Transkript
BERICHT q RAPPORT
«Man sieht nur, was man kennt»
Nicht alltägliche Infektionen – ein Bericht
VERA SEIFERT
Fieber, Unwohlsein, Abge-
schlagenheit – stehen diese
Symptome im Vordergrund,
liegt der Gedanke an einen
banalen «Atemwegsinfekt»
nahe. Doch die Palette der
Krankheitsbilder, die so
beginnen, ist breit.
Und wenn Sie genauer hinschauen und die richtigen Fragen stellen, werden Sie gar nicht so selten auf Infektionskrankheiten treffen, die Sie vielleicht bisher als Kolibri eingestuft haben. «Man sieht nur, was man kennt», meinte Privatdozent Dr. Dieter Hassler, Landarzt in KraichtalMünzesheim, und präsentierte auf einer Pressekonferenz des Unternehmens Aventis einige nicht alltägliche Fälle aus seiner täglichen Praxis. Ein 35-jähriger Dachdecker ohne Vorerkrankungen leidet seit drei Tagen unter Fieber und reduziertem Allgemeinzustand. Laborchemisch findet sich eine leichte Leukozytose mit lymphozytärer Prägung, ausserdem Eiweiss (++), Leukozyten (+) und Keton (++) im Urin. Das Kreatinin ist mit 2,1 mg/dl leicht erhöht. Bei der körperlichen Untersuchung sind keine Auffälligkeiten feststellbar, im Ultraschall wirkt das Nierenparenchym ein wenig aufgequollen, ein Aufstau ist jedoch nicht zu verzeichnen. Was tun?
Hassler entscheidet sich für die Einweisung, obwohl der Patient zu diesem Zeitpunkt noch recht fit wirkt. Drei Tage später hängt der Mann wegen akuten Nierenversagens an der Dialyse. Nach drei Wochen hat er sich vollständig von seiner Erkrankung erholt. Diagnose: Hantavirus-Infektion.
Infektion durch Mäusekot Was für eine Rarität, meinen Sie? Nicht unbedingt – in Baden-Württemberg konnte das Gesundheitsamt in einem Jahr immerhin 174 Fälle registrieren, berichtete Hassler. Zudem kann man bei 3 Prozent der dortigen Bevölkerung Hantavirus-Antikörper nachweisen. Dieser Umstand veranlasste Hassler, überhaupt an die Erkrankung zu denken. Hantavirus-Infektionen verlaufen hierzulande in der Regel relativ leicht in Form einer Nephropathia epidemica und werden daher oft gar nicht diagnostiziert. Die Erreger gehören zu den Bunyaviren (Europa: Typ Puumala) und werden durch den Urin und Kot von Mäusen und Ratten übertragen. Im beschriebenen Fall stellte sich heraus, dass der Patient ein altes Haus abgedeckt hatte, in dem Mäuse lebten. In Aschaffenburg traf es vor kurzem acht städtische Arbeiter, die sich beim Rasenmähen durch getrockneten und aufgewirbelten Mäuseurin infiziert hatten. Der Erregernachweis kann – sofern man daran denkt – mittels Serologie und PCR erfolgen. Die Therapie ist rein symptomatisch, bei drohendem Nierenversagen muss dialysiert werden.
Krank durch die Ehefrau? Ein anderer Fall: Der 46-jährige Patient stellt sich mit allgemeinem Krankheitsgefühl, Gliederschmerzen und leichtem Fieber vor. Husten und Schnupfen hat er nicht, er war nicht etwa vor kurzem im
Merk-
sätze
q Hantavirus-Infektionen verlaufen hierzulande in der Regel relativ leicht in Form einer Nephropathia epidemica und werden daher oft gar nicht diagnostiziert.
q Die Leptospirose ist gar nicht so selten und tritt häufiger bei Kanalarbeitern auf.
q Die Übertragung von Coxiella burneti – dem Q-Fieber-Erreger – erfolgt in der Regel durch Zeckenkot in Schafwolle.
Ausland, und auch ein Zeckenbiss ist nicht bekannt. Der Mann berichtet ausserdem, dass er sich immer, wenn er Streit mit seiner Frau gehabt hat – was wohl regelmässig vorkommt –, in den Keller zurückzieht, mit seinem Stallhasen spricht und dabei Wein pichelt. Die Laborwerte zeigen einen Entzündungsprozess (erhöhte Senkung und CRP) und leicht erhöhte Leberund Kreatininwerte. Das Kreatinin steigt dann allerdings in den nächsten Tagen an, das Bilirubin ist jetzt erhöht, und der Patient wird leicht gelb. Die Kombination aus erhöhten Leberwerten und erhöhtem Kreatinin liessen Hassler an eine Leptospirose denken, sodass er den Patienten noch einmal genau nach möglichen Risiken (Auslandaufenthalte, besondere Tätigkeiten etc.) fragte.
Wasser war schuld Dabei stellte sich heraus, dass der Patient vor kurzem versucht hatte, im Keller ein verstopftes Abflussrohr wieder durchgän-
742 A R S M E D I C I 1 4 q 2 0 0 4
BERICHT q RAPPORT
© Dr. Dieter Hassler, Kraichtal-Münzesheim
Nicht alltägliche Infektionen
gig zu machen. Die daraufhin veranlasste Leptospirose-Serologie bestätigte den Verdacht. Die Leptospirose ist gar nicht so selten und tritt häufiger bei Kanalarbeitern auf. Die Übertragung erfolgt durch mit Rattenurin kontaminiertes Wasser. Es ist wichtig, eine Leptospirose früh zu erkennen, denn sie kann unbehandelt schlimmstenfalls zu Nierenversagen und Hepatopathie führen. Therapie der Wahl ist Penicillin G.
Infektion aus dem Stall Eine junge Frau klagt über trockenen Husten und Fieber. Das Atemgeräusch klingt zunächst normal. Nach vier Tagen geht es der Patientin dann aber deutlich schlechter, und im Röntgenbild zeigt sich der typische Befund einer atypischen Pneumonie. Hierbei bezieht Hassler neben Chlamydien und Mykoplasmen grundsätzlich auch die Erreger des Q-Fiebers in seine Differenzialdiagnostik mit ein. In diesem Fall ein Volltreffer: Die serologische Untersuchung weist Coxiella-burneti-Antikörper nach. Bei genauerer Befragung gibt die Frau dann an, oft im Stall – der auch Schafe beherbergte – Pferde gestriegelt zu haben. Auch das Q-Fieber ist in Deutschland keine Seltenheit, betonte Hassler. Dabei kommt es in der Regel zu lokalen Ausbrüchen, in letzter Zeit zum Beispiel in Soest, in Freiburg und im Landkreis Marburg-Biedenkopf – eben überall, wo viele Schafe gehal-
© Prof. Dr. Lothar Zöller, Koblenz
Abbildung 1: Hautblutungen bei Hanta-Infektion
ten werden. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch Zeckenkot in Schafwolle. Neben Schafen kommen auch Ziegen und Rinder sowie – wenn auch seltener – Haustiere und Wildtiere als Wirte in Frage. Die Infektion kann sich nicht nur als interstitielle Pneumonie, sondern auch als Meningitis oder Myokarditis äussern. Zur Therapie haben sich Ketolide (z.B. Telithromycin [Ketek®]) bewährt.
Urlaubssouvenir aus der Toscana Wer sich viel mit aussergewöhnlichen Mikroben beschäftigt, den trifft es offenbar irgendwann selbst, musste Hassler erfahren. Wie er berichtete, war es soweit, als er mit seiner Familie Urlaub in der Toscana machte und abends oft von kleinen Mücken gestochen wurde. Nach einigen Tagen begann er hoch zu fiebern. Am nächsten Tag kamen Nackensteife, Lichtscheu und starke Augenmuskelschmerzen hinzu. Nach wenigen Tagen ging es ihm wieder besser, doch dann erkrankte sein Freund. Dahinter steckte das so genannte Papatacci-Fieber, das durch von Sandmücken übertragene Phleboviren ausgelöst wird. In der Toscana ist die Durchseuchung so gross, dass die Einheimischen die Erkrankung praktisch alle schon als Kinder durchgemacht haben. Meist verläuft das Papatacci-Fieber selbstlimitierend. Doch auch schwere Verläufe über Monate mit neurologischen Spätschäden sind möglich. Als Therapie kommt Ribavirin (Copegus®, Rebetol®) in Frage.
Geröteter Zeckenstich = Borreliose? Ein Exanthem nach Zeckenbiss ist nicht immer eine Borreliose, wie der folgende Fall zeigt: Ein junges Mädchen kommt aus dem Zeltlager aus der Toscana zurück und präsentiert einen solchen Befund. In diesem Fall waren die Erreger jedoch Rickettsien, die durch braune Hundezecken (Rhipicephalus sang.) übertragen werden. Heimisch sind diese Zecken unter anderem in Sizilien, Sardinien, Süditalien, Spanien und Südfrankreich. Durch Hunde, die mit in den Urlaub genommenen werden, wird die Erkrankung auch nach Deutschland eingeschleppt. An der Entwicklung
Abbildung 2: Typischer Hautbefund bei frischer Rickettsia-conori-Infektion (Altweltzeckenfieber). Rund um die Stichstelle hat sich ein Exanthem entwickelt.
der Hautläsion lässt sich der Unterschied
des so genannten Altweltzeckenfiebers
zur Borreliose erkennen: Zunächst bildet
sich an der Bissstelle ein kleines, oft dun-
kles Ulkus («Tache noire»), dann folgt ein
eruptives Exanthem. Allerdings spielt die
Differenzierung der beiden Erkrankungen
in diesem Fall für die Praxis keine Rolle.
Zum einen würde eine Serologie in diesem
frühen Stadium sowieso kein positives
Ergebnis liefern können. Zum anderen ist
für beide Erreger Doxycyclin (Vibramycin®
und Generika) das passende Antibioti-
kum.
q
Dr. med. Vera Seifert Talstrasse 5
D-93152 Nittendorf Tel. 0049-9404 95 20 11 Fax 0049-9404 95 20 20 E-Mail: seifert@der-allgemeinarzt.com
Interessenkonflikte: keine
Zuerst erschienen in «Der Allgemeinarzt» 2/2004. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
A R S M E D I C I 1 4 q 2 0 0 4 743