Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Chronisch obstruktive Lungenkrankheit
Praktisches Vorgehen, aufgezeigt anhand von Fallbeispielen
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION
Die chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD) verläuft typischerweise schleichend über viele Jahre hinweg und wird deshalb oft erst in fortgeschrittenem Stadium erkannt. Ein kanadisches Autorenteam skizziert im «JAMA» das diagnostische und therapeutische Vorgehen anhand von drei Fallbeispielen.
dass ein FEV1-FVC-Verhältnis von unter 70 Prozent oder aber ein Wert von unter 88 Prozent (Männer) beziehungsweise 89 Prozent (Frauen) vom Sollwert eine COPD anzeigt. Ist die Diagnose auf diesem Weg gestellt, kann die Erkrankungsschwere teilweise anhand der FEV1-Werte nach Bronchodilatation ermittelt werden (Tabelle). Ein FEV1 von 70 bis 80 Prozent oder grösser bedeutet ein leichte COPD, ein Wert zwischen 50 bis 80 Prozent zeigt eine mittelschwere (moderate) COPD an. Eine schwere Erkrankung ist gekennzeichnet durch ein FEV1 zwischen 30 bis 50 Prozent, Werte darunter liegen bei Menschen mit sehr schwerer Erkrankung vor. Unabhängig vom Tiffeneau-Test weist eine Rechtsherzinsuffizienz auf eine schwere COPD hin. Thorax-Röntgenaufnahmen können zuweilen dem Ausschluss anderer Lungenerkrankungen oder der Entdeckung von Komplikationen dienen (z.B. Lungentumor, kongestive Herzinsuffizienz, Pneumonie, Pneumothorax). In bestimmten Fällen mag auch ein CT angezeigt sein, mit dem beispielsweise ein Emphysem sehr gut zur Darstellung gebracht werden kann.
Merk-
punkte
q Fast alle COPD-Patienten sind (langjährige) Raucher. Die Frage nach dem Rauchverhalten ist für die (Früh-) Diagnostik entscheidend.
q Rauchentwöhnung ist die entscheidende und wirksamste Therapie.
q Bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung ist die symptomatische Therapie mit kurz- oder lang wirksamen Sympathikomimetika und /oder Anticholinergika angezeigt.
q Patienten mit schwerer Erkrankung sollten an einem umfassendes Rehabilitationsprogramm teilnehmen.
q Bei schwerer Ruhe-Hypoxämie kann eine Langzeit-Sauerstofftherapie angezeigt sein.
Worauf beruht die Diagnose?
Die Verdachtsdiagnose einer COPD kann bei allen Rauchern gestellt werden, die unter folgenden Symptomen leiden: Husten, Sputum und Dyspnoe. Die spirometrische Untersuchung kann den Verdacht erhärten und dazu beitragen, den Schweregrad der Erkrankung festzustellen. Anhand des Verhältnisses von Einsekundenkapazität und Vitalkapazität lässt sich die Obstruktion quantifizieren. Obwohl die Grenzwerte kontrovers beurteilt werden, sind die meisten Experten der Überzeugung,
Patient 1: Therapie einer leichten COPD
Ein 65-jähriger Mann stellt sich beim Hausarzt vor mit einem geringfügigem, aber produktiven morgendlichen Husten, der nun schon seit neun Monaten besteht. Blut ist nicht dabei. Der Patient raucht etwa zehn Zigaretten pro Tag und dies schon seit über zwei Jahrzehnten. Obwohl er bemerkt hat, in den letzten drei Jahren öfter als früher erkältet zu sein, und dies dann zuweilen zwei bis drei Wochen lang, so fühlt er sich doch im
Grossen und Ganzen gesund und im Alltagsleben nicht beeinträchtigt. Er hat nie unter Allergien, Asthma oder Sinusitis gelitten. In der Familie gab es kein Asthma und keine COPD. Die körperliche Untersuchung ist unauffällig.
Wie soll dieser Patient behandelt werden? Wegen seiner langjährigen Raucheranamnese liegt – bei den geschilderten Symptomen – die Diagnose einer COPD nahe. Deshalb ist eine Lungenfunktion angezeigt, um die Verdachtsdiagnose zu erhär-
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FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Chronisch obstruktive Lungenkrankheit
Tabelle: COPD-Klassifikation nach spirometrischem Befund
(laut European Respiratory Society, ERS)
Schweregrad
Leichte COPD Moderate COPD Schwere COPD Sehr schwere COPD
FEV1/FVC nach Bronchodilatation < 0,7 < 0,7 < 0,7 < 0,7 FEV1 (% vom Sollwert) > 80 50–80 30–50 < 30 FEV1 = Forced Exspiratory Volume (Sekundenkapazität/Tiffeneau-Test) FVC = Forced Vital Capacity (Vitalkapazität) ten und Therapie und Prognose erörtern zu können. Die Spirometrie erfolgt in der Praxis, und sie ergibt bei diesem Patienten folgende Werte: FEV1 = 3,0 l (87%), FVC = 4,4 l (94%), FEV1-FVC-Verhältnis = 0,68 (75%). Obwohl FEV1 und FVC beide im Normalbereich liegen, kann angesichts der Symptome die Diagnose einer leichten COPD gestellt werden, nachdem der bronchodilatatorische FEV1 bei 80 Prozent liegt. Die- sem Patienten solllte unbedingt ein Raucherentwöhnungsprogramm angeboten werden. Auf eine medikamentöse Therapie mit Bronchodilatatoren, die sonst bei vielen Patienten mit leichter COPD angezeigt ist (Abbildung ), kann hier verzichtet werden. Das US Public Health Service empfiehlt dabei ein spezielles Programm, in dem Beratung, soziale Unterstützung, Verhaltenstraining und Pharmakotherapie vereint sind. Pharmakotherapeutisch ha- ben sich nach Auffassung der Autoren Nikotinersatzpräparate bewährt. Sie erhöhen die langfristigen Erfolgschancen um das 1,5- bis 2-fache – unabhängig davon, welche sonstigen Massnahmen getroffen werden. Antidedepressiva wie Bupropion und Nortriptylin können im Einzelfall auch sinnvoll sein; ob eine Kombination dieser Pharmaka einen Zusatznutzen einbringt, ist unklar, weshalb diese Therapie derzeit nicht empfohlen wird. Selbsthilfetherapie wie computergeneriertes Feedback, Telefon-Hotlines und individualisierte Anleitungen können dienlich sein. Weniger konventionell sind Hypnose und Akupunktur, deren Wirkung aber im Grossen und Ganzen fragwürdig geblieben ist. Wenn es dem hier vorgestellten Patient gelingt, das Rauchen aufzugeben, wird die Abnahme des FEV1 um 50 Prozent geringer ausfallen, als wenn er sein Rauchverhalten beibehielte. Obwohl es bei leichter COPD keine entsprechenden Studien gibt, sollte auch bei diesem Patienten an eine Impfung gegen Pnemokokken und Influenza gedacht werden, meinen die Autoren. Mit der Grippeimpfung kann insgesamt die Mor- Abbildung: Stadien der COPD und therapeutische Strategien Stadium 0 Risiko erhöht Normale Spirometrie Stadium 1 leicht FEV1/FVC < 70% FEV1 ≤ 80% Mit oder ohne Symptome Stadium 2 moderat FEV1/FVC < 70% 50% ≤ FEV1 < 80% Mit oder ohne Symptome Stadium 3 schwer FEV1/FVC < 70% 30% ≤ FEV1 < 50% Mit oder ohne Symptome Stadium 4 sehr schwer FEV1/FVC < 70% FEV1 < 30% oder FEV1 < 50% plus chronische respiratorische Insuffizienz Zusätzlich Langzeit-Sauerstofftherapie; chirurgische Intervention erwägen Zusätzlich Kortikosteroide bei persistierender Dyspnoe oder wiederholten Exazerbationen Zusätzlich lang wirksame Bronchodilatatoren; Rehabilitation Zusätzlich kurz wirksame Bronchodilatatoren gegen intermittierende Dyspnoe Rauchentwöhnung für alle Raucher; Impfung gegen Grippe bei über 65-Jährigen 880 A R S M E D I C I 1 7 q 2 0 0 4 FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE Chronisch obstruktive Lungenkrankheit talität bei alten Menschen um 50 Prozent gesenkt werden. Die Pneumokokkenimpfung soll die Infektionsrate bei COPD-Patienten um etwa 35 Prozent herabsetzen. Wenn der Husten noch Monate nach der Rauchabstinenz fortbesteht, sollten weitergehende Untersuchungen folgen. Patient 2: Wann ist die Sauerstofftherapie angezeigt? Ein 69-jähriger Mann hat seit über zehn Jahren eine schwere COPD. Sein FEV1 beträgt 0,9 Liter (30%). Er nimmt eine Reihe von Medikamenten ein: Ipatropiumbromid, einen kurz wirksamen Beta-2-Agonisten und Kortikosteroid perIinhalation. Vor zwei Jahren hörte er mit dem Rauchen auf, leidet aber weiterhin an Ruhedyspnoe. Er sucht seinen Arzt auf mit der Frage, ob ihm die Heimsauerstofftherapie helfen könne. Die körperliche Untersuchung zeigt Beinödeme und einen erhöhten jugularvenösen Druck, aber die Lungen sind relativ frei. Es besteht eine leichte Rechtsherzinsuffizienz. Die Blutgase zeigen folgende Werte: PaO2 = 60 mmHg, PaCO2 = 30 mmHg, Sauerstoffsättigung = 92 Prozent, pH = 7,48. Hb = 17 g/dl und der Hämatokrit = 55 Prozent. Sollte dieser Patient eine Heimsauerstofftherapie erhalten? Im Allgemeinen ist die Langzeittherapie mit Sauerstoff für Patienten mit einem PO2 von unter 55 mmHg reserviert oder einem PaCO2 von 55 bis 60 mmHg, wenn gleichzeitig Zeichen einer pulmonalen Hypertension, eines Cor pulmonale oder einer sekundären Erythrozytose (Hkt > 55%)
vorhanden sind. Diesen Patienten bietet die Sauerstofftherapie einen Überlebensvorteil. Legt man die Sauerstoffstoffpartialdrucke zugrunde, bedarf dieser Patient streng genommen keiner solchen Therapie. Allerdings, meinen die Autoren, zeige die Blutgasanalyse das Bild einer akuten respiratorischen Alkalose. Der relativ hohe Hämatokrit deute zudem auf eine chronische Hypoxämie. Schliesslich zeigt die bestehende Rechtsherzinsuffizienz, dass wahrscheinlich eine pulmonale arterielle Hypertonie vorliegt. Deshalb sollte auch dieser Patient eine Sauerstofftherapie erhalten, mit dem Ziel, die Sauerstoffsättigung auf 90 Prozent zu bringen. Der Hausarzt sollte den Patienten dennoch zunächst bitten, in einer Woche wiederzukommen, um die Blutwerte zu bestätigen.
Patient 3: Therapie einer schweren COPD
Eine 72-jährige Frau hat eine seit Jahren bekannte schwere COPD. Zurzeit ist ihr FEV1 0,7 l. Sie hat das Rauchen aufgegeben. Obwohl sie zwei Hübe eines Bronchodilatators viermal am Tag einsetzt, erleidet sie Atemnot, wenn sie ihre Wohnung putzt.
Was kann man tun, um dieser Frau zu helfen? Bei dieser Patientin sind die kurz wirksamen Bronchodilatatoren nicht mehr in der Lage, die Symptome voll unter Kontrolle zu bringen. Derzeit geht man davon aus, dass lang wirksame Betaagonisten und lang wirksame Anticholinergika das Risiko
akuter Exazerbationen reduzieren. Aller-
dings ist unklar, ob es nennenswerte Un-
terschiede zwischen den lang wirksamen
Bronchodilatatoren gibt.
Neben diesen Substanzen sind offenbar
Steroide für COPD-Patienten hilfreich,
wenn sie ein FEV1 von unter 2 Liter auf-
weisen. Die Steroid-Therapie reduziert die
Zahl der Exazerbationen. Die Kombination
von inhalativen Steroiden und lang wirk-
samen Betaagonisten hat sich als über-
legen gegenüber einer Monotherapie er-
wiesen, meinen die Autoren. Die Therapie
der Wahl bei dieser Patientin besteht ihrer
Ansicht nach darin, einen oder beide kurz
wirksamen Bronchodilatatoren auszutau-
schen gegen ein lang wirksames Präparat
in Kombination mit einem inhalativen
Steroid. Auch sollte die Frau, sobald sie
sich in stabilem Gesundheitszustand be-
findet, in ein Rehabilitationsprogramm
aufgenommen werden, dessen Elemente
unter anderem körperliche Übungen, Er-
nährungsberatung und allgemeine Anlei-
tungen zum Umgang mit der Krankheit
beinhalten. Mit solchen Reha-Massnahmen
könnte es gelingen, die Anstrengungs-
dyspnoe der Patientin zu verbessern und
ihre Schwäche zu lindern.
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S.F. Paul Mann et al.: Contemporary Management of chronic obstructive pulmonary disease. Clinical Applications. JAMA 2003; 290: 2313–2316.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
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