Transkript
ÜBERSICHT● APERÇU
Allergische Rhinitis und Asthma
Welche Zusammenhänge gibt es?
POSTGRADUATE MEDICINE
In den letzten Jahren gibt es
zunehmend Hinweise darauf,
dass eine allergische Rhinitis
ein Asthma bronchiale nach
sich ziehen kann und dass die
Therapie der oberen Atem-
wege entsprechend auch die
bronchialen Symptome zu lin-
dern vermag. Evidenzen für
die «One-airways»-Hypothese
sammelt Gerald W. Volcheck
in «Postgraduate Medicine».
Eine ganze Reihe von epidemiologischen Studien hat die Vermutung aufkommen lassen, dass zwischen allergischer Rhinitis und Asthma bronchiale ein Zusammenhang besteht. Ein Review von fünf grossen Studien etwa ergab folgenden aufschlussreichen Befund: Kinder, Jugendliche und Erwachsene ohne allergische Rhinitis wiesen eine Asthmaprävalenz von 3,6 bis 5 Prozent auf, hingegen lag die Prävalenz bei den untersuchten Probanden mit allergischer Rhinitis deutlich höher – zwischen 10 und 30 Prozent. In einer Follow-up-Studie mit Studenten einer amerikanischen Universität, die einen Zeitraum von 23 Jahren umspannte,
entwickelte sich Asthma bei 10 Prozent der allergischen Rhinitiker und nur bei 3,6 Prozent der Teilnehmer ohne Rhinitis. Bekannt ist zudem, dass eine Therapie nasaler Symptome auch die Asthmabeschwerden zu lindern vermag; ins Bild passt, dass eine Verschlimmerung der Rhinitisbeschwerden zur Persistenz von Asthmasymptomen führen kann. Aus Einsicht in solche Zusammenhänge spricht man heute gern von allergischer Rhinobronchitis. Dabei handelt es sich also nicht nur um eine pure Begriffsverknüpfung, vielmehr impliziert die Koppelung durchaus praktische Konsequenzen: Eine allergische Rhinitis sollte nicht verharmlost, sondern behandelt werden, um so auch dem Asthma entgegenzuwirken. Bislang glaubte man, der Zusammenhang erkläre sich aus einem gemeinsamen allergenen Trigger. Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass die Liaison auch bei Nichtatopikern vorkommt. Die Tucson Epidemiologic Study of Obstructive Lung Diseases kam zu dem Resultat, dass unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Rauchstatus und Atopie das Asthmarisiko bei Menschen mit Rhinitis um das Dreifache erhöht ist. Einem Bericht der American Academy of Allergy, Asthma, and Immunology zufolge sollen bis zu 78 Prozent der Patienten mit Asthma schwere nasale Symptome aufweisen und 38 Prozent der allergischen Rhinitiker auch ein Asthma bronchiale entwickeln. Anatomisch betrachtet ist die Beziehung zwischen Nase und Lunge buchstäblich nahe liegend. Beide Organe werden von ähnlichen Zilien und Schleimhautdrüsen ausgekleidet, auch die Innervation und die Gefässversorgung lässt den gemeinsamen Ursprung erkennen. Die oberen Luftwege fungieren bekanntlich als Partikelfilter, als Wärmeaustauscher und Luft-
Merk-
sätze
● Vieles spricht derzeit dafür, dass allergische Rhinitis und allergisches Asthma bronchiale ähnlichen pathogenetischen Mechanismen folgen.
● Die Behandlung der allergischen Rhinitis lindert auch das Asthma beziehungsweise kann seine Entstehung verhindern.
● Auch die Allergenvermeidung und die Immuntherapie haben günstigen Einfluss auf ein Asthma bronchiale.
befeuchter. Darum bleiben Veränderungen der oberen Luftwege in den tieferen nicht ohne Folgen. Die an der Interaktion von Nase und Lunge beteiligten pathophysiologischen Mechanismen werden derzeit intensiv studiert, etwa die neuronalen Reflexmechanismen und die systemische Induktion von Entzündungsreaktionen. In den letzten Jahren haben zelluläre und molekulare Forschungen die Schlüsselrolle der Entzündung sowohl für die Rhinitis als auch für das Asthma erhellt. Dabei fanden sich etliche Ähnlichkeiten hinsichtlich der beteiligten Zellen, der freigesetzten Zytokine und anderer Mediatoren in der nasalen und der bronchialen Schleimhaut. Hier wie dort beginnt die Entzündung mit der Sensibilisierung und der auf sie folgenden spezifischen IgE-Antwort auf aerogene Allergene, sobald sich diese auf der Mukosa niederschlagen. Werden die Aller-
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Allergische Rhinitis und Asthma
gene den T-Helferzellen präsentiert, beginnen allergenspezifische B-Zellen mit der IgE-Antikörperproduktion unter dem Einfluss etwa von Interleukin (Il)-4 und Il-3 (sog. TH2-Antwort). Während dieser AkutePhase-Reaktion erleichtern Mediatoren den Durchtritt von Leukozyten (primär Eosinophilen) aus dem Blut in die nasale oder bronchiale Schleimhaut und bereiten so die Bühne für die länger andauernde zweite Phase, die zumeist nach vier bis sechs Stunden beginnt. Während der zweiten Phase setzen Entzündungszellen eine Reihe von Mediatorsubstanzen frei, welche die Entzündungsreaktion weiter entfachen. Schleimproduktion und Atemwegsobstruktion sind Ausdruck dieser Phase, in der Nase und in der Lunge. Obwohl viele Patienten mit allergischer Rhinitis kein offenkundiges Asthma haben, können Entzündungsvorgänge in den unteren Luftwegen bei ihnen durchaus vorhanden sein. Einige Rhinitiker zeigen entsprechend eine Hyperreagibilität bei bronchialer Provokation. Studien der Arbeitsgruppe um Braunstrahl haben zudem gezeigt, dass eine generalisierte Atemwegsentzündung bei Asthmatikern und Rhinitikern vorhanden
ist. Die Forscher fanden beispielsweise, dass ausschliesslich nasale allergene Provokation auch eine eosinophile Reaktion in den unteren Atemwegen auslöste. Der umgekehrte Weg ist übrigens ebenfalls möglich. Es gibt also Gründe, wie der Autor meint, Nase und Lunge als ein Organ aufzufassen.
Therapieoptionen
Eine nennenswerte Zahl von Studien hat ergeben, dass es in der Tat gelingt, durch eine treffliche Behandlung der Rhinitis auch das Asthma bronchiale zu lindern. Insbesondere gilt dies nach Auffassung des Autors für intranasale Steroide, wo Studien bei Patienten mit allergischer Rhinitis und leichtem Asthma vorliegen. Antihistaminika sind lokal (in der Nase) appliziert hoch wirksam, ihr Effekt auf die unteren Atemwege scheint nach derzeitigem Kenntnisstand aber geringer als der von Steroiden. Allergenvermeidung und Immuntherapie haben dagegen nachgewiesene günstige Effekte, wie die Preventive Asthma Treatment (PAT)-Studie nahelegt. An ihr nahmen Kinder zwischen 7 und 13 Jahren teil,
die zu Studienbeginn eine allergische Rhinitis, aber kein Asthma aufwiesen. Nach einem dreijährigen Follow-up zeigte sich, dass etwa jedes vierte Kind, bei dem eine Immuntherapie durchgeführt wurde, ein Asthma entwickelt hatte, hingegen jedes zweite, dem die Hyposensibilisierung vorenthalten wurde. In einer Studie bei 44 jungen Erwachsenen mit perennialer allergischer Rhinitis entwickelte sich ebenfalls häufiger ein Asthma als bei Patienten, die eine Plazebotherapie erhalten hatten. Insgesamt bieten die vorliegenden Studien also recht deutliche Hinweise darauf, dass die lokale und die systemische Behandlung einer allergischen Rhinitis auch mit Blick auf ein Asthma notwendig und sinnvoll ist. ●
Gerald W. Volcheck: Does rhinitis lead to asthma? Evidence for the one-way hypothesis. Postgraduate Medicine 2004; 115: 65–68.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
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