Transkript
ECHO q ÉCHO
«Primum nil nocere!»
Leserzuschrift zum Artikel «Harnwegsinfekt und Infektsteinprophylaxe» von D. Bach, ARS MEDICI 13/2004, S. 694–698
Der etwas unkritische Ruf «Gebt dem Harn Saures!» sowie einige andere Aussagen von D. Bach im Zusammenhang mit Infektsteinen sind sehr deutlich zu relativieren, damit unsern Patienten letztlich nicht mehr statt weniger Probleme erwachsen. Die treibende Kraft für die Bildung von Infektsteinen ist eine Harnwegsinfektion mit harnstoffspaltenden Mikroorganismen. Diese Erreger bilden das Enzym Urease, das Harnstoff zu Ammoniak und Kohlendioxid spaltet. Durch Hydrolyse wird Ammoniak in Ammonium umgewandelt, während durch Hydratation und spätere Dissoziation von Kohlendioxid schliesslich Wasserstoffionen und Bikarbonat entstehen. Das Resultat dieser Kaskade ist ein stark alkalischer Urin mit hohen Konzentrationen von Ammonium. Dadurch wird der Urin an MagnesiumAmmonium-Phosphat (Struvit) und Kalzium-Phosphat-Karbonat (Karbonatapatit) übersättigt, den kristallinen Komponenten von Infektsteinen (1). Die primäre Störung liegt also im Infekt und nicht im alkalischen pH-Wert des Urins. Somit ist konsequenterweise vor allem der Infekt anzugehen. Dies ist, wie unzählige Studien bewiesen haben, nie ohne (möglichst) radikale Entfernung allen Steinmaterials möglich, weil Bakterien in zurückgelassenen Konkrementen quasi «überwintern» und jederzeit wieder virulent werden können (1). Die komplette Steinfreiheit und somit eine urologische Intervention ist also oberstes Gebot, unterstützt durch Antibiotika. Dass Letztere anfänglich durch gleichzeitige Ansäuerung zum Beispiel durch L-Methionin ihre Wirkung besser entfalten und den Infekt schneller beherrschen können, zeigt die Übersicht von D. Bach schön auf. Hingegen ist vor unkritischer chronischer Therapie mit L-Methionin zu warnen, weil
durch diese zusätzlich dem Organismus zugeführten sauren Valenzen («Gebt dem Harn Saures!») im Stoffwechsel erhebliche, pathophysiologisch einleuchtende Probleme entstehen: Die Urinausscheidung von Kalzium nimmt zu, weil die tubuläre Kalziumrückresorption reduziert und – vor allem im Kontext mit der von D. Bach propagierten, heutzutage obsoleten (2) kalziumarmen Ernährung – der Knochen vermehrt Kalzium freisetzt. Somit entsteht eine negative Kalziumbilanz und langfristig eine Osteoporose. Vermehrt zugeführte saure Valenzen induzieren eine intrazelluläre Übersäuerung, welche eine vermehrte tubuläre Rückresorption von Zitrat nach sich zieht. Zitrat ist der wichtigste Hemmkörper der Kalziumsteinbildung im Harntrakt (2), sodass eine unkritische Langzeittherapie mit L-Methionin zwar Infektsteine verhindern, dafür via Hypozitraturie aber die viel häufigere Kalziumsteinbildung triggern könnte. Bei eingeschränkter Nierenfunktion, wie sie gerade viele ältere Patienten mit chronischem Infektsteinleiden aufweisen, kann unter L-Methionin-Therapie die im Rahmen der Niereninsuffizienz bestehende leichte metabolische Azidose deutlich verstärkt werden (3). Schliesslich ist die Phosphatdepletion mittels aluminiumhaltiger Phosphatbinder ebenfalls längstens obsolet, weil dadurch ein schweres Phosphatdepletionssyndrom mit Muskelschwäche, Knochenschmerzen, vermehrter Knochenresorption und Hyperkalziurie induziert werden kann (4), insbesondere wenn gleichzeitig noch unkritisch jahrelang Säure zugeführt wird!
Literatur: Hochreiter W, Knoll Th, Hess B: Pathophy-
siologie, Diagnostik und konservative
Therapie bei nicht-kalziumhaltigen Nie-
rensteinen. Ther Umschau 60: 89, 2003.
Hess B: Nephrolithiasis. Schweiz Med Fo-
rum 1: 1119, 2001.
Ackermann D, Baumann JM, Siegrist P:
Therapy with L-methionine: effects on uri-
nary composition and on systemic acid-
base behaviour. In: Vahlensieck W, Gasser G,
Hesse A, Schoeneich G (eds.) Proceedings
of the 1st European Symposium on Uro-
lithiasis. Excerpta Medica, Amsterdam,
p. 192, 1990.
Lotz M, Zisman E, Bartter FC: Evidence for
a phosphorus depletion syndrome in man.
N Engl J Med 278: 409, 1968.
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PD Dr. Bernhard Hess FMH Innere Medizin/Nephrologie
Chefarzt Med. Klinik Spital Zimmerberg 8820 Wädenswil
Replik
Den im Leserbrief von B. Hess gemachten Aussagen zur Infektsteinproblematik kann ich im Wesentlichen zustimmen, da sie dem Tenor meiner Kurzinformation über «Harnwegsinfekt und Infektsteinprophylaxe» entsprechen. Als Resümee muss ich zugestehen, dass manche Aussagen vielleicht zu knapp formuliert wurden und einiger Vertiefungen im Text bedurft hätten. Dass die «primäre Störung», die zum Infektstein führt, in der Infektion mit gramnegativen und ureaseproduzierenden Bakterienstämmen zu suchen ist, habe ich zum Ausdruck gebracht. Die dadurch entstehende Alkalisierung des Urins wird
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«Primum nil nocere!»
dann zum Auslöser der Steinbildung. Voraussetzung für eine erfolgreiche Infektsteinprophylaxe ist natürlich die nachgewiesene Steinfreiheit des Harntrakts. Diese ist für uns Urologen so selbstverständlich, dass meist nicht ausdrücklich darauf hingewiesen werden muss, zumal der Begriff «Prophylaxe» die Beseitigung der Krankheitsursache schon signalisiert. Ohne Frage muss auch der vorhandene Harnwegsinfekt beseitigt sein, ehe die Prophylaxe durch Harnansäuerung erfolgreich sein kann. Der Hinweis darauf wurde als drittwichtigste Massnahme unter «Prophylaxe-Trias» aufgeführt und hätte vielleicht aus didaktischen Gründen an die erste Stelle gesetzt werden müssen. Die Bedenken bezüglich einer Langzeittherapie mit L-Methionin vermag ich aus langer klinischer Erfahrung nicht zu teilen. Ein verantwortlich handelnder Arzt wird L-Methionin nie «unkritisch» einsetzen und im Rahmen der regelmässigen Kontrollen der Steinpatienten die lithogenen und inhibitorischen Substanzen der Stein-
bildung im Serum und Urin kontrollieren müssen, sodass immer rechtzeitig die von B. Hess erwähnten, durchaus möglichen Stoffwechselveränderungen erkannt werden können und darauf reagiert werden kann. Die Reduzierung der Kalzium-Zufuhr, die eine altbewährte Prophylaxemassnahme bei Steinpatienten war und ist, heisst natürlich nicht «Weglassen» von kalziumhaltigen Nahrungsmitteln, sondern Reduktion einer über dem normalen Mass liegenden Zufuhr, die sich bei der Ernährungsberatung offenbart. Dass älteren Patienten mit häufig eingeschränkter Nierenfunktion besondere Aufmerksamkeit bei der Behandlung mit L-Methionin gewidmet werden sollte, versteht sich von selbst. Noch eine Bemerkung zur «Phosphatdepletion», die von B. Hess als obsolet bezeichnet wird. Die Frage einer Prophylaxe mit aluminiumhaltigen Phosphatbindern stellt sich ja nur dann, wenn eine signifikant erhöhte Phosphaturie im 24-h-Sam-
melurin nachgewiesen wird. Während
meiner Tätigkeit in der Stoffwechsel-Unit
der Urolog. Universitätsklinik Bonn sind
wir nach diesem Prinzip vorgegangen und
haben nie die beschriebenen Nebenwir-
kungen registriert, zumal nach Erreichen
einer normalen Phophatausscheidung die
Therapie mit Phosphatbindern zunächst
abgesetzt wird und erst wieder bei Zu-
nahme der Phosphatausscheidung im
Sinne einer Intervalltherapie neu festge-
legt werden sollte.
Generelle Basis der Harnsteinprophylaxe,
um vielleicht darauf nochmals hinzuwei-
sen, ist bei jedem Steintyp die ausrei-
chende Flüssigkeitszufuhr, damit das Lös-
lichkeitsprodukt für die Kristallisation gar
nicht erst erreicht wird.
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Prof. Dr. D. Bach Chefarzt der Klinik für Urologie und
Kinderurologie St.-Agnes-Hospital Bocholt
Barloer Weg 125 D-46397 Bocholt
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