Transkript
EDITORIAL q ÉDITORIAL
«E igentlich sollte man Statine dem Trinkwasser beifügen»: Was bisher allenfalls ein Kardiologenwitz war, scheint – wenn auch nur in einem ersten Schritt – Gestalt anzunehmen. Seit letztem Monat sind nämlich 10-mg-Tabletten Simvastatin in Grossbritannien rezeptfrei, also «over-the-counter» (OTC) erhältlich. Dies hat die dortige Kommission für Medikamentensicherheit nach einem Konsultationsprozess entschieden. Die Redaktion von «The Lancet» sah sich zu einer entsetzten Stellungnahme herausgefordert: Weder gibt es Studien zu OTC-Statinen in der Primärprävention von Herzerkrankungen, noch ist etwas über die Compliance – schliesslich muss über lange Zeit jeden Tag eine Tablette
tion für den Nationalen Gesundheitsdienst attraktiv gewesen sein – ebenso wie für die Aktionäre der Simvastatin-Herstellerin, deren Patent eben ausgelaufen ist und die nun einen neuen, grossen Markt erspäht, den es mit aggressiver Publikumswerbung zu bearbeiten gilt. Auch die Europäische Kardiologengesellschaft wendet
Privatisierung der Prävention?
geschluckt werden – bekannt. In den USA war eine ähnliche Alternative im Jahr 2000 übrigens wegen nicht ausreichender Datenlage abgeschmettert worden. Zwar gibt eine systematische Übersicht für 10 mg Simvastatin im Vergleich zu Plazebo eine 27-prozentige LDLCholesterinsenkung an. Eine andere Übersicht, die nur die fünf grossen Primärpräventionsstudien mit anderen Statinen kombinierte, kam zum Schluss, dass 71 Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren für drei bis fünf Jahre behandelt werden müssen, um einen Herz- oder Hirnschlag zu verhüten. Auf Rezept verabreichte andere Statine (z.B. 40 mg Pravastatin, 10 mg Atorvastatin) haben überdies in kontrollierten Primärpräventionsstudien keinen Nutzen für die Gesamtmortalität erbracht. Dass dies mit OTC-Statinen erreicht werden könnte, sei eher unwahrscheinlich. «The Lancet» vermutet daher hinter der Freigabe von Simvastatin (in der niedrigsten Dosierung) finanzielle Motive der Regierung. Angesichts der rasant steigenden Ausgaben für Statine könnte eine Teilprivatisierung der Präven-
sich gegen diese Art der Propagierung der an sich so wertvollen Statine. Eine Wundertablette pro Tag könne weder die sorgfältige Abschätzung und kontinuierliche Überwachung sämtlicher Risikofaktoren noch die notwendigen Lebensstiländerungen ersetzen. Nebenwirkungen waren mit Statinen in kontrollierten Studien sehr selten, Interaktionen mit anderen Medikamenten sind aber in jedem Einzelfall zu berücksichtigen. Wie wird es damit bei diesem OTC-Massenexperiment aussehen? Nachdem der erste Schritt getan ist – wann werden höhere Dosierungen und andere Statine folgen? –, müssen zumindest die Daten zu Nutzen und Risiken beim breiten Publikum gesammelt und ausgewertet werden, damit am Schluss alle profitieren. Denn nach dem Debakel mit der Hormonersatztherapie (auch sie einst fast eine Panazee) darf sich sich diese Rechtfertigung nicht wiederholen: «Immerhin haben wir an unsere Überzeugungen selbst geglaubt.»
Halid Bas
A R S M E D I C I 1 6 q 2 0 0 4 793