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PHARMA FORUM
Rimonabant
CB1-Antagonist hilft beim metabolischen Syndrom
CLAUDIA REINKE
Fettleibigkeit und Übergewicht – Zivilisationskrankheiten, die in erschreckendem
Ein solches Therapiekonzept scheint mit dem Cannabis-Antagonisten Rimonabant* jetzt offenbar in greifbare Nähe zu rücken, wie erste Studienergebnisse zeigen, die anlässlich des 13th European Congress on Obesity (ECO) am 26. Mai 2004 in Prag vorgestellt wurden.
bei Frauen zirka 88 cm beträgt. Verantwortlich für die Stimulation der Nahrungsaufnahme sind verschiedene endogene Botenstoffe, zu denen auch die Endocannabinoide wie Anandamid gehören, deren Aktivität sich jetzt durch selektive Antagonisten beeinflussen lässt.
Masse zugenommen haben – gehören ebenso wie Rauchen zu den wichtigsten Todesursachen der westlichen Welt. Mit einem langfristig erfolgreichen und verträglichen Behandlungskonzept liessen sich gefährliche gesundheitliche Folgen wie das metabolische Syndrom, das mit Insulinresistenz, anormalem Lipidprofil, Hypertonie und Diabetes mellitus einhergeht und als Hochrisikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt, deutlich vermindern.
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Metabolisches Syndrom – die Folge von Übergewicht und Adipositas
Es ist ganz einfach: Wer zu viel isst und die aufgenommenen Kalorien nicht durch angemessene Bewegung verbraucht, nimmt zu. Nicht nur in den USA, auch in Europa ist die Zahl der Übergewichtigen in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. In der Schweiz ist heute fast ein Drittel der Bevölkerung zu dick. Die gesundheitlichen Folgen sind erheblich, denn mit zunehmendem Body-Mass-Index (BMI ≥ 30) erhöht sich das Risiko von Herz- und Gefässerkrankungen um das Zwei- bis Dreifache, verglichen mit Normalgewichtigen, wie Prof. Nicholas Finer, Cambridge, UK, in seinen Ausführungen betonte. Vorbote dieser Entwicklung sei das metabolische Syndrom, eine durch Übergewicht ausgelöste Stoffwechselentgleisung, die mit Hypertonie, ungünstigen Lipidparametern sowie zunehmender Insulinresistenz einhergeht und letztlich zu Typ-2-Diabetes führt. Allein in den USA leiden mehr als 45 Millionen Menschen unter dem metabolischen Syndrom als Folge von Fettleibigkeit und Übergewicht. Besonders gefährdet scheinen dicke Patienten zu sein, deren Fettpolster sich auf Bauch und Hüfte konzentrieren, wobei der kritische Taillenumfang bei Männern etwa 102 cm,
*Sanofi-Synthélabo erwartet die Zulassung von Rimonabant (Acomplia®) nicht vor 2006.
Endocannabinoide regulieren Adipositas und Nikotinabhängigkeit und tragen damit zur Kontrolle von kardiovaskulären Risikofaktoren bei
Endocannabinoide sind lipophile körpereigene Arachidonsäure-Derivate, die als Botenstoffe des menschlichen Gehirns zu einem komplexen physiologischen Kontrollsystem gehören, das in die Steuerung unterschiedlichster lebenswichtiger Regelkreise des Organismus eingreift, erklärte der Endocannabinoid-Experte Prof. Vincenzo Di Marzo aus Pozzuoli, Italien. Diese hochpotenten Substanzen werden von Neuronen nur in kleinen Mengen «nach Bedarf» synthetisiert und in unmittelbarer Umgebung ihres Wirkortes abgegeben, um danach sehr rasch wieder enzymatisch inaktiviert zu werden. Endogene Cannabinoide entfalten ihre Wirkungen an Cannabinoid-Rezeptoren, wie CB1 und CB2, wobei der Subtyp CB1 im Organismus besonders weit verbreitet zu sein scheint. Er findet sich in hohen Konzentrationen vor allem im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark), aber auch in peripheren Geweben, wie beispielsweise in den Zellen des Fettgewebes (Adipozyten), die selbst auch an der Hunger- und Sättigungsregulation beteiligt und so mit dem Lipid- und Glukosestoffwechsel eng assoziiert sind. Werden die CB1-Rezeptoren im Fettgewebe aktiviert, verringern die Adipozyten die Sekre-
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CB1-Antagonist hilft beim metabolischen Syndrom
Prof. Nicholas Finer, Cambridge, UK
Prof. Vincenzo Di Marzo, Pozzuoli, Italien Prof. Henri- Jean Aubin, Paris, Frankreich
tion des regulierenden Leptins und stimulieren damit die erneute Nahrungsaufnahme. Forschungen der letzten Jahre haben bestätigt, dass physiologische Endocannabinoide über die Stimulation der CB1Rezeptoren sowohl zentral als auch peripher in die Steuerung von Essverhalten, Körpergewicht und Lipidmetabolismus und damit unmittelbar in den Energiehaushalt eingreifen, aber auch die Reaktion des Organismus auf die Tabakabhängigkeit beeinflussen.
Effiziente CB1-Blockade durch Rimonabant
In der neuen Wirkstoffklasse der «selektiven CB1-Antagonisten» ist Rimonabant der bisher erste und einzige Vertreter seiner Art. Mit seiner Entwicklung steht eine neue Behandlungsstrategie gegen bedeutende kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Übergewicht und Rauchen zur Verfügung. Wie präklinische Untersuchungen und Phase-II-Studien gezeigt haben, vermag die Substanz die Wirkung endogener Cannabinoide zu hemmen und unterdrückt dadurch Appetit und Esslust, was nicht nur zur Gewichtsabnahme, sondern gleichzeitig auch zu einem günstigeren Lipidprofil führt. Darüber hinaus bewirkt die Blockade der CB1-Rezeptoren durch Rimonabant offenbar auch, dass sich die Nikotinabhängigkeit aufhörwilliger Ziga-
rettenraucher so weit reduziert, dass den Betroffenen der Ausstieg von der Tabakabhängigkeit erleichtert wird. In einem breit angelegten internationalen klinischen Studienprogramm wurden Einfluss und Wirkungen von Rimonabant bei Adipositas und Nikotinabhängigkeit näher untersucht.
Das RIO(Rimonabant In Obesity)Programm
Unter dem Akronym RIO wurden inzwischen vier grosse multizentrische, randomisierte, plazebokontrollierte und doppelblinde Phase-III-Studien initiiert mit einer Laufzeit von über zwei Jahren und bis zu 6000 adipösen Patienten. Zwei dieser Studien (RIO-EUROPE und RIO-NORDAMERIKA) untersuchen die Wirksamkeit von Rimonabant (20 mg/Tag) auf die langfristige und nachhaltige Regulierung des Körpergewichts und ihre stoffwechselrelevanten Auswirkungen bei übergewichtigen Patienten, während die dritte Studie (RIO-DIABETES) den Einfluss von Rimonabant bei übergewichtigen, primär mit Antidiabetika behandelten Diabetikern überprüft. Von der vierten inzwischen abgeschlossenen randomisierten, plazebokontrollierten, doppelblinden RIO-LIPIDSStudie liegen bereits erste Ergebnisse vor, die Prof. Jean-Pierre Després, Quebec, Kanada vorstellte.
RIO-LIPIDS: Günstige metabolische Effekte mit Rimonabant
An RIO-LIPIDS nahmen 1036 Patienten teil mit einem Body-Mass-Index (BMI) zwischen 27 und 40 kg/m2 und einer diagnostizierten Dyslipidämie. Sie erhielten – neben Diätempfehlungen – randomisiert entweder Rimonabant (5 resp. 20 mg/Tag) oder Plazebo. 73 Prozent (Plazebo: 27,6%) der Patienten, die mit Rimonabant 20mg/ Tag behandelt wurden, hatten nach einem Behandlungsjahr 5 Prozent an Gewicht verloren, bei 44,3 Prozent (10,3%) betrug der Gewichtsverlust sogar mehr als 10 Prozent, wobei sich vor allem das Bauchfett vermindert zu haben schien, wie Després berichtete: Der Taillenumfang nahm insgesamt um 8 cm ab. Die Gewichtsabnahme in der mit 20 mg/Tag Rimonabant behandelten Verumgruppe erwies sich gegenüber Plazebo als signifikant (p < 0,001). Gleichzeitig kam es in dieser Patientengruppe zu einer signifikanten Besserung der Lipidparameter: Die Triglyzeridfraktion reduzierte sich um 15 Prozent, während das günstige HDL-Cholesterin um 23 Prozent anstieg (p < 0,001). Die LDL-Werte blieben im Wesentlichen gleich, allerdings schien sich die Fraktion der besonders gefässschädigenden Small-densitiy-LDL-Partikel unter der Behandlung zugunsten grösserer LDL-Partikel verringert zu haben. Diese ersten Studienergebnisse deuten
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CB1-Antagonist hilft beim metabolischen Syndrom
Interview
CB1-Rezeptorblockade: Günstiger Einfluss auf das metabolische Syndrom
Mit der Blockade des Cannabinoid-Rezep-
sich allein durch die Gewichtsabnahme be-
tors CB1 zeichnet sich offenbar ein neuer
reits das Lipidprofil verändert: Triglyzeride
Weg zur Prävention kardiovaskulärer Er-
sinken, das LDL nimmt ab, während das
krankungen ab. Wir befragten den Chef-
HDL etwas ansteigt. Der Anstieg des HDL
arzt des Herzzentrums Sonnenhof, Bern,
scheint unter diesem Medikament jedoch
PD Dr. Rubino Mordasini, wie dieser Be-
höher auszufallen als durch die reine Ge-
handlungsansatz aus Sicht des Kardiolo-
wichtsreduktion im Allgemeinen üblich,
gen zu werten ist.
und das ist ein interessanter Befund. Wir
haben allerdings bis heute keine eindeuti-
Herr Dr. Mordasini, könnte die Blockade
gen Belege, dass die therapeutische Steige-
des Endocannabinoid-Systems am CB1-Re-
rung der HDL-Fraktion einen Einfluss auf
zeptor durch den Cannabis-Antagonisten
die Endpunkte hat und die Prognose der
Rimonabant aus Ihrer Sicht einen weiteren
Patienten verändert, obwohl es sehr viel
Durchbruch in der Prävention kardiovas-
Evidenz dafür gibt. Was das LDL betrifft, so
kulärer Erkrankungen darstellen? Wie be-
scheint es durch die Gabe von Rimonabant
urteilen Sie als Kardiologe den Stellenwert
in der Tat so zu sein, dass die Fraktion der
dieser Substanz? PD Dr. med. R. Mordasini: Dieser therapeu-
PD Dr. med. R. Mordasini
hochgradig atherogenen, kleinen dichten (small dense) LDL-Partikel grösseren Parti-
tische Ansatz ist sicher interessant.
keln weicht, die einen rascheren Katabolis-
Rimonabant vermag offenbar wichtige gefässschädigende Risi- mus haben. Das Verschwinden der kleinen Partikel kann daher
kofaktoren, nämlich Übergewicht und Dyslipoproteinämie und als Verbesserung der metabolischen Situation gewertet werden,
damit indirekt auch Bluthochdruck, Insulinresistenz und letztlich und das wäre wichtig. Wenn sich das bestätigt, ist das ein Zu-
Diabetes mellitus, also die typischen Merkmale des metaboli- satznutzen, der gelegen kommt. Die Substanz ist also sicher viel
schen Syndroms, günstig zu beeinflussen. Das metabolische Syn- versprechend. Es gibt allerdings noch eine Reihe offener Fragen:
drom ist eindeutig prädisponierend für die Arteriosklerose und Inwieweit sind gewisse Effekte nicht einfach durch die Ge-
ihre Folgeerkrankungen, wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Soll- wichtsreduktion bedingt? Halten diese Effekte langfristig an,
ten sich diese Studienergebnisse in weiteren Untersuchungen oder schwächt sich dieser Benefit durch die Gewichtskonstanz
bestätigen, könnte diese Substanz in der Sekundärprävention wieder ab? Die bisher vorhandenen Daten geben noch keine
kardiovaskulärer Erkrankungen durchaus eine wichtige Rolle Antworten auf diese Fragen, dazu sind Langzeitstudien erfor-
spielen.
derlich!
Wo liegen die Risiken? Mordasini: Über die langfristigen Nebenwirkungen ist bisher nichts bekannt, es gibt auch noch keine Endpunktstudien. Die Substanz hat sicher ein aussichtsreiches Profil, aber ihr effektiver Nutzen wird sich erst im Lauf breiterer Abklärung und weiterer Studien beurteilen lassen. Da ist noch einiges zu tun.
Unter Rimonabant wird eine gewisse Normalisierung der Dyslipoproteinämie mit einer Senkung der erhöhten Triglyzeridwerte und ein relativ deutlicher Anstieg des HDL beobachtet. Gleichzeitig scheint auch die LDL-Fraktion beeinflusst zu werden. Das erinnert ja etwas an die Statine? Mordasini: Das ist richtig. Man darf jedoch nicht vergessen, dass
Könnte diese Substanz den Patienten unter Umständen die Verantwortung abnehmen, ihr Gewicht durch eine ausgewogene und gesunde Ernährung zu normalisieren beziehungsweise zu halten? Mordasini: Hier antworte ich Ihnen als Generalsekretär der Schweizerischen Herzstiftung und Präsident ihrer Ernährungskommission: wir setzen mehr denn je stark auf die präventive Selbstverantwortung des Einzelnen und glauben, dass Ernährung, Bewegung und Nikotinabstinenz nach wie vor die entscheidenden Pfeiler für die Prophylaxe, aber auch als begleitende Massnahme in der Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen sind.
Das Interview führte Dr. Claudia Reinke
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CB1-Antagonist hilft beim metabolischen Syndrom
darauf hin, dass Rimonabant in der Lage ist, die typischen Charakteristika des metabolischen Syndroms wie abdominelle Fettleibigkeit, erhöhte Triglyzeride und niedriges HDL-Cholesterin erfolgreich zu normalisieren. Wie die bisherigen Studienerfahrungen zeigen, scheint Rimonabant offenbar auch gut verträglich zu sein: Selbst in der 20-mg-Dosierung erwiesen sich die meisten Nebenwirkungen, zu denen vor allem Nausea und Schwindelgefühle gehörten, als mild und vorübergehend.
Das STRATUS-Programm: Rimonabant bei Tabakabhängigkeit
Rauchen ist die Nummer 1 unter den Risikofaktoren für erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Dennoch ist der Nikotinverzicht für langjährige Raucher ein mühsames und oft zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Nachdem sich bereits in den präklinischen Studien zeigte, dass die CB1-Blockade durch den Cannabis-Antagonisten Rimonabant die Nikotinabhängigkeit beeinflusst, wird die Wirkung von Rimonabant zur Unterstüt-
zung der Tabakabstinenz derzeit in einem umfangreichen Studienprogramm untersucht. Die Daten der ersten Studie des in den USA durchgeführten STRATUS(«STudies with Rimonabant And Tobacco USe»)-Studienprogramms konnten durch Prof. HenriJean Aubin, Paris, Frankreich, bereits vorgestellt werden, zwei weitere Studien dieses Programms sind noch nicht abgeschlossen. An der Studie waren 784 chronische Raucher (≥ 10 Zigaretten/Tag) beteiligt, die zum Nikotinverzicht entschlossen waren. Zur Unterstützung erhielten sie entweder Plazebo oder Rimonabant 5 mg bzw. 20 mg/Tag. Als primärer Endpunkt der Studie wurde der dauerhafte Verzicht auf Zigaretten in den letzten vier Wochen nach der zehnwöchigen Behandlungsperiode festgelegt; als zweites Kriterium galt die Änderung des Körpergewichts. Kontrolliert wurde die erfolgreiche Abstinenz durch Messungen der KohlenmonoxidKonzentration in der Atemluft sowie der Cotinin-Plasmawerte. Verglichen mit Plazebo (16,1%) erhöhte sich die Rate abstinenter Raucher unter Rimonabant (20mg/ Tag) mit 27,6 Prozent nahezu um das Doppelte (p = 0,004). Zwar kann eine vierwöchige Tabakabstinenz noch nicht als
Durchbruch beim Rauchverzicht angesehen werden, erfahrungsgemäss ist die Zeitspanne viel zu kurz. Allerdings wird die Tatsache, dass die Abstinenz – entgegen dem üblichen Trend – nicht mit der gefürchteten Gewichtszunahme, sondern (in Abhängigkeit des jeweiligen BMI-Wertes) mit einem mehr oder weniger deutlichen Gewichtsverlust einherging (z.B. BMI ≥ 25 kg/m2 und 30 kg/m2, p ≤ 0,0001), den endgültigen Ausstieg aus der Nikotinabhängigkeit sicherlich unterstützen.
Quelle:
Satellitensymposium Sanofi-Synthélabo
«The Endocannabinoid System: A Gate-
keeper of Energy Balance» sowie Presse-
konferenz: «Exploring the role of Rimona-
bant in the management of obesity and
the metabolic syndrome and in smoking
cessation» anlässlich des European Con-
gress on Obesity (ECO) in Prag am 26. Mai
2004.
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MedSciences Dr. Claudia Reinke Schützenmattstrasse 1
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