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Salzarme Diät bei Bluthochdruck?
In einem Interview unterstreichen der Nephrologe Otto Traindl und der Geriater Ingo Füsgen ihre unterschiedlichen Standpunkte
KARL EBERIUS
Ob die salzarme Ernährung ein sinnvoller Beitrag zur Senkung eines erhöhten Blutdrucks ist, wird weiterhin kontrovers diskutiert. Wir haben zwei Experten befragt. Für den Nephrologen Professor Otto Traindl hat salzarme Diät einen wichtigen Stellen-
ARS MEDICI: Herr Profes-
ARS MEDICI: Sind Ihre
sor Traindl, wem ist die
Empfehlungen durch Stu-
salzarme Ernährung Ihrer
dien abgesichert?
Meinung nach zu emp-
Traindl: Bislang gibt es
fehlen?
zwar keine Studie, die ein-
Traindl: Grundsätzlich ist
deutig belegt, dass eine
die salzarme Ernährung al-
salzarme Diät vor Schlagan-
len Menschen mit einem
fällen oder Herzinfarkten
Bluthochdruck zu empfeh-
schützt, aber wahrscheinlich
len. Ein bisschen vorsichti-
wird es eine solche Untersu-
ger sollte man vielleicht bei
chung auch nie geben.
älteren Menschen sein, da sich in dieser Altersgruppe
Professor Traindl
Denn Lebensstiländerungen lassen sich nicht einfach wie
eine natriumarme Ernährung auch nega- Tabletten verordnen, weshalb entspre-
tiv auswirken kann oder zumindest Sym- chende Studien äusserst anspruchsvoll
ptome wie Müdigkeit und Abgeschlagen- sind. Für ein statistisch signifikantes Er-
heit auftreten können. Allerdings haben gebnis bräuchte man eine riesige Teilneh-
die grossen Hochdruck-Studien der Neun- merzahl, die ihren Lebensstil über sehr
zigerjahre gezeigt, dass Diuretika, die ja viele Jahre zuverlässig ändert, was in der
zu einer Reduktion des Natrium-Bestands Realität aber kaum zu verwirklichen ist.
wert, auch wenn sie in der antihypertensiven Therapie nicht an erster Stelle steht. Der Geriater Professor Ingo Füsgen hält eine pauschale Empfehlung zur Salzreduktion insbesondere bei alten Menschen nicht für angebracht.
Grundsätzlich ist die salzarme Ernährung allen
“ ”Menschen mit einem Bluthochdruck zu empfehlen. Prof. Traindl
führen, auch bei älteren Menschen einen deutlichen Nutzen haben, sodass die salzarme Lebensweise grundsätzlich auch im höheren Alter zu empfehlen ist. Darüber hinaus ist die salzarme Diät für all jene Menschen ideal, die hochnormale Blutdruckwerte haben, also systolisch zwischen 120 und 140 mmHg liegen beziehungsweise diastolisch zwischen 80 und 90 mmHg. Bei diesen Menschen lässt sich in Kombination mit anderen Lebensstiländerungen wie zum Beispiel der Gewichtsreduktion oft ein weiterer Blutdruckanstieg und die damit verbundene Notwendigkeit einer Medikamenteneinnahme umgehen oder hinauszögern.
Allerdings lässt sich auch aus dem vorhandenen Datenmaterial einiges ableiten. Zum Beispiel haben verschiedene Studien gezeigt, dass eine vermehrte Salzaufnahme den Blutdruck erhöht und umgekehrt eine salzarme Ernährung den Blutdruck senkt. Die kritische Schwelle liegt ungefähr bei 5 g Salz pro Tag, was etwa eineinhalb Teelöffeln Salz entspricht. Zudem weiss man, dass ein niedrigerer Blutdruck mit einem niedrigeren Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte einhergeht. Demzufolge senkt eine salzarme Ernährung auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diesen Schluss halte ich trotz fehlender Studien durchaus für zulässig.
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Salzarme Diät bei Bluthochdruck?
ARS MEDICI: Wie stark verringert eine salzarme Ernährung das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen? Traindl: Während eine Cochrane-Metaanalyse aus diesem Jahr für die salzarme Ernährung eine durchschnittliche Senkung des systolischen Drucks um 1,1 mmHg ermittelte, fand die 2001 publizierte DashStudie eine Verringerung um 6,7 mmHg. Ich persönlich würde eine systolische Blutdrucksenkung von 5 mmHg als realistisch ansehen. Und da wir aus epidemiologischen Studien wissen, dass jede Zunahme des systolischen Blutdrucks um 20 mmHg das Risiko für einen Herz-Kreislauf-Zwischenfall verdoppelt, kann eine salzarme Ernährung dieses Risiko also um etwa 25 Prozent senken.
ARS MEDICI: An welcher Stelle rangiert die salzarme Ernährung in der Blutdruck-Therapie? Traindl: Die Hauptaussage muss sein, dass bei einem Bluthochdruck die Werte in den Normbereich müssen. Um dieses
Ziel zu erreichen, haben neben potenten Medikamenten auch Lebensstiländerungen einen wichtigen Stellenwert. Allerdings müssen wir uns im Klaren sein, dass die salzarme Ernährung bei den nichtmedikamentösen Massnahmen nicht an erster Stelle steht, sondern eindeutig hinter der Gewichtsabnahme, hinter der körperlichen Aktivitätssteigerung, hinter der angepassten Kalorienaufnahme und hinter der Alkoholreduktion.
ARS MEDICI: Kann man die Salzempfindlichkeit vorher testen? Traindl: Die Zahl der Menschen, deren Blutdruck gegenüber Salz empfindlich ist, würde ich auf über 50 Prozent schätzen, aber das ist nicht in Studien untersucht. Das Problem ist, dass es keinen vernünftigen Test gibt, der ein Ansprechen auf die salzarme Ernährung voraussagt. Einzelne Blutdruckmessungen sind dafür jedenfalls nicht geeignet, da die natürlichen Schwankungen des Blutdrucks zu gross sind.
ARS MEDICI: Sollen Hochdruckkranke Ihrer Meinung nach komplett auf Salz verzichten? Traindl: Natürlich empfehlen wir nicht, auf Salz vollständig zu verzichten. Die Mahlzeiten würden – übertrieben gesagt – nach nichts schmecken und wären ungeniessbar. Allerdings ist beim Essen Vieles Gewohnheitssache. Wer es nicht gewohnt ist, seine Speisen nachzusalzen, wird mit einer salzarmen Ernährung gut zurechtkommen. Pfeffer und viele andere Gewürze sind ein hervorragender Ersatz. Interessant ist es übrigens zu beobachten, wie viele Gäste in Restaurants ihre Suppe nachsalzen, noch ehe sie davon gekostet haben. q
Univ. Doz. Dr. Otto Traindl 1. Medizinische Abteilung für Kardiologie und Nephrologie
Weinviertelklinikum Schwerpunktkrankenhaus Mistelbach
Liechtensteinstrasse 67 Ö-2130 Mistelbach
ARS MEDICI: Herr Professor Füsgen, Holland ist es ähnlich. Und
Blutdruck senkt, was bei vie-
immer wieder warnen Sie energisch in den USA gibt es zum Bei-
len Betroffenen überhaupt
davor, älteren Menschen generell eine spiel kaum noch natrium-
nicht der Fall ist. Ausserdem
salzarme Ernährung zu empfehlen. haltiges Mineralwasser, über-
kann eine salzarme Ernäh-
Warum?
all steht dort «natriumfrei»
rung insbesondere bei älte-
Füsgen: Es gibt überhaupt keine wis- drauf. Auch im deutschen
ren Menschen auch eine
senschaftliche Begründung, warum sich Sprachraum wird älteren
Gefahr darstellen oder zu
ältere Menschen pauschal salzarm ernäh- Menschen von vielen Sei-
Salzmangel-Symptomen wie
ren sollen. Es existiert keine Studie, die ten unkritisch zu einer salz-
Müdigkeit, Schwäche, Gang-
wirklich belegt, dass eine salzarme Ernäh- armen Kost geraten.
unsicherheit und Konzentra-
rung bei einem normalen Blutdruck das
tionsstörungen führen. Denn
Leben verlängert oder Krankheiten wie ARS MEDICI: Das heisst,
zum einen verschlechtert sich
Schlaganfälle und Herzinfarkte verhindert. Sie lehnen eine salzarme Professor Füsgen
mit zunehmendem Alter
Dennoch gibt es eine unglaubliche Lobby, Ernährung im höheren Alter
die Nierenfunktion, so-
die gegen den Salzgenuss Älterer vorgeht. generell ab?
dass bei einem Salzmangel die Salzaus-
Ich denke unter anderem an England, wo Füsgen: Man sollte differenzieren. Si- scheidung über die Nieren nicht mehr so
sogar die Regierung offiziell dazu aufruft, cherlich gibt es Menschen, die einen salz- gut gebremst werden kann. Zum anderen
dass alte Menschen kein Salz essen sollen. empfindlichen Bluthochdruck haben und nimmt beim Menschen der Wasseranteil
Das ist ein Wahnsinn erster Klasse. In von einer solchen Massnahme profitieren. im Laufe des Lebens ab – von etwa 70 Pro-
Aber bevor ich wahllos und pau- zent des Körpergewichts im Säuglings-
schal eine salzarme Ernährung emp-
“ ”Salz ist nicht unser Feind!
fehle, muss ich bei jedem Einzelnen doch erst einmal testen, ob eine
alter auf 50 bis 60 Prozent im mittleren Erwachsenenalter und auf 40 bis 50 Prozent im hohen Alter. Bei älteren Menschen ist
Prof. Füsgen
salzarme Diät auch tatsächlich den der Spielraum für Wasser- und Elektrolyt-
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Salzarme Diät bei Bluthochdruck?
verluste also viel geringer. Folglich kann es unter einer salzarmen Ernährung an heissen Tagen mit einer hohen Schweiss- beziehungsweise Salzausscheidung zu bedrohlichen Situationen kommen. Ebenso bei Durchfällen, Erbrechen oder bei der Einnahme von Medikamenten, die mit Salzverlusten einhergehen.
ARS MEDICI: Wie viele ältere Menschen leiden nach Ihren Schätzungen unter Symptomen wie Müdigkeit und Schwäche, die auf einen Salzmangel zurückgehen? Füsgen: Es gibt Studien, wonach zwischen 10 und 30 Prozent der älteren Menschen bei Krankenhausaufnahmen zu
niedrige oder grenzwertige Natriumwerte aufweisen. Wie viele es in der Allgemeinbevölkerung sind und bei wie vielen es schliesslich zu Symptomen kommt, ist allerdings nicht bekannt.
ARS MEDICI: Welchen Umgang mit Salz empfehlen Sie älteren Menschen? Füsgen: Es sollte herausgestellt werden: Salz ist nicht unser Feind, wie es momentan in den Medien herüberkommt. Es muss alles in Massen und angepasst genossen werden. Wer keinen salzempfindlichen Bluthochdruck oder keine Nierenerkrankung hat, die eine salzarme Ernährung erfordert, sollte mit Salz ganz normal umgehen und nicht verzweifelt
versuchen, salzlos zu leben. Überdies soll-
ten ältere Menschen dem Körper bewusst
Salz zuführen, wenn sich der Natriumspie-
gel im Blut an der unteren Grenze be-
wegt. Die Zufuhr kann dann zum Beispiel
einfach durch Nachsalzen der Speisen er-
folgen.
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Prof. Dr. med. Ingo Füsgen Lehrstuhl für Geriatrie an der
Universität Witten/Herdecke Chefarzt der 3. Medizinischen Klinik der
Kliniken St. Antonius Velbert-Neviges Tönisheiderstrasse 24 D-42553 Velbert
Die Fragen stellte Karl Eberius