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Mammakarzinom: vorbeugen, erkennen, betreuen
Die Brust gehört in Hausarzt-Hand
MONIKA KAUL
70 Prozent aller Mammakarzinome treten bei Patientinnen über 50 Jahre auf. Gerade in diesem Alter suchen jedoch
25 bis 70 Jahren einschloss. Hinzu kommt, dass ab einem Alter von zirka 50 Jahren – also in einer Lebensphase, in der die Brustkrebserkrankungen zunehmen – Frauen seltener einen Gynäkologen aufsuchen. Dagegen spielt der Hausarzt wegen zunehmender gesundheitlicher Probleme wie Herz-Kreislauf-Störungen, Diabetes oder Bluthochdruck eine immer wichtigere Rolle.
erfahrungsgemass Frauen
eher seltener einen Gynäko-
logen auf. Dem Hausarzt, der
dann in der Regel wegen
anderer gesundheitlicher Pro-
bleme häufiger konsultiert
wird, kommt daher eine wich-
tige Rolle bei der Früherken-
nung eines Mammakarzinoms
zu.
Der Hausarzt sollte zum einen über Risikofaktoren, Prophylaxemöglichkeiten und Frühsymptome informiert als auch mit Problemen vertraut sein, die sich bei der Betreuung von Brustkrebspatientinnen ergeben können. Die meisten Frauen sind sich – unabhängig vom eigenen Alter – nicht darüber im Klaren, dass Alter und Brustkrebs in einem Zusammenhang stehen. Zu diesem Ergebnis kam die Studie Brustgesundheit Hessen 2001, die 223 Frauen im Alter von
Mehr Sicherheit in der Früherkennung
Tabelle 1 zeigt, dass sich mehr als 70 Prozent aller Fälle von Brustkrebs nach dem 50. Lebensjahr ereignen. Besonders stark nimmt das Risiko ab dem 60. Lebensjahr zu. Nach Angaben der befragten Frauen führen die Hausärzte allerdings äusserst selten Tastuntersuchungen der Brust durch. Unter den 572 weiblichen Patienten, die ein Hausarzt durchschnittlich betreut, müssten sich – statistisch betrachtet – 2 Brustkrebspatientinnen befinden. Ein Fünftel der Hausärzte gibt jedoch an, zurzeit überhaupt keine Brustkrebspatientinnen zu betreuen (1). Da der Hausarzt gerade für ältere Patientinnen die erste «Anlaufstation» darstellt, sollte er dem Problemfeld «Mammakarzinom» grössere Beachtung schenken. Frauenärzte sollten ihrerseits enger mit den Hausärzten zusammenarbeiten und Informationen austauschen. Optimal wäre ein System der gemeinsamen Betreuung, das eine höhere Sicherheit in der Früherkennung bietet.
«Krebs-Gen» als 1. Risikofaktor
Mit dem höchsten Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, sind Frauen behaftet, bei denen
Merk-
sätze
q Ab einem Alter von ca. 50 Jahren – also in einer Lebensphase, in der die Brustkrebserkrankungen zunehmen – suchen Frauen seltener einen Gynäkologen auf.
q Frauen, die bis zur Menopause erheblich an Gewicht zugenommen haben, zeigen ein erhöhtes Risiko, danach an Brustkrebs zu erkranken.
q Sport scheint vor Brustkrebs zu schützen – zu diesem Ergebnis kommen 24 von 36 Studien.
q Je jünger eine Frau zum Zeitpunkt der Brustkrebs-Diagnose ist, desto höher ist das Risiko für ihre nahe weibliche Verwandtschaft, ebenfalls zu erkranken.
q 15 bis 30 Prozent der Mammakarzinome diagnostiziert der Arzt und in 60 bis 70 Prozent hat die Patientin selbst erste Symptome bemerkt, meist einen neu aufgetretenen Knoten in der Brust.
q Befallene axilläre Lymphknoten sind selten ein erstes Krankheitszeichen. Dasselbe gilt für Schmerzen.
q Die Mammasonografie empfiehlt sich bei jungen Frauen mit dichterem Drüsenkörper, wo eine Mammografie keine so gute Aussagekraft besitzt.
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Tabelle 1: Häufigkeit von BrustkrebsErkrankungen in Abhängigkeit vom Alter der Patientinnen
gegangenen Abschnitt begründet, sollte auf ein normales Körpergewicht (BMI je nach Körperbau zwischen 18 und 25) geachtet werden.
Familiäres Risiko überbewertet?
In einer Analyse von 52 Studien mit insgesamt 160 000 Frauen zeigte sich, dass
Alter (Jahre)
ab 30 40 50 60 70 80
Anzahl (1 Fall von ...)
250 77 42 36 34 45
Sport ist hierbei ein gutes Mittel der Vorbeugung. Bei 24 von 36 Studien wurde ein schützender Effekt von Sport auf die Brustkrebsentstehung nachgewiesen. Sportlich aktive Frauen haben einen geringeren Östrogenge-
trotz Brustkrebs in der Familie das Risiko für Frauen, selbst zu erkranken, nur wenig ansteigt. 8 von 9 Brustkrebspatientinnen haben keine nahen Verwandten mit dieser Erkrankung. Umgekehrt erkranken 4 Prozent der Frauen, die eine nahe Verwandte mit Brustkrebs haben, selbst und 8 Prozent, wenn 2 nahe Verwandte be-
(Quelle: Cancer Care Ontario) halt im Körper und leiden viel troffen sind.
seltener an Übergewicht. Eine Eine gewisse Rolle bei der Abschätzung
Überanstrengung sollte dabei des eigenen Risikos spielt die Tatsache,
eine Mutation des BRCR1-Gens vorliegt. jedoch vermieden werden. Klassische wann sich der Krebs bei der Verwandten
Allerdings ist das bei weniger als 0,5 Pro- Ausdauersportarten wie Schwimmen, bemerkbar machte. Denn je jünger eine
zent der weiblichen Bevölkerung der Fall. Laufen, Walken und Radfahren sind ideal. Frau zum Zeitpunkt der Diagnose ist,
Eine Risikoerhöhung ergibt sich auch durch
desto höher ist das Risiko für ihre nahe
die Hormonersatztherapie in der Postmenopause, unabhängig davon, ob es
Anti-Krebs-Diät gibt es nicht
weibliche Verwandtschaft, ebenfalls mit der Erkrankung konfrontiert zu werden.
sich um eine Östrogen-Monotherapie Eine Anti-Krebs-Diät, wie sie immer wie- Jenseits von 50 Jahren steigt für alle
oder eine Kombination mit Gestagenen der in diversen Zeitschriften propagiert Frauen das Risiko, an Brustkrebs zu er-
handelt (Tabelle 2). Eine orale Kontrazep- wird, gibt es nicht. Patientinnen, die da- kranken. So müssen 6 Prozent der Frauen
tion (Pille) erhöht dagegen nach derzei- nach fragen, ist mit dem Rat gedient, öf- in diesem Alter bei leerer Familienana-
tiger Datenlage das Brustkrebsrisiko nicht. ters frische naturbelassene Nahrungsmit- mnese mit einem Mammakarzinom rech-
tel zu verwenden und Fertiggerichte zu nen. Sind 1 bis 2 nahe Verwandte bereits
Fett lockt Brustkrebs
vermeiden.
erkrankt, trifft es 10 bis 13 Prozent.
Einen Beitrag zur «Vorbeugung» leistet
Frauen, die bis zur Menopause erheblich an Gewicht zugenommen haben, zeigen ein erhöhtes Risiko, danach an Brustkrebs
die regelmässige Selbstuntersuchung der Brust. Das heisst, dass jede Frau einmal im Monat, am besten nach der Regelblutung
Bei Diagnose meist symptomatisch
zu erkranken. In einer kanadischen Studie am 4. bis 5. Zyklustag, ihre Brust abtasten Das Mammakarzinom wächst in der Regel
entwickelten Frauen, die seit ihrem 20. Le- sollte. Allerdings sind Tastbefunde insge- langsam. Es können 6 bis 10 Jahre ver-
bensjahr mehr als 25 kg zugelegt hatten, samt nicht sehr zuverlässig.
streichen, bis sich die ersten Krankheits-
häufiger Brustkrebs als die Frauen mit we-
niger als 7,8 kg Gewichtszunahme. Ein
grösserer Bauch- als Hüftumfang ging dabei mit einem noch grösseren Risiko für
Tabelle 2: Risikofaktoren für die Brustkrebstentstehung
Brustkrebs einher. Gründe dafür sind möglicherweise die höhere Produktion von Östrogen, welches im Fettgewebe gespeichert wird, die Beeinflussung des Gewebes durch das Übergewicht sowie der erhöhte Leptinspiegel, der das Zellwachstum anregt.
Risikofaktor
Familiäre Belastung (Verwandtschaft 1. Grades) Alter (> 50 Jahre vs. < 50 Jahre) Gutartige Brusterkrankung: atypische Hyperplasie Alter bei erster Lebendgeburt (> 30 Jahre vs. < 20 Jahre) Alter bei Menopause (> 55 Jahre vs. < 55 Jahre)
Relatives Risiko
1,4–13,6 6,5
4,0–4,4 1,3–2,2 1,5–2,0
Sport beugt vor
Familiäre Belastung (Verwandtschaft 2. Grades) Gutartige Brusterkrankung: Biopsie (mit jedem histologischen Befund)
1,5–1,8 1,5–1,8
Durch vorbeugende Massnahmen lässt sich das Brustkrebsrisiko zwar senken,
Alter bei Menarche (< 12 Jahre vs. > 14 Jahre) Hormonersatztherapie (HRT)
1,2–1,5 1,0–1,5
ganz ausschliessen kann man die Erkran-
Quelle: Tumormanual München
kung damit jedoch nicht. Wie im voran-
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zeichen bemerkbar machen. Bei Frauen vor der Menopause kommt aber durchaus auch ein schnelles, aggressives Tumorwachstum vor. Nur 8 Prozent aller Mammakarzinome werden vor Auftreten von Symptomen ausschliesslich mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie Mammografie und Sonografie entdeckt. 15 bis 30 Prozent diagnostiziert der Arzt, und in 60 bis 70 Prozent hat die Patientin selbst erste Symptome bemerkt, meist einen neu aufgetretenen Knoten in der Brust. Je nach Grösse der Brust sind Knoten ab einem Durchmesser von etwa 1,5 bis 2 cm tastbar.
Abbildung 1: Zustand nach Entfernung des Sentinel-Lymphknotens. Man beachte die sehr kleine Narbe.
Abbildung 4: Typisches Strahlenerythem, vier Wochen nach Bestrahlungsende, mit Hautrötung und Ödem, welches durch den Abdruck des BH-Bügels sichtbar wird.
Warnsymptome
Auch mit Veränderungen an der Haut kann sich ein Mammakarzinom äussern. Dazu zählen Einziehungen, Vorwölbungen, grobporige so genannte Orangenhaut sowie Rötungen. Entzündliche, ekzematöse Hautaffektionen, neu aufgetretene Einziehungen der Mamille sowie blutige Absonderungen können ebenfalls Zeichen eines Mammakarzinoms sein.
Mammografie
Goldstandard bei den bildgebenden Verfahren ist die Mammografie. Mit ihr können noch nicht tastbare Karzinome und Vorstadien, wie zum Beispiel das duktale Carcinoma in situ (DCIS), entdeckt werden. Experten empfehlen deshalb, bei symptomlosen Frauen etwa ab dem 50. Lebensjahr alle 1 bis 2 Jahre eine Mammografie durchzuführen. Die American Cancer Society rät bereits bei Frauen über 40 Jahren, zu einer jährlichen Mammografie. Durch die modernen Verstärkungstechniken liegt die Strahlenexposition bei der Standardmammografie (2 Ebenen) im Niedrigdosisbereich, sodass es keine Hinweise dafür gibt, dass das Krebsrisiko durch die Untersuchung erhöht wird.
Mammasonografie
Die Sonografie stellt die wichtigste Ergänzungsuntersuchung zur Mammografie dar. Mit ihr kann man zwischen zystischen
Abbildung 2: Schlecht sitzender BH ohne seitliche Verstärkung, der zur Quetschung des Gewebes führt und den Lymphabfluss behindert.
Abbildung 3: Dieser BH hat breite seitliche Stützstäbchen, verursacht dadurch keine Schnürfurchen und ermöglicht einen besseren Lymphabfluss.
und soliden Befunden differenzieren. Es lässt sich auch mit Hilfe der Sonografie leicht erkennen, ob Tastbefunde als benigne oder eher maligne einzustufen sind. Die Mammasonografie empfiehlt sich bei jungen Frauen mit dichterem Drüsenkörper, wo eine Mammografie keine so gute Aussagekraft besitzt. Die Sonografie ist ausserdem zur Verlaufskontrolle geeignet.
Die Kernspinuntersuchung der Mamma sollte nur bei speziellen Hochrisikofällen beziehungsweise zur Verlaufskontrolle bei speziellen Nachsorgepopulationen eingesetzt werden (Z.n. Mastektomie und Wiederaufbau der Brust).
Sentinel-Biopsie schont die Axilla
Bei Patientinnen mit diagnostiziertem Mammakarzinom gilt es als Erstes, den Lymphknotenbefall in der Axilla zu beurteilen. Als neues Verfahren hierzu kommt die Sentinel-Lymphknotenbiopsie in Frage. Aufgrund der Ergebnisse verschiedener Studien scheint diese minimalinvasive Methode eine gute Alternative zur klassischen axillären Lymphadenektomie zu sein. Für die hausärztliche Nachbetreuung einer Patientin mit Mammakarzinom ist es wichtig zu wissen, dass nach einer Sentinel-Lymphknotenentfernung ein deutlich geringeres Risiko für Lymphödem und schmerzhafte Lymphbahnverödungen besteht. Eine Lymphdrainage in der weiteren Nachsorge sollte nicht routinemässig eingesetzt werden. Ebenso sind die Dysästhesien und Missempfindungen im axillären Bereich deutlich reduziert. Die Patientin sollte zu einer konsequenten Gymnastik angehalten werden. Die strikte «Schonung», zu der oft geraten wird, sowie das Verbot von Blutabnahmen am betroffenen Arm gelten heute als obsolet.
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Mammakarzinom: vorbeugen, erkennen, betreuen
Strahlenerythem braucht Kälte
Nach der Strahlentherapie kommt es häufig im Bereich der bestrahlten Brust zu vorübergehenden (oft bis zu mehreren Monaten dauernden) ödematösen Veränderungen und Rötungen. Dieses Strahlenerythem führt oft zu grossen Verunsicherungen der Patientinnen mit ängstlichen Anfragen. Abschwellende Therapiemassnahmen mit Kühlung haben sich bewährt. Zahlreiche Studien belegen auch einen guten Effekt von so genannten Enzympräparaten. Die nach Strahlentherapie auch häufig zu beobachtende Hautschuppung der bestrahlten Brust kann durch pflegende Hautöle gut therapiert werden.
Nachsorge mit System
Die Nachsorge beansprucht nach wie vor einen grossen Stellenwert im Rahmen der medizinischen Betreuung onkologischer Patientinnen. Der Hausarzt verfügt dabei über die besten Möglichkeiten, der Patientin bei der Verarbeitung der psychischen und physischen Behandlungsfolgen beizustehen und sie zu beraten. Eine optimale Nachsorge verlangt keinen Aktionismus. Vielmehr sollte man sich vor jeder
Massnahme die Frage stellen, ob das Ergebnis für die Patientin eine therapeutische Konsequenz nach sich ziehen würde.
Rezidive rechtzeitig erkennen
Von elementarer Bedeutung für die Mammakarzinomnachsorge ist die sorgfältige Untersuchung des Operationsgebietes, um rechtzeitig ein Lokalrezidiv zu erkennen. Neben der Palpation sollte hier die Sonografie sowie nach brusterhaltender Therapie die Mammografie und gegebenenfalls die Kernspinuntersuchung grosszügig eingesetzt werden. Eine ähnlich intensive Beachtung verdient die gesunde Brust, um kein Zweitkarzinom zu übersehen. Nach etwaigen Metastasen sollte man nicht ungezielt, sondern nur bei verdächtigen Beschwerden fahnden. Denn man weiss, dass die frühere Behandlung klinisch okkulter Metastasen keinen Überlebensvorteil bringt. Nach Diagnose eines Lokalrezidivs sollte man die Patientin jedoch gezielt nach Knochenschmerzen, Belastungsdyspnoe, epigastrischen Beschwerden sowie Unregelmässigkeiten beim Stuhlgang fragen. Denn eine Metastasierung hätte Einfluss auf die Radikalität der weiteren Therapie. Laboruntersuchungen inklusive Bestimmung der
Tumormarker CA 15-3 und CEA spielen
eine eher untergeordnete Rolle. Denn die
durch einen Markeranstieg etwas frühere
Entdeckung von Metastasen bringt weder
unter kurativen noch paliativen Gesichts-
punkten einen Vorteil. Zum anderen kann
ein falsch positiver Wert zu einer enormen
Verängstigung der Patientin mit dras-
tischer Reduktion der Lebensqualität
führen.
q
1. Nass-Griegoleit: 2002 Breast-cancer-communication-gap among german women.
Dr. med. Monika Kaul Oberärztin
Frauenklinik vom Roten Kreuz Taxistrasse 3
D-80637 München Tel. 0049 089 15706-9812 (Funk)
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 11/2004. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
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