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Titel
Nobel-Nase
Untertitel
-
Lead
Den «Geruch von Flieder im Frühling» enthielt die Bekanntmachung des Karolinska-Instituts, welches so blumig wie nie zuvor die diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin ehrte. 2004 haben die Stockholmer Trüffelschweine das richtige Näschen. Kein nur in Fachkreisen bekannter Elfenbeintürmler, der für die Pharmaindustrie Lukratives herausfand, kein Abgehobener, der Schwerzuverstehendes in Insider-Zeitschriften publizierte, sondern zwei originelle Charismatiker hatten diesmal die Nase vorn. Richard Axel und Linda Buck schnüffelten die Geheimnisse des Geruchssinns aus: ein wichtiger und von der Forschung vernachlässigter Sinn.
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-
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Rubriken — ARSENICUM
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11950
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Nobel-Nase

Den «Geruch von Flieder im Frühling» enthielt die Bekanntmachung des Karolinska-Instituts, welches so blumig wie nie zuvor die diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin ehrte. 2004 haben die Stockholmer Trüffelschweine das richtige Näschen. Kein nur in Fachkreisen bekannter Elfenbeintürmler, der für die Pharmaindustrie Lukratives herausfand, kein Abgehobener, der Schwerzuverstehendes in Insider-Zeitschriften publizierte, sondern zwei originelle Charismatiker hatten diesmal die Nase vorn. Richard Axel und Linda Buck schnüffelten die Geheimnisse des Geruchssinns aus: ein wichtiger und von der Forschung vernachlässigter Sinn. Über ihr Forschungsgebiet rümpft der hochnäsige Wissenschaftsbetrieb meist die Nase. Schon Adorno und Horkheimer jammerten: «So gilt der Zivilisation Geruch als Schmach, als Zeichen niederer sozialer Schichten, minderer Rassen und unedler Tiere», behaupteten aber kühn: «Im Sehen bleibt man, wer man ist, im Riechen geht man auf.» Gut Ding will Weile haben: es brauchte 13 Jahre bis zum Nobelpreis. Doch man wittert Morgenluft, denn drei Tatsachen stechen angenehm in die Nase: dass die beiden Riechorganisten mit ihren 58/57 Jahren im Vergleich zu den sonst meist hochbetagten Nobel-Laureaten eher jung sind, dass

eine Frau im Tandem ist (und Frau Buck sich zwar keine goldene Nase verdient, aber doch jetzt ein paar «bucks» bekommt!) und dass Axel, der New Yorker Näseler, ein Doppel-Axel ist, der nicht nur in Top-Journals schreibt, sondern auch populärwissenschaftlich in «Science», in Apotheker-, Gemeindeund Kinder-Blättchen. Die Nase des Mannes hat den Riecher dafür, wie er seine komplexen Resultate jedermann verständlich machen kann. Ruchbar wurde auch, dass Linda ein nachtaktiver Workaholic ist. Schon vor Süskinds «Parfum» hatte auch ich geschmeckt, dass unser Geruchs- und Geschmackssinn etwas Besonderes ist. Jetzt kenne ich die olfaktorischen Fakten: Tausend verschiedene Geruchsrezeptoren auf winzigen zwei Quadratzentimeter Riechepithel, fünf Millionen Rezeptoren insgesamt, wofür ein Vierzigstel all unserer Gene verantwortlich ist. Und die Schnüffelneuronen sind die einzigen Hirnzellen, die nachwachsen. Endlich ist erklärt, wie unser Geruchsgedächtnis funktioniert, warum wir bei Lebkuchenduft nicht an Ostern denken. Alles eine Folge von biochemischen Vorgängen mit Proteinen und Zink, die in Zinkernagels Zinken (und Hirn) analog wie bei mir ablaufen. Im Gegensatz zur trockenen Rechtswissenschaft ist Medizin feucht – schliesslich

leitet sie sich aus der Säftelehre ab. Medizin ist Nasensache. Nur der Nase nach findet bereits ein randomisierter, doppelblinder Assistenzarzt den Weg durchs Spital: vom Schweissfussgeruch der Ambulanz zum Urin- und Stuhlaroma der geriatrischen Bettenstation. Pflegefachkräfte sind zwar nicht mehr «Karbolmäuschen», aber Medizin hat immer noch Aroma. Doch Gout ist Geschmacksache. Manchmal stinkt es einem. Man kriegt Sachen auf die Nase gebunden, wird an ihr herumgeführt, bekommt auf ihr herumgetanzt oder gar eins drauf. Man darf nicht naseweis sein, soll aber stets die Nase im Wind haben und weiter als seine eigene Nase sehen. Die Nase sollen wir in die Bücher, aber nicht in jeden Quark stecken. Wir sollen allen alles an der Nase ansehen und für ein Nasenwasser arbeiten. Doch wir dürfen anderen nichts unter die Nase reiben und niemandem eine Nase drehen, selbst wenn Politikernasen pinocchioartig sind. Damit man im Laufe seines Berufslebens nicht die Nase davon voll bekommt, sollte man nicht wie Sigmund Freud eine Nase voll nehmen, sondern sich gelegentlich selbst an der Nase nehmen. Und sich über die diesjährige Nobelpreisverleihung freuen – ist sie nicht dufte?

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