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Impfungen auffrischen – aber richtig
Praktisches Vorgehen, erläutert anhand von STIKO-Empfehlungen und Fallbeispielen
U T E A R N D T, S I G R I D L E Y
Kaum eine Impffrage stellt sich in der Praxis so häufig wie die nach der richtigen Auffrischung des Impfschutzes. Soll man zum Beispiel nur gegen Tetanus auffrischen oder immer auch gegen Diphtherie? Und wie geht man vor, wenn die Tetanus-Grundimmunisierung vollständig ist, die Diphtherie-Impfung aber erst einmal gegeben wurde, und das vor 20 Jahren? Braucht der Patient heute immer noch Polio-Auffrischungen? Der vorliegende Beitrag versucht, etwas Licht in den «Auffrischdschungel» zu bringen.
Jugendliche sind nicht eben die häufigsten Gäste in der ärztlichen Praxis. Gerade deshalb sollte jeglicher Kontakt genutzt werden, um den Impfschutz zu überprüfen. Bei der Jugendgesundheitsuntersuchung (J1) ist der Impfcheck ohnehin fester Bestandteil. Im Standardimpfplan der Ständigen Impfkommission (STIKO) sind die Auffrischimpfungen gegen Tetanus (T), Diphtherie (d), Pertussis (aP) und Poliomyelitis (IPV) vorgesehen. Von der Vierer-Kombi (Td-aP-IPV) über DreifachKombinationen (Td-IPV; Td-aP) und den «Klassiker» Td sind auch Einzelimpfstoffe einsetzbar. Laut STIKO sollen aber, um die Zahl der Impfungen möglichst gering zu halten, vorzugsweise Kombinationsimpfstoffe verwendet werden. Die Tabelle 1 zeigt, welche Kombinationen möglich sind.
Wann Einzel-, wann KombiImpfstoff?
Falls eine Impfung als Grundimmunisierung durchgeführt werden soll, muss – bis auf die Ausnahme Tetanus-DiphtherieKombination – auf Einzelimpfstoffe zurückgegriffen werden, denn die anderen Kombinationen aus Tabelle 1 sind nur für die Auffrischimpfung zugelassen. Beispiel: Ein 15-Jähriger wurde als Kind nicht gegen Keuchhusten geimpft und war auch nicht daran erkrankt. Gegen Tetanus, Diphtherie und Polio wurde er jeweils dreimal immunisiert. Die Pertussis-Grundimmunisierung erfolgt bei diesem Patienten mit zwei Dosen eines Einzelimpfstoffes im Abstand von vier bis acht Wochen. Jugendliche unter 14 Jahren müssen dreimal im Abstand von jeweils vier bis acht Wochen und dann nach sechs bis zwölf Monaten geimpft werden. Eine Auffrischimpfung gegen Pertussis ist übrigens auch dann notwen-
Merk-
sätze
q Insbesondere bei Jugendlichen sollte man jeglichen Kontakt nutzen, um den Impfschutz zu überprüfen.
q Eine Auffrischimpfung gegen Pertussis ist auch dann notwendig, wenn der Patient als Kind Keuchhusten durchgemacht hat.
q Auffrischimpfungen gegen Diphtherie werden von Erwachsenen zu selten in Anspruch genommen – nur jeder Dritte ist ausreichend geschützt.
q Patienten mit Durchblutungsstörungen, zum Beispiel Diabetiker, oder mit offenen Hautwunden sind einem besonders hohen Tetanus-Risiko ausgesetzt.
q Solange die Weltgesundheitsorganisation WHO die Welt nicht für Polio-frei erklärt, muss auch hierzulande gegen Polio geimpft werden.
q Bislang gibt es keine Empfehlung für Kinder und Jugendliche, die Hepatitis-B-Impfung in bestimmten Abständen aufzufrischen oder eine Titerbestimmung durchzuführen.
dig, wenn der Patient als Kind Keuchhusten durchgemacht hat, dann allerdings erst zehn Jahre nach der Erkrankung. Für die ebenfalls anstehende Auffrischimpfung gegen Tetanus, Diphtherie und Polio bietet sich ein entsprechender Kom-
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Impfungen auffrischen – aber richtig
Tabelle 1: Kombinationsimpfstoffe für Jugendliche
von 9 bis 17 Jahren*
enthält
(Abkürzung der Kombination) Tetanus
Diphtherie
Pertussis Polio
Td-aP-IPV Td-aP Td-IPV Td
x x xx
xxx
xx
x
xx
* Basisimpfungen laut STIKO, Stand: 08.08.2003
binationsimpfstoff (Td-IPV) an, wobei man die erste Pertussis-Impfung kontralateral verabreicht. Es handelt sich jeweils um Totimpfstoffe, die problemlos zeitgleich geimpft werden können.
Zweimal MMR, dreimal Hepatitis B
Daneben sind die Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) sowie gegen Hepatitis B gegebenenfalls nachzuholen oder zu ergänzen. Zweimal sollten alle Kinder/Jugendlichen gegen MMR geimpft sein, dreimal gegen Hepatitis B. Meist werden jedoch Jugendliche in die Praxis kommen, die nur eine MMR-Impfung erhalten haben. Oder diejenigen, die noch gar nicht geimpft wurden, aber angeben, eine der drei Erkrankungen durchgemacht zu haben. Im ersten Fall wird die zweite MMR-Impfung verabreicht, im zweiten Fall werden zwei Dosen MMRImpfstoff im Abstand von mindestens vier Wochen gegeben. Die Kosten für alle genannten Impfungen übernehmen bei Jugendlichen bis 17 Jahre die gesetzlichen Krankenkassen.
fehlt. Bei Erwachsenen ist gerade mal jeder Dritte ausreichend geschützt. Die Ungeimpften stehen zwar unter dem Schutz der Herdimmunität, aber bei direktem Kontakt zu Infizierten aus Endemie- oder Epidemiegebieten oder bei Reisen in solche Gebiete sind sie akut gefährdet. Der Hausarzt ist also gefragt, seine Patienten auf die Schutzimpfung aufmerksam zu machen. Knifflig wird es dann, wenn schon die Grundimmunisierung unvollständig ist oder der Patient angibt, als Kind Diphtherie durchgemacht zu haben. Der Irrglaube, eine Infektion schütze lebenslang vor einer Neuansteckung, ist gerade bei älteren Personen weit verbreitet.
Jede Impfung zählt!
Auch eine für viele Jahre unterbrochene Grundimmunisierung oder nicht zeitgerecht durchgeführte Auffrischimpfung,
zum Beispiel gegen Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis oder Hepatitis B, muss nicht neu begonnen werden, sondern wird mit fehlenden Impfstoffdosen komplettiert. (STIKO, 2003) Die STIKO gibt also eindeutig Auskunft über das Vorgehen bei irregulären Impfabständen. Die folgenden Impfungen müssen aber dann in dem empfohlenen Schema bleiben, auch wenn die Lücke davor sehr gross war. Wichtig ist insbesondere, dass empfohlene Impfabstände nicht unterschritten werden! Beispiel: Die bei einem Patienten begonnene Grundimmunisierung, bestehend aus einer Dosis Diphtherie-Einzelimpfstoff vor 30 Jahren, muss zunächst mit einer Dosis fortgeführt werden. Es bietet sich an, einen Td-Impfstoff zu wählen, wenn der Tetanus-Schutz ebenfalls aufgefrischt werden muss – das ist häufig der Fall. TdImpfstoffe sind auch zur Grundimmunisierung zugelassen. Die dritte Dosis, die die Grundimmunisierung komplettiert, kann dann sechs bis zwölf Monate später erfolgen (Diphtherie-Einzelimpfstoff d oder Td, wenn auch die Tetanus-Immunisierung noch nicht vollständig ist).
Tetanus: Alte sind besonders gefährdet
Bei Tetanus gibt es keine Herdimmunität, die Impfung ist also ein reiner Individualschutz. In Deutschland ist Tetanus eine
Keine lebenslange Immunität
Tetanus- und Diphtherie-Impfungen (Td) sollen nach den STIKO-Empfehlungen bei Erwachsenen alle zehn Jahre aufgefrischt werden. Tatsache ist, dass diese Auffrischimpfung zu wenig in Anspruch genommen wird. Gegen Diphtherie sind schon die Jugendlichen zu 45 Prozent nicht mehr altersgemäss geimpft, da die von der STIKO empfohlene Auffrischimpfung
Abbildung: Impfreaktion mit Rötung und Schwellung an der Impfstelle
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Impfungen auffrischen – aber richtig
Tabelle 2: Te t a n u s - I m m u n p ro p h y l a x e im Verletzungsfall*
Anzahl der vorausgegangenen Impfungen
Saubere, geringfügige Wunden
Alle anderen Wunden1
Unbekannt 0 bis 1 2 3 oder mehr
* STIKO, Stand: 08.08.2003
Td oder DT2 Ja Ja Ja
Nein5
TIG3 Nein Nein Nein Nein
Td oder DT2 Ja Ja Ja
Nein6
TIG3 Ja Ja Nein4 Nein
1. Tiefe und/oder verschmutzte (mit Staub, Erde, Speichel, Kot kontaminierte) Wunden, Verletzungen mit Gewebszertrümmerung und reduzierter Sauerstoffversorgung oder Eindringen von Fremdkörpern (z.B. Quetsch-, Riss-, Stich-, Schusswunden) q schwere Verbrennungen und Erfrierungen q Gewebsnekrosen q septische Aborte.
2. Kinder unter 6 Jahren DT, ältere Personen Td (d.h. Tetanus-Diphtherie-Impfstoff mit gegenüber DT-Impfstoff verringertem Diphtherietoxoid-Gehalt).
3. TIG = Tetanus-Immunglobulin, im Allgemeinen werden 250 IE verabreicht, die Dosis kann auf 500 IE erhöht werden; TIG wird simultan mit Td/DT-Impfstoff angewendet.
4. Ja, wenn die Verletzung länger als 24 Stunden zurückliegt. 5. Ja (1 Dosis), wenn seit der letzten Impfung mehr als 10 Jahre vergangen sind. 6. Ja (1 Dosis), wenn seit der letzten Impfung mehr als 5 Jahre vergangen sind.
Die Tetanus-Immunprophylaxe ist unverzüglich durchzuführen. Fehlende Impfungen der Grundimmunisierung sind entsprechend den für die Grundimmunisierung gegebenen Empfehlungen nachzuholen.
Polio ist noch nicht tot
2004 wurden weltweit bislang 14 Poliomyelitis-Fälle gemeldet (aus Afghanistan, Pakistan, Indien und Nigeria; Stand: 18.02.2004). Im vergangenen Jahr waren in Indien, Nigeria und Niger vermehrt Menschen erkrankt, die Ausbrüche wurden aber dank rasch implementierter Impfprogramme schnell eingedämmt. Solange aber die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Welt nicht für Polio-frei erklärt, muss auch hierzulande gegen Polio geimpft werden. Säuglinge erhalten ihre Grundimmunisierung, Jugendliche sollen spätestens mit 17 Jahren nochmals eine Auffrischimpfung erhalten (s.o.). Erwachsene sollen mindestens viermal immunisiert worden sein, egal ob mit der oralen (OPV) oder der injizierbaren Polio-Vakzine (IPV). Weitere Auffrischimpfungen sind laut aktuellen STIKO-Empfehlungen nur vor Reisen in Endemiegebiete und für medizinisches Personal, das mit Erkrankten in Berührung kommen könnte, sowie für Laborpersonal mit Poliomyelitisrisiko notwendig. Aussiedler, Flüchtlinge und Asylbewerber sollen – unter Berücksichtigung vorliegender Impfdokumente – bei der Einreise aus Gebieten mit Polio-Risiko ebenfalls geimpft werden.
Erkrankung des Alters: Im Durchschnitt erkranken weniger als 15 Personen jährlich, fast ausnahmslos sind es ältere, unzulänglich immunisierte Patienten. Die Sporen von Clostridium tetani sind ubiquitär im Erdreich, und bei jeder verschmutzten Wunde besteht ein Infektionsrisiko. Patienten mit Durchblutungsstörungen, zum Beispiel Diabetiker, oder mit offenen Hautwunden (Ulcus cruris, Ekzem) sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt. Alle zehn Jahre ist eine Auffrischimpfung fällig, bei Tetanus-verdächtigen Wunden auch bereits nach fünf Jahren. Das genaue Vorgehen gibt die STIKO auch in diesem Falle vor. Die Art der Wunde und der Impfstatus der vergangenen Jahre bestimmen, ob und wie immunisiert wird. Die Tabelle 2 gibt Auskunft über die TetanusProphylaxe im Verletzungsfall.
Vorsicht vor Überimpfungen!
Ein Überimpfen mit Tetanus- und Diphtherie-Vakzinen und -Kombinationen sollte vermieden werden: Häufigkeit und Ausprägung vor allem der lokalen Symptome (Rötung, Schmerzhaftigkeit, Schwellung an der Impfstelle, gelegentlich Beteiligung zugehöriger Lymphknoten) nehmen zu. Die Häufigkeit für allgemeine Impfreaktionen wie Temperaturerhöhung, grippeähnliche Symptomatik oder Magen-Darm-Beschwerden steigt von 1 auf 10 Prozent. Grund sind hohe Antitoxin-Titer, welche die Bildung lokal zur Wirkung kommender, zirkulierender Immunkomplexe begünstigen. Überimpfungen können zu häufigeren lokalen Reaktionen (Rötung, Schwellung) und allgemeinen Impfreaktionen führen.
Hepatitis B auffrischen?
Eine allgemeine Empfehlung für eine Hepatitis-B-Impfung gilt für Kinder ab dem vollendeten zweiten Lebensmonat sowie für Jugendliche, die als Kind noch nicht geimpft wurden. Bislang gibt es keine Empfehlung, die Impfung in bestimmten Abständen aufzufrischen oder eine Titerbestimmung durchzuführen. Hepatitis-B-Auffrischimpfungen sind laut STIKO angeraten bei medizinischem Personal (einschliesslich Auszubildender, Studenten und Reinigungspersonal) und anderen gefährdeten Berufsgruppen (z.B. Sozialarbeiter mit Kontakt zu Drogenabhängigen) sowie bei bestimmten Patienten (z.B. Dialysepatienten, vor ausgedehnten chirurgischen Eingriffen, Personen mit chronischen Lebererkrankungen) und anderen
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Risikogruppen (durch Kontakt mit HBsAg-
Trägern in Familie oder Wohngemein-
schaft gefährdete Personen). Die Kon-
trolle des HBs-Antikörpertiters, die ein bis
zwei Monate nach der Grundimmunisie-
rung durchgeführt werden sollte, ist für
die genannten Gruppen indiziert. Liegt
der Titer nach der dritten Dosis < 100 IE/l, muss umgehend nachgeimpft und der Titer wiederum bestimmt werden. Bei Anti-HBs-Werten von ≥ 100 IE/ml ist die Auffrischung mit einer Dosis nach zehn Jahren ausreichend. q Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de Dr. rer. physiol. Ute Arndt Deutsches Grünes Kreuz e.V. Schuhmarkt 4 D-35037 Marburg Dr. med. Sigrid Ley Schuhmarkt 4 Deutsches Grünes Kreuz e.V. D-35037 Marburg Interessenkonflikte: keine Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 6/2004. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorenschaft.