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BERICHTq RAPPORT
Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen?
Sicherheitsbedenken tragen zur Beunruhigung bei – jetzt ist eine neue Studie erschienen
UWE BEISE
Die Therapie depressiver Kinder und Jugendlicher mit Antidepressiva wird von vielen Psychiatern als notwendig erachtet. Für die meisten Antidepressiva liegen aber noch keine überzeugenden Wirksamkeitsnachweise vor. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die Medikamente womöglich die Suizidgefährdung bei den jungen Patienten erhöhen. Eine aktuelle, firmenunabhängige Studie mit dem SSRI Fluoxetin kommt zu günstigeren Ergebnissen.
Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Antidepressiva ist seit längerem ein heisses Eisen. Zu unsicher ist die Datenlage für die allermeisten in Frage kommenden Substanzen, vor allem aber
konnten Bedenken hinsichtlich möglicher Behandlungsrisiken nie vollständig ausgeräumt werden. Im Juni 2003 warnten die Gesundheitsbehörden in England und den USA vor einem erhöhten Suizidrisiko unter Paroxetin. Nach eingehender Prüfung erklärte die britische Regulierungsbehörde, die British Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency, sämtliche Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen für kontraindiziert – mit Ausnahme von Fluoxetin. Eine Expertenkommission der US-amerikanischen Food and Drug Administration hat Mitte September dieses Jahres die höchste Warnstufe empfohlen. Ein Warnhinweis solle in einer Black Box, einem schwarzen, fett gedruckten Kasten, auf der Produktinformation für Ärzte erscheinen, fordert sie. Zudem verlangen die Experten einen Warnzettel für Patienten beziehungsweise ihre Eltern. Erfahrungsgemäss wird sich die FDA dieses zunächst unverbindliche Votum demnächst zu eigen machen. Ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis konstatieren amerikanische und britische Behörden bislang einzig für Fluoxetin (z.B. Fluctine®), das in diesen Ländern auch für die Therapie von depressiven Kindern und Jugendlichen zugelassen ist. In der Schweiz ist kein Antidepressivum für diesen Patientenkreis zugelassen. Viele behandelnde Psychiater befinden sich also in einem Dilemma, da sie die medikamentöse Therapie eigentlich oft für unverzichtbar halten, den «Off label»-Einsatz von Antidepressiva aber vor dem Hintergrund der mutmasslichen Risiken rechtfertigen müssen. Die Lage ist auch deshalb unbefriedigend, weil es schlicht zu wenig Studien bei Kindern und Jugendlichen gibt (siehe auch im Anschluss das Interview mit Ulrich Preuss), die allen Beteiligten mehr Gewissheit ver-
Merk-
sätze
q Bei Kindern und Jugendlichen können Antidepressiva das Suizidrisiko erhöhen. Von den britischen Behörden sind deshalb alle Antidepressiva in diesem Alter für kontraindiziert erklärt worden, mit Ausnahme von Fluoxetin, das auch in den USA für die jungen Patienten zugelassen ist.
q Die kürzlich im JAMA erschienene TADS-Studie zeigt, dass Kinder und Jugendliche mit Major Depression am besten von einer Kombinationstherapie aus Fluoxetin und Verhaltenstherapie profitieren.
q Das Suizidrisiko war unter den mit dem SSRI behandelten Patienten nicht erhöht, allerdings traten unter dem Medikament deutlich häufiger «harm-related» Nebenwirkungen auf, weshalb die Autoren und Kommentatoren ein sehr sorgfältiges Monitoring für erforderlich halten.
schaffen könnten. Klar scheint indes, dass man die bei Erwachsenen erhobenen Studienergebnisse nicht umstandslos auf Kinder und Jugendliche übertragen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass offenkundig mehrere einschlägige Studien bei jungen depressiven Patienten unveröffentlicht blieben. Grosse Beachtung fand beispielsweise im April dieses Jahres eine
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«Lancet»-Studie, in der die Autoren her- reits mindestens sechs Wochen an. Aller- Immerhin jeder dritte Patient erfuhr unter
ausfanden, dass die Ergebnisse unveröf- dings waren in der Studie wie auch sonst Plazebo eine Besserung.
fentlichter Studien schlechter ausgefallen üblich Patienten mit einem akuten bezie- Befürchtungen hinsichtlich eines erhöhten
waren als die der veröffentlichten. Insge- hungsweise hohen Suizidrisiko ausge- Suizidrisikos bestätigten sich in dieser Stu-
samt konstatierten die Autoren bei den schlossen worden. Immerhin 30 Prozent die nicht direkt. Suizidgedanken, von de-
überprüften SSRI – mit Ausnahme von hatten jedoch Suizidgedanken bei Eintritt nen zu Studienbeginn knapp 30 Prozent
Fluoxetin – kein günstiges Nutzen-Risiko- in die Studie.
gequält wurden, nahmen im Lauf der The-
Verhältnis. Die «Lancet»-Herausgeber sahen Man unterteilte die jungen Patienten in rapie ab, und zwar in allen Therapiegrup-
sich zu einer geharnischten Protestnote vier Behandlungsgruppen. Sie erhielten pen. Insgesamt machten 7 Patienten einen
veranlasst: Dass Studien in der Schublade entweder Fluoxetin (z.B. Fluctine®) oder Suizidversuch, der in allen Fällen misslang.
verschwänden, sei eigentlich unvorstell- Plazebo oder unterzogen sich einer kogni- Nach Auffassung der Studienautoren sollte
bar und bedeute «einen Missbrauch des tiven Verhaltenstherapie. Die vierte Gruppe diese TADS den Ruf nach Einschränkung
Patientenvertrauens durch Ärzte und In- erhielt eine Kombinationsbehandlung aus der medikamentösen Depressionsbehand-
dustrie». Zudem würden durch das Vor- Antidepressivum und Verhaltenstherapie. lung verstummen lassen. «Wir sollten
enthalten ungünstiger Resultate die The- Die Fluoxetin-Dosis durfte laut Protokoll stattdessen die Therapie mit Fluoxetin
rapieempfehlungen von Organisationen individuell in einem Bereich von 10 bis einem breiten Kreis von bedürftigen Pa-
wie etwa dem National Institute for Clini- 40 mg/Tag angepasst werden, die höchs- tienten zugänglich machen, natürlich bei
Wir sollten Antidepressiva unseren
“ ”Patienten nicht vorenthalten. Fazit der TADS-Studienautoren
ten Dosen betrugen tatsächlich 30 mg/Tag. Die Verhaltenstherapie war auf 15 Sitzungen über 12 Wochen konzipiert. Bei diesem Behandlungsansatz geht es grundsätzlich darum, positive Verhaltensmuster zu akti-
einer sehr engmaschigen Überwachung.» Eine zusätzliche Verhaltenstherapie erachten sie als ebenfalls notwendig, um das Bestmögliche für die Betroffenen zu erreichen. Bereits vor Publikation der Studie hatte der Studienleiter Professor John March
vieren und negative zu restruk- von der Duke University die TADS-Resul-
cal Excellence (NICE) fehlgeleitet. Die Her- turieren, wobei auch die Angehörigen tate positiv interpretiert: «Die Therapieer-
stellerfirma von Paroxetin (Deroxat®), Gla- einbezogen werden. In den Studiengrup- gebnisse zeigen, dass depressive Kinder
xoSmithKline, hatte die Vorwürfe gegen pen, in denen ausschliesslich Plazebo oder und Jugendliche eine wirksame Behand-
sie mit dem Hinweis zurückgewiesen, sie Fluoxetin eingesetzt wurde, war das Vor- lung erfahren können.» Der Nutzen über-
habe die Regulierungsbehörden auf die gehen doppelblind. In den Kombinations- treffe die Risiken bei weitem.
unpublizierten Daten aufmerksam ge- therapien wussten die Patienten um die Allerdings ist auch March klar, dass die
macht. Inzwischen hat die Firma ange- Medikation. Die klinische Prüfung und Be- Kontroverse damit keinesfalls beendet ist.
kündigt, alle Studien für jedermann zu- wertung vollzogen Prüfarzte, die nicht um «Wir halten jetzt den Atem an, um abzu-
gänglich zu machen.
die jeweilige Therapie wussten.
warten, was die FDA sagt», erklärte er
noch vor Publikation der Studie gegen-
TADS-Studie: Kein Hinweis auf erhöhtes Suizidrisiko
Fluoxetin plus Verhaltenstherapie schneidet am besten ab
über der «New York Times». Dass die Antidepressiva Kindern und Jugendlichen keinesfalls leichtfertig und
Unterdessen hat eine firmenunabhän- Nach zwölf Wochen Therapie zeigte sich sorglos verabreicht werden können, be-
gige, von den Institutes of Health mit öf- anhand der Children’s Depression Rating- stätigt auch diese Studie. Es zeigte sich
fentlichen Mitteln durchgeführte Untersu- Scale-Revised (CDRS-R), dass die Kom- nämlich, dass unter Fluoxetin die Neigung
chung keine weiteren Anhaltspunkte für bination aus Fluoxetin und Verhaltens- zu selbst- und fremdgefährdenden Akti-
die Risikoträchtigkeit der Antidepressiva- therapie allen anderen Therapieplänen vitäten deutlich ausgeprägter war als bei
therapie gebracht, zumindest in Bezug auf Fluoxetin. In die Treatment of Adolescents with Depression Study, kurz TADS
überlegen war. Die Responderrate betrug für diese Therapie 71 Prozent. Die Fluoxe-
“ Unter der Medikation kann eine
genannt, wurden 429 Patienten im Alter tin-Monotherapie schnitt mit Irritation oder Aktivierung auftreten,
zwischen 12 und 17 Jahren eingeschlossen. einer Responderrate von knapp
Bei ihnen war erstmals die Diagnose einer Major Depression gestellt worden. Alle Studienteilnehmer waren mittelschwer bis schwer erkrankt. Die depressive Episode
61 Prozent deutlich besser ab als die alleinige Verhaltenstherapie, auf die mit 43 Prozent nicht einmal die Hälfte der
die ein sehr sorgfältiges Monitoring
”notwendig macht.
vor Aufnahme in die Studie dauerte be- jungen Patienten ansprach.
Richard M. Glass, JAMA-Kommentator
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Patienten, die ohne das Medikament blieben. Die Kombination mit der Verhaltenstherapie schien dieses Risiko etwas abzumildern. Nach Meinung des JAMAKommentators Richard M. Glass liegt es nahe, dass unter der Medikation offenbar «eine Irritation oder Aktivierung auftreten kann, die ein sehr sorgfältiges Monitoring notwendig macht». Eine definitive Antwort auf die Frage nach der Suizidgefahr bei besonders Gefährdeten liefere diese Studie nicht. Seiner Meinung nach zeigt die TADS aber, dass «sorgfältig ausgewählte Patienten auch medikamentös wirksam behandelt werden können, selbst wenn die Patienten noch an anderen psychischen Krankheiten leiden». Die Studienteilnehmer wiesen nämlich zur Hälfte Dysthymie, Angststörungen, Verhaltensstörungen oder eine Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung auf. Patienten mit solchen Begleiterkrankungen werden in firmengesponserten Studien oftmals ausgeschlossen. Nicht an der Studie teil-
nehmen durften aber Patienten mit bipo-
larer Störung oder einer Psychose.
Ob Fluoxetin eine singuläre Stellung ein-
nimmt, ist für Glass nicht gesichert, aller-
dings sei diese Substanz nach Datenlage
derzeit alleinige erste Wahl. Die Frage, ob
die Verhaltenstherapie für sich wirksam
ist, erklärte Glass für offen. Allgemein
wurde das schlechte Abschneiden in
Fachkreisen anscheinend etwas über-
rascht aufgenommen, hatten frühere Stu-
dien doch günstigere Ergebnisse geliefert.
Eine Erklärung für die unbefriedigenden
Resultate in TADS könnte laut Glass in der
Patientenauswahl liegen. Die Erkrankung
war in vielen Fällen chronisch und auch
schwer wiegend. Professor David Brent,
Psychiater an der Universität Pittsburgh,
stellte die Verhaltenstherapie gleich ganz
in Frage; für ihn ist die interpersonelle
Therapie für diese Patienten besser geeig-
net und wahrscheinlich auch erfolgver-
sprechender.
q
Treatment for Adolescents with Depression Study (TADS) Team Fluoxetin, cognitive-behavioral therapy and their combination for adolescents with depression. JAMA 2004; 292: 807–820.
Richard M. Glass: Treatment of adolescents wih major depression. JAMA 2004; 292: 861–863.
Craig J. Whittington et al.: Selective serotonin reuptake inhibitors in childhood depression: systematic review of published versus unpublished data. Lancet 2004; 363: 1341–1345.
Uwe Beise
Interessenlage: Die TADS-Studie wurde von den National Institutes of Health mit öffentlichen Mitteln durchgeführt.
Korrigendum
Zum Beitrag «Rezidivierende Harnwegsinfektionen bei Frauen» im ARS MEDICI Dossier IX, S. 6–7
In der Tabelle dieses Referats standen ei-
nige unklare Dosierungsangaben, worauf
uns dankenswerterweise der aufmerk-
same Leser Dr. Rudolf Ott, Biel, hingewie-
sen hat. Zur bereinigten nebenstehenden
Tabelle ist ferner anzumerken, dass zur
Behandlung der akuten, unkomplizierten
Harnwegsinfektion der Frau (Zystitis) auch
Einmaldosen, zum Beispiel von Cipro-
floxacin oder Co-trimoxazol, durchaus
gebräuchlich sind.
q
Redaktion ARS MEDICI
Tabelle: A n t i b i o t i k a z u r P r ä v e n t i o n u n d T h e r a p i e v o n H a r n w e g s i n f e k t i o n e n (nach Josip Car, Aziz Sheikh: 10-minute
consultation; Recurrent urinary tract infection in women, BMJ Volume 327; 2003: 1204)
Antibiotika
Ciprofloxacin (z.B. Ciproxin®) Co-amoxiclav (z.B. Augmentin®) Co-trimoxazol (z.B. Bactrim®) Nitrofurantoin (z.B. Furadantin® retard) Norfloxacin (z.B. Norflocin®) Trimethoprim (Monotrim®)
Dosierung
für die Behandlung
2x125 mg/die für 3 Tage 3x375 mg/die für 3 Tage 2x160/800 mg/die für 3 Tage 2 x 100 mg/die für 7 Tage 2 x 400 mg/die für 3 Tage 2 x 200 mg/die für 3 Tage
Dosierung für die Prävention 125 mg/die Keine Angaben vorhanden 40/200 mg/die (oder 3 x/Woche) 50–100 mg/die 200 mg/die 100 mg/die (oder 3 x/Woche)
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