alle Apotheken ohne Sonderbewilligung in der EU (ohne Osterweiterung) zugelassene Präparate importieren, sofern keine in der Schweiz registrierten Alternativen verfügbar sind. Die Apotheken (und die selbstdispensierenden Ärzte) dürfen auch kleine Mengen an Lager nehmen, damit sofort lege artis therapiert werden kann und keine Zeit verloren geht. Der importierende und abgebende Betrieb ist aber verpflichtet, einen lückenlosen Chargenverwendungsnachweis zu führen.
Wäre es nicht eine logistisch etwas einfachere Alternative, wenigstens auf das alte Co-trimoxazol zurückzugreifen? Dies ist grundsätzlich möglich, sofern das grössere Potenzial an UW bei Co-trimoxazol in Kauf genommen wird.
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Unkomplizierte Harnwegsinfektion: Trimethoprim günstig und vernünftig
“ Seit dem 1.9.2004 dürfen
alle Apotheken ohne Sonder-
bewilligung in der EU (ohne
Osterweiterung) zugelassene
”Präparate importieren.
Gibt es offizielle Empfehlungen zum Einsatz von Trimethoprim, in der Schweiz oder im Ausland? Ist die Situation in anderen Ländern vergleichbar mit jener in der Schweiz? In der Schweiz existieren keine Empfehlungen mehr. Die Infectious Diseases Society of America empfiehlt in ihren Richtlinien für die Behandlung des unkomplizierten Harnweginfekts als gleichwertige Therapien: Co-trimoxazol, Trimethoprim (als Monotherapie) oder Fluorochinolone. Alle haben nach diesen Angaben eine Eradika-
tionsrate von über 90 Prozent bei geringer Rezidiv- und Nebenwirkungsrate (Clin. Inf. Dis. 1999; 29: 745–758).
Wie steht es mit den Kosten von Tri-
methoprim im Vergleich zu Co-trimo-
xazol oder den Chinolonen?
Trimethoprim:
Infecto Trimed® 200 mg 10 Tabl. PP: 10.30
Co-trimoxazol:
Nopil® forte
10 Tabl. PP: 10.15
Norfloxacin:
Norflocin-Mepha® 400 mg 14 Tabl. PP: 31.10
PP = Publikumspreis in Schweizer Franken.
Ist Ihnen bekannt, wie häufig Trimethoprim heute im Spital oder in der Praxis verwendet wird? Mir sind nur die Zahlen aus unserem Spital bekannt. 2003 haben wir 3140 Tabletten Trimethoprim verbraucht.
Warum ist Trimethoprim in der Schweiz nicht mehr in Handel? Ist davon aus-
zugehen, dass dereinst wieder ein
Schweizer Präparat registriert wird?
Der Grund ist uns nicht bekannt, vermut-
lich stehen wirtschaftliche Überlegungen
dahinter. Aus den gleichen Überlegungen
denke ich, dass kaum eine Firma in der
Schweiz eine Trimethoprim-Wiederzulas-
sung anstreben wird.
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1. Arzneistoff-Profile, Basisinformation über arzneiliche Wirkstoffe, herausgegeben von V. Dinnendahl und U. Fricke im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für pharmazeutische Information (API) der deutschen, österreichischen und schweizerischen Apothekervereine, Stammlieferung 1982 mit 1. bis 19. Erg.-Lieferung 2004, Govi-Verlag.
Das Interview führte Richard Altorfer.
Interessenkonflikte: keine
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Keine Zugeständnisse in Sachen Kontrahierungszwang
Leserbrief zu «Kontrahierungszwang: Freier Wettbewerb statt Kassendiktatur», Editorial von Ingrid L. Wyler-Brem in ARS MEDICI 23/04, S. 1137
Liebe Frau Kollega und Präsidentin
Für Ihren Einsatz für die freie Praxis und Ihr Weiterdenken möchte ich Ihnen danken. Gleichzeitig erscheinen mir Ihre an und für sich diskussionswürdigen Vorschläge für den freien Wettbewerb in der derzeitigen Situation als gefährlich. Ist das nicht eine Variante des «vorauseilenden Gehorsams»? Ich denke schon und fürchte, dass die Ärztefront aufgeweicht werden könnte. Heute geht es meiner Meinung nach nicht darum, den Kontrahierungszwang zu verhandeln, sondern ihn ohne jeden Kompromiss zu verteidigen! In ihrem statistischen Jahrbuch schreibt die Interpharma: «Von einer Explosion der Gesundheitsausgaben kann aufgrund dieser Entwicklung nicht gesprochen werden» («Das Gesundheitswesen in der Schweiz – Leistungen, Kosten, Preise», Ausgabe 2004, S. 54/55. «Diese» Entwicklung bezieht sich auf die vom Bundesamt für Statistik etc. ermittelten Indizes des BIP, der Gesundheits-
kosten und der monatlichen Durchschnitttsprämien). In der Tat existiert eine Kostenexplosion im schweizerischen Gesundheitswesen nicht, vielmehr gibt es eine Krankenversicherungs-PrämienExplosion! Die Prämien sind in den letzten fünf Jahren doppelt so steil angestiegen wie die Gesundheitskosten! Dies als Folge des neoliberalen Kaputtsparens. Wir Ärzte sollten aber auch aus einem weiteren Grund keinerlei Zugeständnisse in Sachen Kontrahierungszwang machen: Das Volk steht zu uns – was auch immer die Politiker quatschen. Laut verschiedenen Umfragen kommt für 48 Prozent der Befragten eine Beschneidung der freien Arztwahl nicht in Frage. Und 58 Prozent wären auch nicht bereit, Kürzungen des Grundleistungskatalogs zuzustimmen. Nur 6 Prozent gäben einer deutlichen Orientierung an den Kosten den Vorzug. Für 90 Prozent ist nach wie vor die Qualität der Gesundheitsversorgung ein zentrales Anliegen. Quod erat demonstrandum.
Emilio Modena, Zürich
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