Transkript
GESUNDHEITSPOLITIK q POLITIQUE DE LA SANTÉ
Auf der roten Liste: der gemeine Landarzt
Und was man dagegen unternehmen kann
RICHARD ALTORFER
Sie sterben langsam aus, und keiner merkt es: die Hausärzte auf dem Land. In einigen Regionen schon heute, in andern erst in ein paar Jahren werden es die Patienten merken (und die Politiker): Der jederzeit verfügbare Hausarzt, der erste Ansprechpartner bei Gesundheitsproblemen jeglicher Art, ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Warum? Weil man ihn vergrault, ihm zu viele Steine in den Weg gelegt, ihm sein gutes Einkommen für eine noch bessere Leistung geneidet hat. Aber dann wird es zu spät sein für rasche Korrekturen. Vielleicht ist es heute noch nicht zu spät, diese Entwicklung zu verhindern.
Leider kein fiktives Beispiel Das folgende Erlebnis ist nur halbwegs fiktiv: Aus gesundheitlichen Gründen muss Kollege B. seine Hausarztpraxis, die er als Allgemeinmediziner vor gut 20 Jahren eröffnet hat, ziemlich unvermittelt aufgeben. In dem kleinen Dorf ist er der einzige wirkliche Hausarzt. Es gibt daneben nur noch einen älteren Kollegen, der sich auf die Betreuung von Kindern spezialisiert hat, jedoch nur noch an zwei bis drei Tagen arbeitet und auch nicht mehr am regionalen Notfalldienst teilnimmt. B. geht also auf die Suche nach einem Nachfolger. Das scheint ihm kein Problem. Man arbeitet zwar sehr viel hier auf dem Land, wo die Leute auch aus den umliegenden Dörfern in die Praxis kommen, man verdient aber auch recht gut. Natürlich auch wegen der Selbstdispensation. Sicher, Notfalldienste sind häufig, obschon man sich gut organisiert hat in der Region. Auch die Sonn- und Feiertagsruhe wird regelmässig von Kranken oder Verunfallten gestört. Aber das gehört zum Beruf. Die Ehefrau arbeitet in der Praxis mit. Selbstverständlich. Dafür ist man als Dorfdoktor angesehen und kann sich heute, nach 20 Jahren, auch mal einen Stellvertreter für zwei Wochen leisten, die Ruhepause in einem eigenen Ferienhaus verbringen oder sonstwo schöne Ferien machen. Wenn auch immer noch mit einem etwas schlechten Gewissen den Patienten gegenüber. Also kein Problem, einen Nachfolger zu finden, der für einen lächerlichen Preis (nur die Einrichtung, Röntgen, Labor usw., alles noch ziemlich neu, ist zu bezahlen, auf einen «Goodwill» will B. sogar verzichten) eine gut gehende Praxis übernehmen kann und vom ersten Jahr an «tiefschwarze» Zahlen schreibt? Da kommt B. aber schön auf die Welt. Zwar melden
sich auf die Inserate in der «Ärztezeitung» mehrere Interessenten, und auch aus dem regionalen Spital rufen ein älterer Assistenzarzt und ein Oberarzt an. Als es jedoch an die Details geht, wundert sich B. Die Frau des einen Kollegen will nicht so weit von der Stadt weg, die Frau des andern schreckt davor zurück, als Frau Doktor ihren Teil der Aufgaben zu übernehmen. Der eine Kollege ist sich aus der Stadt gewohnt, seine Praxis um 17.30 Uhr zu schliessen und den Rest des Tages – die Wochenenden sowieso – mit seiner Familie zu verbringen. Andere waren eh nur neugierig und stellen auf einmal fest, dass ihnen, wenn sie eine Praxis eröffnen, niemand mehr die Pensionskassenbeiträge bezahlt, fünf Wochen Ferien garantiert, den ganzen administrativen Kram abnimmt, die Rechnungen stellt und aus dem Spitalpool dann noch ein paar Franken zuschiesst. Und schliesslich: Unternehmer? Igitt, das ist ja sogar mit einem Risiko verbunden. Was, wenn ein weiterer Kollege im Nachbardorf eine Praxis eröffnet? Oder noch schlimmer: Was, wenn der Kollege Z. im Nachbardorf seine Praxis altershalber aufgeben muss und seine Patienten auch noch in B.s Praxis strömen? Dann gibts überhaupt keinen Feierabend mehr. B. hat dann doch noch einen Kollegen gefunden. Mit Mühe und Glück. Vielleicht weil die Praxis wirklich gut geführt war und einen überdurchschnittlichen Ertrag abgeworfen hat. Andern Kollegen in der weiteren Umgebung ist’s nicht so gut ergangen.
Politisch aktiv werden – heute! In den OSGAM-Informationen weist Rolf Naegeli auf dieses Problem hin, das manche Politiker und andere Fachleute im Gesundheitswesen noch nicht genügend
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GESUNDHEITSPOLITIK q POLITIQUE DE LA SANTÉ
Auf der roten Liste: der gemeine Landarzt
An den Präsidenten des Kantonsrats
Interpellation Ärztemangel und medizinische Grundversorgung
XYZ, 3. September 2004
Erstes und wichtigstes und notabene kostengünstigstes Glied im Rahmen der medizinischen Betreuungskette ist die ambulante Grundversorgung, gewährleistet durch die Hausärzte. Dieser Feststellung stimmen zwar alle Verantwortlichen gerne zu, viele politische Massnahmen der vergangenen Jahre weisen jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Der Beruf des Hausarztes ist aufgrund der Rahmenbedingungen immer weniger attraktiv geworden. Die Gründe hierfür in Stichworten: grosse (zeitliche) Belastung, unter anderem durch immer mehr (nicht honorierte) Notfallpräsenz und anspruchsvollere Notfalleinsätze wegen der Verabschiedung der Spezialärzte aus diesem allgemeinen Dienst, mehr Papierkrieg wegen überbordender Administration, Verlust der Selbstdispensation, allgemeiner Imageverlust und Sündenbock-Rolle der praktizierenden Ärzte, verstärkte Konkurrenz zwischen Praxen und Spitalambulatorien, erhöhte Ansprüche an Qualitätskontrollen, Fortbildungszertifikate, Fertigkeits- und Fähigkeitsausweise und so weiter sowie ein kaufkraftbereinigter realer Einkommensverlust von rund 40 Prozent in den letzten 15 Jahren (zum Teil durch Verweigerung von Tarifanpassungen auch in Zeiten erhöhter Teuerung). Fazit: Immer weniger junge Ärzte gehen das Risiko ein, unter Inkaufnahme einer grossen Verschuldung eine eigene Praxis aufzubauen. Dieser schweizweit feststellbare Trend betrifft in Kürze auch Schaffhausen. Hausarztpraxen auf dem Land können bereits heute kaum mehr an Nachfolger übergeben werden (Beispiele bekannt). Wenn dereinst mehrere ältere Praktiker innerhalb kurzer Zeit ihre Tätigkeit aufgeben, ist eine medizinische Unterversorgung auf dem Land nicht nur nicht auszuschliessen, sondern absehbar. Dem Interpellanten ist klar, dass viele Weichen derzeit in Bern falsch gestellt werden (Praxiseröffnungsstopp, Aufhebung des Kontrahierungszwangs). Ausführende sind in manchen Fällen jedoch die Kantone. Ich frage deshalb den Regierungsrat: 1. Wie beurteilt er die Situation generell? 2. Wie speziell in der Region Schaffhausen? 3. Was gedenkt er gegen den drohenden Ärztemangel zu unternehmen (allenfalls in Absprache mit andern Kantonen)? 4. Wie handhabt er den bundesrätlich verordneten Praxiseröffnungsstopp?
Für eine Stellungnahme bedanke ich mich. Mit freundlichen Grüssen
N.N., Kantonsrat
zur Kenntnis genommen haben und das sich, wenn’s denn akut wird, nicht von heute auf morgen lösen lässt. Denn Eingriffe, die auf die Steuerung der Anzahl Ärzte zielen, werden – wie zwar jedermann weiss, aber gerne sogleich vergisst – erst mit einer Latenz von mindestens 10 bis 15 Jahren wirksam. Also: Es läuft etwas falsch im Hause Schweiz. Und es wird höchste Zeit, das Thema aufs politische –
und mediale – Tapet zu bringen. Rolf Naegeli, Vorstandsmitlgied der SGAM, schlägt vor, in jedem Kanton aktiv zu werden. Gesagt, getan, denn er hat Recht. Hiermit ergeht also der Aufruf, in den kantonalen Parlamenten auf das kommende (manchenorts bereits bestehende) Malaise hinzuweisen, mittels Interpellation oder kleiner Anfragen. Das können parlamentarisch tätige Ärzte übernehmen.
Es gibt aber auch Parlamentarier, die sich
als Gesundheitspolitiker noch profilieren
möchten. Helfen wir ihnen dabei! Oben
ein Beispiel, wie eine Interpellation aus-
sehen könnte (Beispiel aus dem Kanton
Schaffhausen).
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Richard Altorfer
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