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Titel
Tierische Viecherei
Untertitel
-
Lead
Mediziner, so die befreundete Molekularbiologin Marietta, seien nur so eine Art von Schmalspurzoologen. Spezialisten für Krankhaftes beim Säugetier Mensch. Ihr Mann, ein Humanbiologe, wisse mehr über die Menschheit. Auch Klaus, der Tierarzt von vis-à-vis, zieht mich immer mit meiner ärztlichen Begrenztheit auf. Er gibt damit an, dass er vom Hühnerauge beim Huhn bis zur erektilen Dysfunktion des Bullen alles behandeln könne. Falls nicht, darf er die Patienten legal schlachten und verspeisen. Meine vegetarisch lebende Tochter fordert, dass ich die Geschöpfe Gottes lieben müsse.
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Rubriken — ARSENICUM
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11870
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Tierische Viecherei

Mediziner, so die befreundete Molekularbiologin Marietta, seien nur so eine Art von Schmalspurzoologen. Spezialisten für Krankhaftes beim Säugetier Mensch. Ihr Mann, ein Humanbiologe, wisse mehr über die Menschheit. Auch Klaus, der Tierarzt von vis-à-vis, zieht mich immer mit meiner ärztlichen Begrenztheit auf. Er gibt damit an, dass er vom Hühnerauge beim Huhn bis zur erektilen Dysfunktion des Bullen alles behandeln könne. Falls nicht, darf er die Patienten legal schlachten und verspeisen. Meine vegetarisch lebende Tochter fordert, dass ich die Geschöpfe Gottes lieben müsse. Das sei ich als Naturwissenschaftler der Natur und als Hippokratesjünger der Ethik schuldig. Dabei verlässt mich die Philanthropie bereits bei einigen meiner Mitmenschen ... Ganz gewiss hört die Liebe bei den Lebewesen auf, die dem menschlichen Überleben im Wege stehen. Schon meine Studentenzeit vergällten sie mir. Zum Beispiel die Embryologie, wegen den furchtbaren Furchen bei Lurchen. Ektoderm, Mesoderm und Entoderm mussten wir mit drei Stabilo-Boss-Markern in unterschiedlichen Farben, aber immer gleich, markieren. Dies sollte uns erklären, warum die Dermis aus Mesoderm, die Epidermis aber aus Ektoderm besteht. Eine Drei bescherten mir die drei Keimblätter des Frosches im ersten Propädeutikum, zusammen mit der

Drosophila und dem Pantoffeltier. Die verwirrenden Stammbäume von stummeloder normalflügeligen Taufliegen mit kurzen oder langen Fühlern, roten oder zinnoberfarbenen Augen interessierten mich genauso wenig wie die Fortpflanzungstechniken des Paramecium caudatum. In der Mikrobiologie im dritten Studienjahr änderten heimtückische Taxonomen ständig die Namen der Bakterien, sodass man nie wusste, ob «Branhamella» jetzt noch «in» oder schon wieder «out» war und welche neuen E. coli entdeckt worden waren. In den klinischen Prüfungen hatte ich keinen Stich bei der Anopheles-Mücke und dem Lebenszyklus der Malaria-Plasmodien. Es wurmte mich, dass ich nie die diversen Nematoden, Trematoden, Plathelminten und ihre bandwurmartig langen lateinischen Namen auseinander halten konnte. Im Staatsexamen ereilten mich die Viecher schon wieder. Ausgerechnet der Tropenmediziner prüfte mich, hielt mir ein Blatt mit Rundstrukturen vor, deutete auf eines der vielen Ovale und fragte: «Was ist das?» Er hatte einen gütigen Gesichtsausdruck, darum vermutete ich, dass er nichts Seltenes prüfen wollte und sagte aufs Gradwohl: «Um ein Ei einer Schistosoma mansoni, wie sie im Kot von Bilharziose-Kranken gefunden werden.» Richtig geraten! Der Gutmensch fragte glücklicherweise nicht noch nach Mirazi-

dien und Zerkarien. Doch der Dermatologe prüfte später jedes Mysterium der Mykologie ... Und jetzt als Allgemeinpraktiker? Täglich lindere ich die Schäden, die meinen Patienten von Viechern zugefügt werden. Meine von potenziellen Erregern besiedelten Hände desinfiziere ich und nähe dann von Hunden zerbissene Wadenhaut. Ich entferne Zecken und als einzig freundlichen Wunsch hoffe ich, dass diese Tierchen weder von Borrelien noch von Viren befallen waren. Stundenlang überwachen wir in der Praxis von Bienen und Wespen gestochene Allergiker, die so unser Kaffeeräumchen blockieren. Doch dann fächelt meine MPA so einen Hautflügler liebevoll aus dem Fenster, der sich im Vorhang verfangen hat! Draussen kotet eine Katze in unseren Vorgarten – Toxoplasma gondii geht mir durch den Kopf –, und die Ameisen melken liebevoll die Blattläuse, die meine Rosen ruinieren. Ich stehe auf der Nahrungskette oben! Grimmig verspeise ich zum Zmittag ein Steak und klatsche die Fliege tot, die es mir streitig machen will. Muss es denn sein, dass all diese Geschöpfe sich den Lebensraum mit uns teilen? Zu guter Letzt kläfft mich auch noch der Dobermann meines Verlegers dreist an, wenn ich diesem meine Glosse in den Briefkasten werfe! Einfach tierisch.

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