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BERICHT● RAPPORT
Osteoporosetherapie: Nur klinische Resultate zählen
Ein Bericht vom European Symposium on Calcified Tissues (ESCT)*
THOMAS FERBER
Die mit dem DXA-Verfahren gemessene Knochendichte gibt wichtige Hinweise zur Prävention und Therapie der Osteoporose. Für die Beurteilung des Therapieerfolges und des klinischen Verlaufes der Osteoporosetherapie hingegen zählt nicht der Surrogatmarker Knochendichte, sondern allein das klinische Resultat, das heisst die Frakturrate in der Wirbelsäule und an allen anderen Prädilektionsstellen der Osteoporose. Dies ist das Fazit des Satellitensymposiums «Knochenstärke und Frakturresistenz in der Osteoporose», das unter der Leitung von René Rizzoli, Genf, stand.
Die Osteoporose wird heute beschrieben als systemische Skeletterkrankung mit verminderter Knochenmasse und einer Beeinträchtigung der Mikroarchitektur des Knochengewebes. Dies führt zu einer erhöhten Fragilität und Empfänglichkeit des Knochens für Frakturen. Die Beurteilung der Mikroarchitektur steht heute im Zentrum der Osteoporoseforschung und -therapie. Dies ist zumindest für die Praxis neu. Doch davon später.
Paradigmenwechsel soll Therapie optimieren
Die Epidemiologie der Osteoporose ist bekannt, aber nicht immer ganz präsent: Jede fünfte Frau mit einer postmenopausalen Osteoporose und erlittener Vertebralfraktur wird innerhalb von fünf Jahren erneut eine Fraktur erleiden. Auch der Vergleich ist drastisch: Heute sterben genauso viele Frauen an einer osteoporotisch bedingten Hüftfraktur wie an einem Mammakarzinom. Schliesslich: Jede dritte Frau über 80 und jeder neunte Mann muss mit einer Hüftfraktur rechnen. Das mag alles nicht neu sein, doch die Osteoporose-Epidemie rollt unaufhaltsam, und es erscheint daher wichtig, nicht nur einen Blick auf die Epidemiologie zu werfen, sondern auch auf das sich wandelnde Krankheitsverständnis: In der qualitativen Beurteilung des Osteoporoseverlaufes findet nämlich derzeit ein bedeutender Paradigmenwechsel statt. Lange Zeit galt die Messung der Knochendichte (BMD, Bone Mineral Density) mit DXA (Dual-Energy XRay Absorption) als das wichtigste Verfahren zur Beurteilung der Knochenqualität. Doch die alleinige Berücksichtigung eines
* Die Veranstaltung fand vom 5.–9. Juni 2004 in Nizza statt.
nichtklinischen Surrogates kann womöglich letztlich die Sicht auf eine Optimierung der Therapie verstellen.
Mit DXA gemessene Knochendichte nicht überbewerten
Durchgeführte Therapien mit Bisphosphonaten erhoben die DXA zum Goldstandard, wenn es um die Dokumentation ihres Produkteerfolges ging. Doch DXA vermittelt gemäss Steven Boonen vom belgischen University Center for Metabolic Diseases, Leuven, nur eine unvollständige Abschätzung der Knochenqualität. Dies erinnert uns an die Problematik, die damit verknüpft ist, wenn bei der Behandlung eines Patienten nicht auf klinische Endpunkte, sondern nur auf Surrogatmarker abgestützt wird. Somit scheinen Studien mit Surrogatmarkern ungeeignet, hingegen sorgfältig durchgeführte Studien mit harten klinischen Endpunkten sehr nützlich zu sein.
Klinische Langzeitdaten offen legen!
Analoge Überlegungen gelten auch für die Osteoporose: Mit dem erweiterten Verständnis über den Knochenstoffwechsel und die Wirkung der verschiedenen Bisphosphonate wird immer deutlicher, dass der Therapieerfolg auch bei der Osteoporose letztendlich nur klinisch gemessen werden darf und dass bei der Wahl des geeigneten Bisphosphonates sein Wirkmechanismus eine ganz entscheidende Rolle spielt. Hier nun kommt erneut die Mikroarchitektur ins Spiel: Verbleibt ein Bisphosphonat zu lange im Knochen, so kann möglicherweise der Umbauprozess ungünstig beeinflusst werden. Diese derzeit theoretische Vermu-
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Osteoporosetherapie: Nur klinische Resultate zählen
tung bedarf dringend einer Klärung, sowohl auf der physiologischen Ebene wie auch klinisch. Eine endgültige Beurteilung dieser Annahme lässt sich wohl nur vornehmen, wenn die Firmen nicht nur auf Surrogatmarkern basierende Langzeitdaten, sondern auch ihre klinischen Langzeitdaten (über fünf Jahre) auf den Tisch legen. Dies ist derzeit bezüglich der klinischen Daten, wie Lindsay meinte, nur bei Risedronat der Fall. Es habe sich für dieses Bisphosphonat erwiesen, dass die Behandlung die Rate des «Bone Turnover» auf ein wünschbares Mass reduzieren lässt.
Nur die Klinik zählt
Vergleichende Rückschlüsse werden auch aus retrospektiven Untersuchungen gezogen. Hierzu haben Watts et al. eine Erhebung bei mehreren tausend Patienten publiziert, die entweder Risedronat, Alendronat oder Calcitonin erhielten (J Manag Care Pharm. 2004; 10(2): 142–51). Nicht das Mass von DXA kam in dieser Studie zur Anwendung, sondern einzig und allein die Frakturrate (klinisch auffällige Nichtwirbelfrakturen) nach sechs und zwölf Monaten Therapie. Nach zwölf Monaten betrug die Mehrreduktion der Frakturrate von Risedronat gegenüber Alendronat 59 Prozent (p = 0,049). Calcitonin
schnitt nur unwesentlich schlechter ab als Alendronat, war hingegen signifikant schlechter als Risedronat. Diese Studie hat laut Robert Lindsay von der Columbia University, New York, gezeigt, dass es wichtig ist, zur Beurteilung der Wirksamkeit eines Bisphosphonates nicht ausschliesslich die vertebralen Frakturen zu beobachten, sondern auch alle anderen Frakturen zu erfassen. Als Grund nennt er folgenden: Viele vertebrale Frakturen verlaufen stumm und können somit nicht korrekt erfasst werden, wohingegen jeder andere Frakturort in der Regel klinisch unverzüglich manifest wird. Es zeigt sich somit, laut Boonen, dass die verschiedenen Bisphosphonate nicht aufgrund der DXA-Messungen beziehungsweise der BMD-Endpunkte miteinander verglichen werden können. Was einzig zählt, sind die klinische Beobachtung und die Messung der klinischen Endpunkte.
Nachhaltigkeit schützt vor Überraschungen
Eine sehr wichtige Rolle spielt im Knochenstoffwechsel der «Bone Turnover» beziehungsweise die Art und Qualität des Knochenneuaufbaus (Remodelling). Im Rahmen des Remodellings kommt es zu einer Ausbesserung der Mikrostruktur.
Mikrorisse, so wie sie ständig selbst unter normalen Umständen im trabekulären und kortikalen Bereich entstehen, werden entfernt. Der dabei stattfindende Knochenumbau folgt hierbei aufgrund fein abgestimmter Prozesse, in die bei der Therapie der Osteoporose mit den Bisphosphonaten eingegriffen wird. Wichtig ist die Beurteilung der Mineralisation, Grösse der Mineralkristalle sowie der Kollagenverknüpfungen. Es ist entscheidend, den Einfluss der Bisphosphonate in diesen Prozess exakt zu verstehen, um die Qualität des neu entstehenden Knochens – und damit auch der Behandlung – besser beurteilen zu können. Schliesslich spielen neben dem Remodelling für Lindsay auch die Struktur- und Materialeigenschaften eine wichtige Rolle. Lindsay betont, dass diese Eigenschaften bei der Therapie langfristig im Auge behalten werden müssen. ●
Dr. med. Thomas Ferber Postfach 412
8201 Schaffhausen E-Mail: thomasferber@mail.ru
Interessenlage: Der Autor nahm an dem Symposium auf Einladung von Aventis teil. Als Quelle des Beitrages dienten zudem eigene Recherchen.
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