Transkript
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Rosenbergstrasse 115
Die Chinesen gehen mit der List ganz locker um. Sie gehört zum Leben, früher zum kriegerischen, heute auch zum geschäftlichen. Sie haben die verschiedenen Arten von Listen gar klassifiziert: In der chinesischen Literatur werden 36 so genannte Strategeme unterschieden (was doch etwas neutraler tönt als der negativ besetzte Terminus List). Die List wird in unserer Gesellschaft in die Nähe des Betrugs gerückt; in der chinesischen Kultur bedeutet der Verzicht auf listiges Verhalten nichts anderes als der Verzicht auf einen Handlungsvorteil. Der Listigere ist der Sieger, und allein das zählt. Eine moralische Wertung erfolgt nicht. Die Strategeme heissen (in etwas unbeholfener deutscher Übersetzung) beispielsweise: «Um etwas zu fangen, es zunächst loslassen» (Strategem Nr. 16) oder «Das Wasser trüben, um die (ihrer klaren Sicht beraubten) Fische zu fangen» (Strategem Nr. 20) oder «Auf das Dach locken, um dann die Leiter wegzuziehen» (Strategem Nr. 28). Welches dieser Strategeme die Zürcher Universitätsführung im Sinn hatte, als sie daran ging, die Herztransplantation entgegen den Intentionen der Zürcher Gesundheitsdirektorin für Zürich zu retten, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist die List jämmerlich fehlgeschlagen. Das ist halt das Risiko, wenn man einem Gegner gegenübersteht, der der Strategeme kundig ist und so die Absichten des Feindes früh genug erkennt. Gegen List hilft nur die – bessere – Gegenlist. Und so muss es gewesen sein: Die kleinen Berner waren einfach listiger als die grossen Zürcher. Und haben damit ihren Carrell behalten können. Chapeau! (Und den Zürchern sei die Lektüre von Harro von Sengers «36 Strategeme für Manager», erschienen im Hanser Verlag, empfohlen – für ein nächstes Mal.)
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Aber wer weiss: Vielleicht ist die List der Zürcher viel komplizierter, als wir meinen und die dritte Absage von Carrell lediglich eine (absichtlich) provozierte – und wir sind bloss nicht in der Lage, das ganze Ausmass der zürcherischen List zu erkennen, deren Ziele ganz andere sind, als wir
meinen (Strategem Nr. 6: «Im Osten lärmen, im Westen angreifen»). On verra.
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Willy Oggier, mehr berüchtigt als berühmt wegen der kürzlich veröffentlichten, ziemlich abwegigen Studie über die Kosten der Selbstdispensation, gibt in CARE, der Kundenzeitschrift der Krankenkasse Concordia, ein Interview. Da stehen dann Sätze wie: «Ich bin ein klarer Befürworter der Aufhebung des Vertragszwangs.» Allerdings fürchtet auch Oggier, dass diese Massnahme schwer absehbare Folgen hätte, die das «Falschspielen» (von wem?) noch attraktiver machen könnten. Dem gilt es natürlich vorzubeugen. Oggier: «Es braucht also gewisse Regulative.» Mit anderen Worten: neue Gesetze oder Verordnungen. Deren Folgen ebenfalls schwer abzusehen wären und denen vermutlich ebenfalls am besten mit gewissen Regulativen zu begegnen sein wird. Viel Vergnügen!
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Oggier selber sieht die Gefahr, dass die cleveren unter den Krankenkassen nach Aufhebung des Vertragszwangs versucht sein könnten, nicht etwa die teuer arbeitenden Ärzte, sondern jene nicht mehr unter Vertrag zu nehmen, bei denen ihre kostenintensivsten Versicherten behandelt werden. Clever: Man schlägt die dummen Säcke (Ärzte) und meint die ahnungslosen Esel (Patienten). Ein idealer Weg der Risikoselektion.
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Noch immer Oggier: «Neuere internationale Vergleiche von Gesundheitssystemen – soweit es dazu überhaupt Daten gibt – weisen darauf hin, dass die Ergebnisse des schweizerischen Gesundheitswesens im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln eher Mittelmass darstellen. Warum sollen wir da von möglicher besserer ausländischer Qualität zu niedrigeren Preisen nicht profitieren dürfen?» Da stellen sich doch Fragen: Gibt es jetzt Daten oder nicht? Was wurde
da schon wieder verglichen? Und was ist das Mass des Mittelmasses? Im Speziellen: Schicken wir also unsere Patienten ins billige Ausland? Und/oder senken wir die Taxpunktwerte aufs ausländische Niveau?
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Oggier überall, auch in der «Handelszeitung»: Für ihn ist völlig klar, weshalb die SD teurer ist: «Weil der Arzt hier das Medikament selber bestimmen kann, wählt er tendenziell jenes Präparat, das für ihn ökonomisch am vorteilhaftesten ist.» Man muss den Herrn entschuldigen: Er ist bloss ein Ökonom.
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Noch ein Zitat, diesmal aber von Wiglaf Droste, Schriftsteller, Sänger und Mitherausgeber der kulinarischen Kampfzeitschrift «Häuptling Eigener Herd», im Magazin «Salz&Pfeffer»: «Die kulinarische Aufrüstung der Deutschen hat mit Alfred Biolek begonnen; er ist der Goldröhrling unter den Menschen: Vorsicht, schleimt beim Kochen.»
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«Schrotts Sammelsurium» ist ein überaus bemerkenswertes kleines Büchlein. Ursprünglich britisch, of course. Und nach eigener bescheidener Einschätzung nichts weiter als unverzichtbar. Oder im Originalton: «Möglicherweise kann man sein Leben ohne ‹Schrotts Sammelsurium› leben, es wäre allerdings ein merkwürdiges und gewagtes Unterfangen.» So ganz kann man nicht umhin, den Herausgebern zuzustimmen. Wo denn sonst fände man beispielsweise eine Zusammenstellung der wichtigsten Phobien? Angst vor Bärten? Pogonophobie. Vor Clowns? Coulrophobie. Vor der Hölle? Stygiophobie. Lediglich vor Knoblauch? Scorodophobie. Oder auch noch vor herabstürzenden Satelliten? Keraunothnetophobie.
Richard Altorfer
A R S M E D I C I 2 4 q 2 0 0 4 1197