Transkript
von Gastkolumnistin Annette Thommen
ENICUM
Mutter schafft
Dass Mutterschaft bedeutet, dass Mutter schafft – selbst wenn sie nicht noch zusätzlich berufstätig ist –, weiss jedes Kind. Aber obs Mutter schafft, jetzt die Mutterschaftsversicherung zu erhalten, war vor Redaktionsschluss noch fraglich. Die Old Boys der SVP trompeteten für ihr Referendum wieder Opas Sprüche herum. Besonders abstrus war ihr «frauenbewegtes» Argument: «Die Arbeitgeber werden immer weniger ein Interesse daran haben, junge Frauen einzustellen». Dem kann frau ruhig ins Auge sehen: ausser Blochers Tochter gibt es wenig Frauen, die prestigeträchtige Jobs in SVP-Firmen innehaben. Zudem ist die Arbeitswelt auf qualifizierte Frauen angewiesen – auch wenn diese sich das kostspielige und zeitintensive Privileg leisten, Kinder zu haben. Da auch die Dienstleistenden in Armee, Zivilschutz und Zivildienst höher entschädigt werden sollen, sind die Chancen für die schaffenden Mütter besser. Die Vorlage könnte angenommen werden, weil sie verwässert ist – in der Politikersprache heisst das «ausgewogen» oder «nicht überladen». Worum es wirklich geht, zeigen die Plakate. Sicher nicht um Mutti. Allenfalls um biologische Gefässe, welche das Produkt Baby liefern. Um den Fortbestand des Schweizervolks. Um eine funktionierende Wirtschaft. Sichere Renten. Gebärmüden Schweizer Frauen muss mittels besserem Lohnersatz das Kinderkriegen schmackhafter gemacht werden – sonst könnten die Überalterungs- und Verarmungsszenarios unserer Gesellschaft eintreffen.
Die Plakatmacher setzen auf das «Kindchenschema»: Statt erwerbstätigen versicherten Mutterschafterinnen bilden sie Babys ab. Selten strahlten in der Schweiz so viele kleine Wonneproppen von Plakatwänden. Schon bei der letzten Abstimmung bangten die kleinen Generationsverträger blauäugig um die Zukunft der IV/AHV. Nun macht ein merkwürdig frisiertes SP-Plakatkind den Lätsch – kein Wunder, ihm wurde mit einem sloganbedruckten Nuggi das Mäulchen gestopft. Herziger dagegen das ernste Buscheli vom SVP-Plakat mit dem Slogan «Staatskind». Handelt es sich hierbei um ein Prachtkind, mit dem Staat zu machen ist? Oder gehört dieses Kind dem Staat (tun wir das nicht irgendwie alle?), weil seine Mama mit weniger als insgesamt 17 Mille gesponsort wurde? Wohlgemerkt aus dem Topf, den die Mama mit ihren Beiträgen selbst füllt! Aber vielleicht will Papa Staat den niederkunftsgebeutelten Gebärwilligen ermöglichen, sich in den 14 Wochen post partum körperlich und seelisch zu erholen und den Kleinen einen guten Start zu geben?! Allerorts wächst die Erkenntnis, dass die strahlenden Jungmuttis auf der BabyfoodReklame kinderlose Models sein müssen und unmöglich echte Mütter sein können. Die sind nämlich nicht fotogen – sie haben Augenringe wegen des Kindergeschrei-bedingten Schlafmankos. Da sich immer mehr Väter und Grossväter um Kinder und Enkel kümmern, ahnt allmählich auch die Männerwelt, was «Betreuungsarbeit» bedeutet. Selbst das Magazin
«Eltern», das auf Hochglanzpapier meist Mutterglück und Elternwonne preist, schildert plötzlich Schwangerschaftsstreifen, Beckenbodenschäden, Hängebrüste, Wochenbettdepressionen und andere Risiken und Nebenwirkungen des Mutterwerdens. Ein Erfolg der Frauenemanzipation: Es wird thematisiert, dass das Elterndasein körperliche, psychische und finanzielle Belastungen mit sich bringt und dass es ein legitimer Wunsch von erwachsenen Frauen ist, weiterhin zu arbeiten – auch wenn sie es finanziell nicht müssten. Als Frau im Oma-Alter wünsche ich den jungen Frauen einen Erfolg an der Urne. Vor 20 Jahren habe ich nicht nur am eigenen Leib erlitten, was Mutterschaft bedeutet. Sondern auch, wie kontraproduktiv die Berufsumwelt sein kann: Chefärzte, denen neu ist, dass auch bei Ärztinnen das Eintreten einer Schwangerschaft physiologisch ist. Kollegen, die erzwingen, dass Schwangere bis zum Beginn der Presswehen Kardiomobil- und Wochendenddienste leisten. Oberärzte, die sieben Wochen nach der Niederkunft die vorzeitige Rückkehr aus den zuvor genehmigten, unbezahlten Ferien fordern – weil männliche Assistenzärzte eine Sabbatical-Woche machen wollen und die anderen im WK sind ... Die Änderung des Erwerbsersatzgesetzes ist Muttis Minimalforderung. Würde sie abgelehnt, zeigte sich die Schweiz einmal wieder als frauen-, fortpflanzungs- und kinderfeindlich.
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