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STUDIEq ÉTUDE
Zusatz von ASS zu Clopidogrel ohne Vorteil
Die überraschenden Resultate der MATCH-Studie
RICHARD ALTORFER
Frühere Studien hatten darauf hingedeuet, dass Clopidogrel in Kombination mit Azetylsalizylsäure der Clopidogrel-Monotherapie bei der Prävention ischämischer Ereignisse überlegen sein könnte. MATCH bestätigte diese Hypothese für zerebrovaskuläre Hochrisikopatienten nicht. Zwar ergab sich ein leicht positiver Trend für die Kombination; dieser wurde jedoch zunichte gemacht durch eine Zunahme der Blutungskomplikationen bei Zusatz von Azetylsalizylsäure.
MATCH (Management of Atherothrombosis with Clopidogrel in High risk patients with recent transient ischaemic attack or ischaemic stroke), eine internationale,
multizentrische, doppelblinde und plazebokontrollierte Studie, sollte klären, ob die Zugabe von Azetylsalizylsäure (ASS bzw. Aspirin®) zur Basistherapie mit Clopidogrel zerebrovaskuläre Hochrisikopatienten besser vor Hirnschlag schützt als Clopidogrel (Plavix®) allein. Vorangegangen waren verschiedene Studien, die zeigten, dass plättchenhemmende Substanzen wie ASS und Clopidogrel die Rate ischämischer Ereignisse vor allem bei kardiovaskulären Risikopatienten senken können. CAPRIE (Clopidogrel versus Aspirin in Patients at Risk of Ischaemic Events) hatte bei über 19 000 Patienten mit einer Atherothrombose (kürzlich abgelaufenem Herzinfarkt oder Hirnschlag oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit) gezeigt, dass Clopidogrel statistisch signifikant mehr Fälle von erneutem Myokardinfarkt, ischämischem Hirninfarkt oder Todesfälle verhindert als ASS. Die generelle relative Risikoreduktion unter Clopidogrel gegenüber ASS betrug in CAPRIE 8,7 Prozent. Clopidogrel erwies sich in CAPRIE zudem als besser verträglich als ASS. Der MATCH-Studie lag die Annahme zugrunde, Hochrisikopatienten würden von einer Zugabe von Azetylsalizylsäure (ASS) zur Basistherapie mit Clopidogrel, das heisst von der Kombination zweier unterschiedlich wirkender plättchenhemmender Substanzen, stärker profitieren als von Clopidogrel allein.
MATCH – die Studienanlage
Aufgenommen in die MATCH-Studie wurden 7499 Patienten über 40 Jahre mit weniger als drei Monate altem Hirnschlag oder transitorischer ischämischer Attacke, sofern sie im Laufe der vorangegangenen drei Jahre entweder bereits einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erlitten hat-
ten oder an einer symptomatischen PAVK, Angina pectoris oder einem Diabetes litten. Die Patienten erhielten 75 mg Clopidogrel plus entweder 75 mg ASS oder Plazebo. Die Studie dauerte 18 Monate. Primärer Endpunkt war das Auftreten von Hirnschlag, Herzinfarkt, kardiovaskulärem Tod oder Hospitalisierung wegen eines ischämischen Ereignisses.
Überraschendes Ergebnis
Am 13. European Stroke Congress vom 12.–13. Mai in Mannheim wurden die MATCH-Resultate präsentiert. Zur Überraschung vieler Fachleute fielen die Ergebnisse «negativ» aus: Die Zugabe von ASS zu Clopidogrel brachte zwar einen leichten, statistisch jedoch nicht signifikanten Vorteil gegenüber Clopidogrel allein. In der Gruppe mit ASS-Zusatz erlitten 596 Patienten (15,7%) ein neues ischämisches Ereignis, in der Gruppe mit Plazebozusatz zu Clopidogrel waren es 636 Patienten (16,73%). Die relative Risikoreduktion betrug somit 6,4 Prozent (p = 0,244), die absolute Risikoreduktion (bezogen auf die gesamte Studienpopulation) rund 1 Prozent. Dieser Trend zugunsten der Zugabe von ASS zu Clopidogrel liess sich in allen Untergruppen in etwa gleichem Ausmass feststellen. Ein entscheidender, statistisch signifikanter Unterschied war hingegen bei der Rate erheblicher bis lebensbedrohlicher Blutungen zu beobachten: 96 Patienten in der Gruppe mit ASS-Zugabe (2,6%) erlitten Blutungskomplikationen gegenüber lediglich 49 (1,2%) in der Gruppe mit Plazebozusatz zu Clopidogrel. Der tendenzielle Vorteil der Kombination von Clopidogrel und ASS wurde somit zunichte gemacht durch die signifikant höhere Rate schwer wiegender Blutungen bei Zugabe von ASS.
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STUDIEq ÉTUDE
Zusatz von ASS zu Clopidogrel ohne Vorteil
MATCH-Studienanlage
Eingeschlossen in die MATCH-Studie wurden 7599 Patienten in 509 Zentren in 28 Ländern. Das mittlere Alter bei Studienbeginn betrug 66 Jahre. 63 Prozent der Patienten waren Männer. 78,9 Prozent hatten innerhalb der vorangegangenen drei Monate einen ischämischen Hirnschlag, 21,1 Prozent eine transitorische ischämische Attacke erlitten. 78,2 Prozent der Patienten litten zudem an einer Hypertonie, 68,4 Prozent hatten einen Diabetes mellitus, bei 56,4 Prozent fand sich eine Hypercholesterinämie, 12 Prozent litten an einer Angina pectoris und 10 Prozent an einer symptomatischen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Primärer Endpunkt war eines der folgenden Ereignisse: ischämischer Hirnschlag, Herzinfarkt, kardiosvaskulärer Tod oder Rehospitalisation wegen eines beliebigen ischämischen Ereignisses.
Die Konsequenzen aus MATCH
Bei zerebrovaskulären Hochrisiko-Patienten besteht die Sekundärprävention der Wahl zur Zeit aus einer Monotherapie mit Clopidogrel. Die Zugabe von Azetylsalizylsäure (ASS) zur Basistherapie mit ASS bringt bei ihnen keinen zusätzlichen Vorteil, beziehungsweise der geringe Vorteil wird durch die grössere Rate an Blutungskomplikationen vollständig aufgehoben.
Die «negativen» Resultate der MATCHStudie ändern für Clopidogrel grundsätzlich nichts. Es scheint, dass die Clopidogrel-Monotherapie eine effektive, aufgrund der vorhandenen Daten zurzeit sogar die optimale plättchenhemmende Therapie ist. Zudem erwies sich Clopidogrel als besser verträglich als ASS. Während es für ASS in der Kardiologie aber eine medizinisch begründete Indikation gibt (vor allem nach Stentimplantationen in Ergänzung zur Basisbehandlung mit Clopidogrel), sprechen bei den zerebrovaskulären Hochrisikopatienten Wirksamkeit und Sicherheit eindeutig zugunsten von Clopidogrel. Allenfalls kommt die Kombination von Clopidogrel und ASS in den ersten Wochen nach dem Primärereignis in Frage. Diese Indikation gilt es weiter zu prüfen. Das Gleiche gilt für die Indikation Koronarstenting. Hier wird man aus reiner Analogie zur Kardiologie dazu tendieren, zumindest in den ersten Monaten ASS zur Basistherapie Clopidogrel zuzufügen. Dafür, dass die Azetylsalizylsäure nicht gänzlich aus der Therapiepalette verschwindet, dürfte der Preisunterschied zwischen den beiden Medikamenten sorgen. ASS wird sicher weiterhin da zur Anwendung kommen, wo der geringere oder allenfalls identische Nutzen und die etwas schlechtere Verträglichkeit ASS von untergeordneter Bedeutung sind und den Wechsel auf das deutlich höherpreisige Clopidogrel nicht rechtfertigen. In der Neurologie betrifft das die Patienten mit relativ niedrigem Risiko, was unweigerlich zur Frage führt, wo der Unterschied
zwischen hohem und niedrigem Risiko
anzusiedeln ist. Anders gefragt: Bis zu
welchem individuellen Risiko ist eine
Sekundärprävention mit ASS zu verant-
worten, und ab welchem Risiko ist ein
Wechsel auf Clopidogrel vertretbar oder
gar zwingend? Die Antwort fiel den Ex-
perten am ESC nicht leicht. Als Konse-
quenz aus den Diskussionen liegt die
Grenze «irgendwo zwischen 2 und 7 Pro-
zent Risiko für ein Sekundärereignis im
Folgejahr», jenseits welcher der Wechsel
von ASS auf Clopidogrel zu erfolgen hat.
Die kommenden deutschen Richtlinien
werden, wie Hans Christoph Diener, Es-
sen, erklärte, vermutlich ein schrittweises
Vorgehen in Abhängigkeit vom individuel-
len Risiko vorsehen. Letztlich handelt es
sich bei der Frage nach der Behandlung
der Wahl also zumindest teilweise um
eine politische und nicht um eine rein me-
dizinische Diskussion.
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Richard Altorfer
Interessenlage: Kongressteilnahme und Berichterstattung waren möglich dank finanzieller Unterstützung durch die Firma Sanofi-Synthélabo SA.
Hinweis: Auf der folgenden Seite lesen Sie ein Interview mit dem Studienkoordinator Professor Heinrich P. Mattle.
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INTERVIEWq INTERVIEW
«Hochrisikopatienten würde ich allein mit Clopidogrel behandeln»
Der Berner Neurologe Professor Dr. med. Heinrich P. Mattle ist Koordinator der Schweizer Zentren der MATCH-Studie. Im folgenden Gespräch äus-
grel den zerebrovaskulären Patienten keinen Vorteil bringt. Zerebrovaskuläre Patienten mit hohem Risiko, insbesondere jene mit früheren vaskulären Ereignissen in der Anamnese oder solche mit mehr als einem traditionellen Risikofaktor wie arterielle Hypertonie und Hypercholesterinämie oder Diabetiker würde ich heute mit Clopidogrel allein behandeln.
wird auch beim Karotisstenting zeitlich limitiert mit Clopidogrel plus ASS behandelt. Allerdings geschieht das lediglich aufgrund von Analogieschlüssen zu den Studien in der Kardiologie. Bei symptomatischen Karotisstenosen legt die CARES-Studie ebenfalls einen Nutzen der Kombinationstherapie nahe, solange die Patienten auf die Karotisendarterektomie warten müssen.
sert er sich zu den Resultaten
und Implikationen der Unter-
suchung.
ARS MEDICI: Herr Professor Mattle, was sagt uns die MATCH-Studie? M a t t l e : MATCH verglich die Zugabe von Azetylsalizylsäure (ASS) zur Basistherapie mit Clopidogrel gegen Clopidogrel allein bei zerebrovaskulären Hochrisikopatienten. Die Resultate sind «negativ», das heisst die Zugabe von Azetylsalizylsäure zeigt eine relative Risikoreduktion in Bezug auf Herzinfarkt, ischämischen Hirnschlag, vaskulären Todesfall und Revaskularisation von 6,4 Prozent. Dieser Unterschied ist statistisch nicht signifikant. Der Nutzen der Zugabe von Azetylsalizylsäure zur Basistherapie wird zudem durch einen Überschuss an Blutungskomplikationen zunichte gemacht. Die Rate grösserer und lebensbedrohlicher Blutungen verdoppelte sich mit der Kombinationstherapie. Immerhin waren Todesfälle glücklicherweise nicht häufiger.
Was für eine Schlussfolgerung ist aus den Resultaten der MATCH-Studie zu ziehen? Die Schlussfolgerung lautet, dass die Zugabe von Azetylsalizylsäure zu Clopido-
Haben Sie diese Resultate so erwartet? Eigentlich nicht. Aufgrund der CURE- und der CREDO-Studie hätte ich ein positives Resultat respektive einen Vorteil der Kombination von ASS und Clopidogrel erwartet. MATCH aber zeigte einmal mehr, dass Blutungen und besonders Hirnblutungen bei einer antithrombotischen beziehungsweise thrombozytenhemmenden Therapie bei zerebrovaskulären Patienten eine grössere Rolle spielen als beim allgemeinen vaskulären oder kardialen Patienten. Die Resultate zeigen auch, dass es wahrscheinlich nach einem Herzinfarkt nicht sinnvoll ist, die an sich indizierte Kombinationstherapie Clopidogrel plus ASS unendlich lange fortzusetzen. Die MATCHDaten legen vielmehr nahe, die Behandlung nach kurzer Zeit auf eine Monotherapie mit Clopidogrel umzustellen.
Gibt es also trotz Studien bei kardiologischen Patienten, die einen Vorteil der Kombination Clopidogrel plus ASS zeigen, bei zerebrovaskulären Patienten keine Indikationen mehr für die Kombination? Im Moment nur wenige. Allenfalls wäre zu untersuchen, ob während des ersten Monats nach einem Hirnschlag die Zugabe von Azetylsalizylsäure besser ist als die heutige Standardtherapie mit Clopidogrel allein. Analog zur Situation bei der PTA und der Stent-Implantation an den Koronarien
Clopidogrel hat sich in CAPRIE der Azetylsalizylsäure gegenüber als überlegen und ausserdem als besser verträglich erwiesen. Liegt da nicht eigentlich der Schluss nahe, ASS sei generell durch Clopidogrel zu ersetzen? Wenn die Kosten nicht wären, würde ich tatsächlich allen Patienten Clopidogrel anstelle von ASS verschreiben. MATCH bestärkt mich jedoch in meiner bisherigen Praxis, Clopidogrel bei Hochrisikopatienten einzusetzen und ASS bei Patienten mit niedrigerem Risiko – dies ganz klar aus wirtschaftlichen Überlegungen.
Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage: Was bedeutet hohes und was niedriges Risiko? Sie sprechen da einen wichtigen Punkt an. Die Definition des Hochisikopatienten ist nämlich gar nicht so klar. In der CAPRIEStudie war die Ereignisrate im ersten Jahr 5,3 Prozent unter Clopidogrel und 5,8 Prozent unter ASS. Um einen zusätzlichen vaskulären Endpunkt zu vermeiden, mussten in CAPRIE 200 Patienten ein Jahr lang behandelt werden – entsprechend einer Number Needed to Treat (NNT) von 200. Als wirtschaftlich erweist sich der Einsatz von Clopidogrel aber erst, wenn diese Zahl mindestens halbiert werden kann. Ein Patient muss also eine Rezidivwahrscheinlichkeit von gegen 10 Prozent pro Jahr haben. Dies trifft auf Patienten zu,
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INTERVIEWq INTERVIEW
«Hochrisikopatienten würde ich allein mit Clopidogrel behandeln»
wie sie in der MATCH-Studie untersucht wurden, also Patienten mit einem zusätzlichen vaskulären Ereignis
“ MATCH bestätigt unsere
Was spielt eigentlich Dipyridamol für eine Rolle bei der Prävention von kardiovaskulären und zere-
in der Anamnese und mindestens einem zusätzlichen Risikofaktor oder
bisherigen Behandlungsprinzipien.
brovaskulären Ereignissen? Die European Stroke Prevention
zerebrovaskuläre Patienten mit Diabetes mellitus oder peripher-arterieller Verschlusskrankheit. Bei einem Patienten mit einer transitorischen
In der Allgemeinpraxis ändert
”sich gar nichts.
Study II hat für die Kombination Dipyridamol plus ASS (2-mal 25 mg täglich) einen Vorteil der Kombination gegenüber Dipyridamol bezie-
ischämischen Attacke und einer gut
hungsweise ASS als Monotherapie
behandelten Hypertonie als einzi-
gezeigt. Nachteil von Dipyridamol
gem Risikofaktor wird sich daher der
sind die Nebenwirkungen. Viele Pati-
Einsatz von Clopidogrel anstelle von ASS die Kombination Clopidogrel plus ASS bei enten klagen über Kopfschmerzen, be-
im Moment nicht rechtfertigen lassen.
Patienten mit tieferem oder keinem Risiko sonders zu Beginn der Behandlung. Auch
gegenüber ASS allein. Es wird interessant werden aufgrund früherer Studien mit Di-
Sind weitere Studien geplant oder im sein zu sehen, ob CHARISMA CAPRIE be- pyridamol die Resultate kontrovers beur-
Gang, die sich der Frage nach der stätigt.
teilt. Eine Studie namens ESPRIT wird hier
optimalen plättchenhemmenden The-
mehr Klarheit bringen.
q
rapie annehmen?
Hat MATCH Auswirkungen für den
Eine wichtige Studie ist CHARISMA. Sie Allgemeinpraktiker?
Interview: Richard Altorfer
schliesst Patienten mit Hirnschlag, Herz- Nein, MATCH bestätigt unsere bisherigen
infarkt oder einer peripheren arteriellen Behandlungsprinzipien. In der Allgemein-
Verschlusskrankheit im Laufe der voran- praxis ändert sich gar nichts.
gegangenen fünf Jahre ein. Geprüft wird
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