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Rosenbergstrasse 115
Bushs Terrorwarner sind von der sparsamen Sorte. Sie werfen nichts fort. Man weiss ja nie, wann man alte Mails und Abhörprotokolle wieder gebrauchen kann. Gerade gabs eine gute Gelegenheit: Oder haben sich die halb vergammelten Anschlagspläne der Terrororganisation Al-Kaida aus den späten Neunzigerjahren etwa nicht bestens geeignet, die Erhöhung der Terrorwarnstufe auf orange von Ende Juli 2004 zu begründen?
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Superlative über Superlative: Die Frage ist, ob man eine der überflüssigsten und teuersten, von einer der exklusivsten und von der Praxis am weitesten entfernten Expertengruppe angeregten und von den wenigsten der Betroffenen geliebten Reformen der letzten Jahre, die dekretierte deutsche Rechtschreibereform, wieder rückgängig machen soll. Die linke Hirnhälfte sagt: Nein, nur nicht, sonst wird das Chaos maximal. Die rechte hingegen: ja, ja, ja, super. Das Positivste daran: Es wird auf absehbare Zeit keine allgemein gültigen Regeln mehr geben. Das fördert die Flexibilität in unserer Gesellschaft aufs Stärkste. Und das hat sie schliesslich am dringendsten nötig. Aber: Das war vermutlich das Letzte, was die beamteten Orthografen wollten.
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In Niedersachsen haben 44 von 265 Kieferorthopäden aus Protest gegen ihre Bezahlung ihre Kassenzulassung zurückgegeben. Die seit 1. Januar geltenden neuen Vergütungssätze decken ihrer Ansicht nach die Kosten nicht mehr. Die Ärzte bestehen daher darauf, ihre Patienten nach Privattarif zu behandeln. Die Patienten erhalten von den Kassen allerdings nur den niedrigen Tarif zurückerstattet. Das Sozialministerium
hat darauf rasch gehandelt und der Vereinigung der Kassenzahnärzte den Sicherstellungsauftrag entzogen. Die niedersächsischen Krankenkassen ihrerseits kündigten an, mindestens ein Dutzend Kieferorthopäden aus Polen einzustellen und damit die kieferorthopädische Versorgung sicherzustellen. Vielleicht finden die niedersächsischen Kollegen ja dereinst eine Stelle in der Schweiz, wenn die Krankenkassen auch bei uns dazu übergehen, selber zu bestimmen, welche Leistungen von wem und zu welchen Tarifen nötig sind.
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Mitglieder eines Bankrates (konkret: der angesehenen Basler Kantonalbank) verstehen etwas von Finanzen, sollte man meinen. (Zugegeben, man hatte auch gemeint, dass Verwaltungsratspräsidenten einer Fluggesellschaft wie etwa der verblichenen Swissair etwas vom Fluggeschäft verstehen sollten. Auch da hat man sich getäuscht; es hatte genügt, Zürcher Regierungsrat zu sein.) Man meint offenbar falsch. Es genügt, nebst Baslerin mit Promistatus Ständerätin zu sein. Wie anders lässt sich erklären, dass die Vizepräsidentin (Anita Fetz) einer Stiftung (Pro Facile) keine Ahnung hat, was mit den Stiftungsgeldern passiert und woher das Geld kommt, das ihr der Präsident der Stiftung als Wahlkampfspende zukommen lässt?
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Christof Zürcher, GeschäftsleitungsVorsitzender der Krankenkasse atupri, äussert in seinem ersten Editorial in der hauseigenen Zeitschrift «grundlegende Gedanken zu unserem Gesundheitswesen.» Etwa solche: «Wir haben das zweitteuerste Gesundheitswesen der Welt! Andere Länder geben weniger Geld aus, schneiden jedoch bei den Ergebnissen besser ab.» Oops. Entweder
fanden da weltweit Tests (à la PISA?) statt, deren «Ergebnisse» man miteinander verglichen hat, von denen aber die meisten von uns (ausser Herr Zürcher natürlich) nichts wissen. Oder es empfiehlt sich ein kritischer Blick auf die Testergebnisse der richtigen PISAStudie: Es gibt mehr Schweizer als beispielsweise Finnen (schön für die Finnen, aber möchten Sie mit denen tauschen?), die ihnen vorgelegte Sätze nicht verstehen. Und dies dann zum Trost: Selbst Finnen, wenn man sie mit Sätzen von der semantischen Qualität eines «atupri»-Editorials quälte, würden keine gute Figur machen.
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Herr Zürcher kennt auch die Gründe für die unerwünschte Kostenentwicklung, und zwar aus «zahlreichen Studien». Es sind dies unter anderen: die «Selbstdispensation durch Ärztinnen und Ärzte», «ständiges Entwickeln neuer und teurer Medikamente» (neiaberau) oder auch «ungenügend attraktive Anreize zur Selbstverantwortung» – momoll, da weiss doch jeder gleich, was gemeint ist. Oder nicht? Zumindest wissen wir jetzt, welche Qualität die Rezepte der atupri haben, mit denen unser Gesundheitswesen «preiswert und effizient» gemacht werden soll.
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Aus der angeblichen TV-Kultserie «Stadtgeschichten» (Thema: die Siebzigerjahre in San Francisco – aus englischer Sicht): «Im richtigen Licht sieht sogar Seehund-Kacke gut aus.»
Richard Altorfer
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