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REFERAT q EXPOSÉ
Das komplexe Problem von Mundschleimhautbrennen und Mundtrockenheit
HNO
Sowohl Schleimhautbrennen als auch Trockenheit im Mund können differente Ursachen haben. Die Therapiemöglichkeiten sind vielfältig und betreffen verschiedene Fachrichtungen. Tunlichst sollten im Zusammenwirken von HNO-Arzt, Dermatologe, Zahnarzt, Internist und Neurologe die Diagnose gestellt und die Behandlung vorgenommen werden. Die Indikation zu einer Gewebsentnahme ist eng zu stellen, da die Beschwerden hierdurch oftmals verstärkt werden.
Mundschleimhautbrennen Die Ursachen sind weit gestreut. Eine spezielle Erkrankung der Mukosa ist die Glossitis rhombica mediana, vor dem Foramen caecum gelegen. Ursache: eher unklar,
eventuell Candida, humanes Immundefizienzvirus (HIV). Neben der Behandlung einer eventuellen HIV-Infektion kommt die Anwendung lokaler Antimykotika in Betracht. Lingua plicata: Furchenbildung des vorderen Zungenabschnitts, worin sich Bakterien und Pilze ansiedeln und brennende Schmerzen verursachen können. Therapie: Lokal antimikrobiell. Bei der Lingua geographica finden sich unregelmässig begrenzte Flecken unbekannter Ätiologie. Symptome ergeben sich am ehesten bei Kontakt mit sauren Speisen, welche daher vermieden werden sollten. Bei der Lingua villosa oder Haarzunge sind die Papillae filiformes hypertroph und 1 bis 2 cm lang, oft schwärzlich verfärbt durch Mikroorganismen. Möglicherweise spielen Medikamente, Rauchen oder schlechte Mundhygiene ursächlich mit. Oft ist die Veränderung symptomfrei, kann aber besonders bei Candidabefall jucken und brennen. Therapie: Lokale Antimykotika, Ausbürsten mit weicher Zahnbürste. Beim Lichen ruber planus besteht in 50 Prozent auch eine Schleimhautbeteiligung. Bei dieser vermutlichen Autoimmunkrankheit finden sich an der Mukosa Flecken, Erosionen und Ulzerationen. Die Patienten klagen über Hitzegefühl, Geschmacksstörungen und Brennen. Die Zusammenarbeit mit dem Dermatologen ist notwendig; lokal empfiehlt sich neben guter Mundhygiene eine Behandlung mit einem Tetracain-haltigen Präparat, ferner Spülungen mit Ciclosporin-A-Lösung (Sandimmun Neoral®). Pemphigoide Erkrankungen zählen ebenfalls zu den Autoimmunopathien und können im oberen Aerodigestionstrakt zu Blasenbildung und Erosionen führen. In der Regel veranlasst der Hautarzt bei die-
Merk-
punkte
q Beim Brennen der Mundschleimhaut ist ebenso wie bei störender Mundtrockenheit zuerst eine allfällige Ursache zu eruieren.
q Gelingt dies nicht, ist man auf einfühlsame Gespräche und Symptomatika angewiesen.
sen Krankheiten eine immunsuppressive Therapie. Entzündliche Affektionen der Wundschleimhaut wie Stomatitis herpetica oder mycotica weisen aphthöse und ulzeröse Läsionen auf. Weisse Candidabeläge lassen sich leicht wegwischen und so erkennen. Gegen den Pilzbefall sind lokale Antimykotika als Lösung oder Lutschtabletten zumeist wirksam. Zahnprothesen sind herauszunehmen und zu desinfizieren. An eine Grundkrankheit wie HIV, Coxsackie-Viren und ECHO-Viren oder Lues ist immer zu denken. Leichte virale Infekte mit einfachen Mundschleimhautreizungen bedürfen zumeist nur symptomatischer Massnahmen; nur in schweren Fällen käme eine virustatische Medikation in Betracht. Ebenso ist bei nichtinfektiösen Aphten zumeist eine lokale symptomatische Behandlung mit Spülungen und Adstringenzien ausreichend. Leukoplakien und Erythroplakien können das Frühstadium eines Karzinoms darstellen und auch mit juckenden oder brennenden Gefühlen einhergehen. Hier ist eine histologische Verifizierung absolut indiziert. Ansonsten soll man mit Biopsien eher zurückhaltend sein, da das gesetzte
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Das komplexe Problem von Mundschleimhautbrennen und Mundtrockenheit
Trauma bestehende Beschwerden mit Sicherheit verstärkt. Allergien und andere Unverträglichkeitsreaktionen führen in seltenen Fällen auch zu Brennen im Mund. Klinisch findet man eine Schleimhautrötung, selten Erosionen. Auch eine Kontaktstomatitis nach lokaler Anwendung diverser Mundhygieneprodukte ist möglich und erklärt sich zumeist aus der Anamnese. Das Gleiche gilt für verschiedene zahnärztliche Materialien sowie für manche Lebensmittel, besonders bei Pollenallergikern. Therapeutisch ist die Ursache fernzuhalten. Auch elektrochemische Reaktionen zwischen unterschiedlichen metallischen Zahnfüllungen können zu galvanischen Sensationen Anlass geben. Allerdings fehlt hier eine zuverlässige wissenschaftliche Sicherung dieser Hypothese. Als Gegenmassnahme müssten entsprechende zahnärztliche Sanierungen vorgenommen werden. Vitamin B12-Mangel im Rahmen einer Perniziosa führt zur Hunter-Glossitis mit Rötung, kleinen Anschwellungen, verbunden mit Jucken, Brennen, Geschmacksstörung und Trockenheit. Therapie: Vitamin B12, Behandlung des Grundleidens. Auch ein Eisenmangel im Verein mit einer hypochromen Anämie bedingt atrophische Veränderungen im Mund-, Rachenund Speiseröhrenbereich (Plummer-Vinson-Syndrom). Man findet eine atrophisch glatte und gerötete Zungenoberfläche, blasse Schleimhaut und Mundwinkelrhagaden. Eine genaue internistische Abklärung sowie eine Eisensubstitution sind erforderlich, . Der Diabetes mellitus kann bei klinisch eher unauffälliger Schleimhaut zu Brennen führen. Auch wenn sonst keine Hinweise gegeben sind, ist eine Blutzuckeruntersuchung sicher zweckmässig. Bei Frauen in der Postmenopause findet sich gehäuft Zungenbrennen ohne lokalen Befund. Zwar wurde ein Östrogenmangel angenommen, eine Östrogenzufuhr ergab jedoch keine Besserung. Schmerzsensationen von stechend-bohrendem Charakter bei der Nahrungsaufnahme lassen eine Glossopharyngeus-
neuralgie vermuten. Hier ist eine antineuralgische Therapie durch den Neurologen am Platz. Bei Parkinson-Patienten wurde fünfmal häufiger als bei Gesunden Mundschleimhautbrennen gefunden; dabei dürfte eine pathologisch erhöhte Reizschwelle vorliegen. Ähnlich gelagert sind Fälle von chronischen Angstzuständen und Depressionen. Inwieweit hier auch Psychopharmaka mitspielen, ist nur schwer abzugrenzen. In manchen Fällen findet sich keine greifbare Ursache, sodass man von idiopathischem «Burning Mouth Syndrome» spricht. Neben einem aufklärenden Gespräch kommen Spülungen mit Salizylaten sowie eine lokale Applikation von Clonazepam (relaxierend) oder Capsaicin (hyperämisierend) in Betracht. Auch die systemische Gabe von Alpha-Liponsäure (Thioctsäure, in der Schweiz nicht im Handel), einem Mittel gegen diabetische Neuropathie, hat sich bewährt.
Mundtrockenheit
Sie ist ein ebenso vielschichtiges Problem wie das Mundschleimhautbrennen. Vielfach wird einfach ungenügend Flüssigkeit zugeführt. Auch Medikamente mit xerogenen Nebenwirkungen (z.B. Antihistaminika, Diuretika, Spasmolytika, Antidepressiva usw.) sowie eine altersbedingte Funktionsminderung der Salivation tragen daran Schuld. Ein Versuch mit Pilocarpin ist nützlich. Ferner kann eine behinderte Nasenatmung zu Mundtrockenheit führen; passageverbessernde endonasale Eingriffe würden weiterhelfen. Analoges gilt für das Schnarchen. Schliesslich werden systemische Erkrankungen nicht selten von Mundtrockenheit begleitet, so HIV oder Hepatitis C, ferner Diabetes, Sarkoidose und Amyloidose. Eine Autoimmunsialoadenitis im Rahmen eines Sjogren-Syndroms kann kurativ nicht behandelt werden. Solange noch Restfunktionen der Speicheldrüsen vorliegen, lassen sich diese durch Pilocarpin (Salagen®) noch mobilisieren; als Neben-
erscheinung kann es zu vermehrter Schweisssekretion kommen, eventuell auch zu Tachykardie, Schwindel und Harndrang. In neuerer Zeit konnte mit Interferon eine deutliche Besserung erzielt werden. Strahlentherapie im Kopf-Hals-Bereich kann die Speicheldrüsen derart schädigen, dass sie ihre Funktion weit gehend einstellen. Ähnlich verhalten sich chronische Sialoadenosen, sodass hier nur mit Speichelersatz symptomatisch geholfen werden kann. Bei einer Radiatio soll die Medikation von Cumarin und Troxerutin eine gewisse protektive Wirkung auf die Speicheldrüsen haben, noch besser dürfte die zytoprotektive Substanz Amifostin (Ethyol®) sein.
Kommentar des Referenten
Beim Brennen der Mundschleimhaut ist
ebenso wie bei störender Mundtrocken-
heit zuerst eine allfällige Ursache zu eru-
ieren. Gelingt dies nicht, ist man auf ein-
fühlsame Gespräche und Symptomatika
(künstlicher Speichel, Eiswürfel lutschen)
angewiesen. Es ist eine alte Erfahrung,
dass es viel einfacher ist, den Speichelfluss
medikamentös zu hemmen als die Saliva-
tion zu stimulieren, da bei zugrunde
gegangenem Speicheldrüsen-Parenchym
auch für stärkste Medikamente kein
«Ansprechpartner» mehr vorhanden ist.
Vereinfacht ausgedrückt: Zungenbrennen
und Mundtrockenheit können auf lokale
Prozesse, allgemeine Erkrankungen oder
Abbauvorgänge oder auf keine dieser
Ursachen zurückgeführt werden und lau-
fen dann zwangsläufig unter «idiopa-
thisch».
q
H. Maier, M. Tisch (Abteilung Hals-NasenOhrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm): Mundtrockenheit und Mundschleimhautbrennen. Ursachen und Therapiemöglichkeiten. HNO 2003; 51: 739–747.
Ernst Moritsch
Interessenkonflikte: keine deklariert
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