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Dermatologische Implikationen nach Arthropodenstichen
Mücken, Wanzen, Flöhe und Konsorten
HELGE KAMPEN
Zahlreiche Gruppen von Insekten und Spinnentieren (Arachnida) sind auf Blut (oder andere Körpersäfte) eines Wirbeltieres angewiesen. Für die einen ist die proteinreiche Flüssigkeit die einzige Nahrungsquelle in ihrem Le-
Als Reaktion auf ihre Stiche treten – je nach Sensibilisierungsgrad des Gestochenen – mehr oder minder heftige Hautveränderungen auf, die sich in Quaddelbildung, Rötung und Juckreiz äussern können. Diese Reaktionen sind sichtbare Zeichen der Aktivierung des Immunsystems nach Injektion von antigen wirkenden Sekreten aus der Speicheldrüse der Blutsauger. Permanente und stationäre Parasiten haben dafür zu sorgen, dass sie nicht auf mechanischem Wege vom Wirt entfernt werden. Flöhe und Läuse halten sich daher in der Regel nur in behaarten Körperregionen auf. Sie sind dorsoventral (Läuse) beziehungsweise seitlich (Flöhe) abge-
des Wirts verankert (Abbildung 2). Temporäre Ektoparasiten sind dagegen verhältnismässig flink und suchen in relativ kurzen Zeitabständen immer wieder aufs Neue einen Wirt auf. Die Häufigkeit der Nahrungsaufnahme wird daher im Wesentlichen durch die Verfügbarkeit von Wirten bestimmt. Viele Vertreter dieser Gruppe von hämatophagen Arthropoden (Schild- und Lederzecken, Wanzen) müssen deshalb in der Lage sein, längere Hungerperioden überstehen zu können. Manche Zecken- und Raubwanzenarten können bei ausreichender Luftfeuchtigkeit Monate oder gar Jahre hungern. Im Gegensatz zu anderen Ektoparasiten haben sie effiziente Mechanismen zur Regu-
benszyklus, die anderen sau-
gen sie lediglich in bestimm-
ten Entwicklungsstadien oder
benötigen sie zur Eiproduk-
tion. Um von hämatophagen
Arthropoden belästigt zu
werden, muss man nicht erst
Abbildung 1: Gravides Kleiderlaus-Weibchen (Pediculus humanus)
in die Tropen fahren. Auch hierzulande werden viele Ektoparasiten saisonal mit steigenden Temperaturen aktiv.
flacht, sodass sie sich in ihrem Habitat gut fortbewegen können, und mit Dornen (Flöhe) beziehungsweise kräftigen Fussklauen versehen (Läuse, Abbildung 1), die ihnen zusätzlichen Halt bieten. Schildzecken und Herbstmilben parasitieren über mehrere Tage in festgesaugtem Zustand an einer Körperstelle und geben dazu mit ihrem Speichel eine Art Kittsubstanz ab, die ihre Mundwerkzeuge fest in der Haut
lierung ihres Wasserhaushaltes entwickelt. Kopfläuse oder Flöhe halten sich nicht zuletzt deshalb permanent am Wirt auf, weil sie ohne regelmässige Blutaufnahme austrocknen würden. Verhaltensunterschiede gibt es weiterhin in der tageszeitlichen Aktivität von temporär hämatophagen Ektoparasiten: Tsetsefliegen und Bremsen sind zum Beispiel sehr stark optisch orientiert und daher tagaktiv,
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Sandmücken sind dämmerungsaktiv und Bett- und Raubwanzen nachtaktiv. Präferierte Stichstellen sind häufig wenig verhornte, feucht-warme Hautpartien wie Genitalbereich oder Achselhöhlen (Schildzecken, Herbstmilbe) sowie gut durchblutete dünnhäutige Stellen oder Schleimhautbereiche des Gesichts (Raubwanzen). Nachtaktive Arthropoden stechen bevorzugt an unbedeckten Körperstellen von Schlafenden, wie Extremitäten, Hals und Kopf. Die Dauer einer Saugattacke dauert von weniger als einer Minute (Bremsen, Wadenstecher) bis zu mehreren Tagen (Schildzecken).
Sofort- und Spätreaktion
Rötung, Quaddel und Juckreiz sind pathologische Veränderungen der Haut als Folge der lokalen Reaktion des Immunsystems auf eingedrungene exogene Faktoren. Bei Arthropoden können dies Speichelinhaltsstoffe (blutsaugende Ektoparasiten) oder Giftdrüsensekrete (Hautflügler wie Bienen, Wespen etc.) sein. Die Stärke der Immunreaktion ist abhängig von der Menge und der Qualität des injizierten Sekrets sowie vom Sensibilisierungsgrad des Patienten. Ein nichtreaktiver Zustand kann sowohl auf unsensibilisierte als auch auf desensibilisierte Personen hinweisen. In den meisten Fällen allerdings kommt es zu mehr oder weniger heftigen lokalen Hautreaktionen, seltener – und dann meist nach Stichen durch Hautflügler – zu schweren generalisierten allergischen Reaktionen, die einen anaphylaktischen Schock mit Todesfolge einschliessen können.
Abbildung 2: Ixodes ricinus-Weibchen zu Beginn des Saugaktes
Hoch spezialisierte Mundwerkzeuge
Die Fähigkeit, Blut zu saugen und zu verwerten, wurde in der Evolution der Arthropoden mehrere Male unabhängig voneinander erworben. Entsprechend variabel sind die Anpassungen der hoch spezialisierten Mundwerkzeuge und die antihämostatisch und immunmodulatorisch wirksamen Mechanismen der hämatophagen Arthropoden, die weltweit mit mehr als 14 000 human- und veterinärmedizinisch relevanten Spezies in über 20 Familien und 400 Gattungen vertreten sind (Tabelle 1). Die Mundwerkzeuge von blutsaugenden Insekten besitzen zwei feine Kanäle, einen Nahrungs- und einen Speichelkanal, welche die gleichzeitige Aufnahme von Blut und Abgabe von Speichelsekret ermöglichen. Da Zecken lediglich einen Kanal besitzen, sind sie gezwungen, alternierend Blut zu saugen und Speichel abzugeben. Der Speichel spielt beim Blutsaugen eine ganz entscheidende Rolle, enthält er doch eine Vielzahl von hämolytischen, vasodilatatorischen, immunmodulatorischen und anästhesierenden Substanzen, die einen kontinuierlichen Blutfluss bewirken, ohne die Aufmerksamkeit des Wirtes zu erregen. Ektoparasitische Arthropoden, zu denen sowohl Insekten (z.B. Stechmücken, Flöhe, Läuse), als auch Spinnentiere (z.B. Zecken) gehören, lassen sich nach verschiedenen Kriterien einteilen: Kapillarsauger (z.B. Stechmücken, Flöhe) besitzen äusserst feine Stechrüssel, mit denen sie die Blutgefässe des Wirtes direkt anstechen können. Poolsauger hingegen (z.B. Bremsen, Kriebelmücken) verletzen mit ihren relativ groben Mundwerkzeugen die Gefässwand derart, dass eine Blutung ins Gewebe entsteht, aus der das Blut aufgesogen werden kann. Des Weiteren werden Ektoparasiten anhand der parasitischen Lebensphasen in ihrem Entwicklungszyklus und nach ihrer Aufenthaltsdauer am Wirt unterschieden. So werden Arthropoden, die in allen Stadien ihrer Entwicklung parasitisch leben (z.B. Zecken), als permanente Parasiten, solche, die den Wirt nur für einen bestimmten Lebensabschnitt benötigen (z.B. Flöhe als Imagines, Herbstmilben als Larven), als periodische Parasiten bezeichnet. Temporäre Ektoparasiten suchen den Wirt nur kurzfristig zum Zweck der Nahrungsaufnahme auf (z.B. Wanzen), während stationäre Ektoparasiten dauerhaft am Wirt verbleiben, das heisst auch ausserhalb der eigentlichen Saugperiode (z.B. Läuse). Da diese Attribute zwei verschiedene Klassen von Eigenschaften beschreiben, werden sie gewöhnlich kombiniert verwendet: Läuse sind zum Beispiel permanent-stationär, Stechmücken periodisch-temporär.
Die typische Stichreaktion setzt sich aus Sofort- und Spätreaktion zusammen, die auf verschiedene immunologische Mechanismen zurückzuführen sind. Von den vier klassischen Typen pathogener Immunreaktionen kommen nach Stichen durch blutsaugende Arthropoden im Wesentlichen zwei zum Tragen: Typ I ist für die Sofortreaktion verantwortlich, Typ IV für die Spätreaktion. Die Reaktion vom Typ I (Überempfindlichkeit vom anaphylaktischen Typ) beruht auf der Ausschüttung von Histamin und anderen Immunmediatoren durch aktivierte Mastzellen. Die Stimulierung der Mastzellen kann unter anderem durch Kreuzvernetzung ihrer Fc⑀-Rezeptoren durch IgE-
Antikörper oder durch die Anaphylatoxine C3a und C5a als Spaltprodukte der Komplementaktivierung erfolgen. In beiden Fällen kommt es nach einem Einstrom von Kalziumionen zur Exozytose von präformierten Mediatoren. Bei diesen handelt es sich im Wesentlichen um Histamin, das zu Vasodilatation, Kapillarpermeabilität, Chemokinese und Bronchokonstriktion führt. Daneben werden auch Heparin, proteolytische Enzyme und verschiedene Faktoren ausgeschüttet, die zur chemotaktischen Anlockung von Eosinophilen und Neutrophilen sowie zur Blutplättchenaktivierung führen. Die Sensibilisierung der Mastzellen über IgE-Antikörper hält einige Tage an.
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© Prof. Dr. H.M. Seitz, IMP Bonn
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Tabelle 1: Medizinisch relevante hämatophage Arthropoden
Ordnung Diptera
Hemiptera Anoplura Siphonaptera Acari
Familie
Schmetterlingsmücken (Psychodidae) Stechmücken (Culicidae) Kriebelmücken (Simuliidae) Gnitzen (Ceratopogonidae) Bremsen (Tabanidae) Tsetsefliegen (Glossinidae) Echte Fliegen (Muscidae) Plattwanzen (Cimicidae) Raubwanzen (Reduviidae) Läuse (Pediculidae, Phthiridae)
Flöhe (versch. Familien)
Lederzecken (Argasidae) Schildzecken (Ixodidae) Laufmilben (Trombiculidae) Raubmilben (Dermanyssidae) Pelzmilben (Cheyletiellidae)
bekannte Vertreter
Phlebotomus spec. (u.a. Sandmücken) Culex pipiens (Hausmücke); Aedes, Anopheles spec. Simulium spec. Culicoides spec. Tabanus, Haematopota, Chrysops spec. Glossina spec. Stomoxys calcitrans (Wadenstecher) Cimex lectularius (Bettwanze) Triatoma, Panstrongylus, Rhodnius spec. Pediculus capitis (Kopflaus); Pediculus humanus (Kleiderlaus); Phthirus pubis (Schamlaus) Ctenocephalides canis (Hundefloh); Ctenocephalides felis (Katzenfloh); Ceratophyllus gallinae (Vogelfloh); Pulex irritans (Menschenfloh) Argas reflexus (Taubenzecke) Ixodes ricinus (Holzbock) Neotrombicula autumnalis (Herbstmilbe) Dermanyssus gallinae (Vogelmilbe); Ornithonyssus bacoti (Rattenmilbe) Cheyletiella spec.
Bei einer Typ-IV-Reaktion (zellvermittelte Überempfindlichkeit), die den verzögerten Typ der Immunreaktion darstellt und durch sensibilisierte T-Zellen ausgelöst wird, werden vier Untertypen unterschieden: die Jones-Mote-Reaktion (kutane basophile Überempfindlichkeit), die Kontaktallergie, die bei Arthropodenstichen keine Rolle spielt, die Reaktion vom Tuberkulintyp und die granulomatöse Überempfindlichkeit. Am frühesten setzt die Jones-Mote-Reaktion ein, die sich nach zirka 24 Stunden klinisch in einer Hautschwellung manifestiert und histologisch durch eine Infiltration von Basophilen unmittelbar unter der Epidermis charakterisiert ist. Sie wird durch lösliches Antigen induziert, dauert sieben bis zehn Tage an und klingt ab, wenn die Antikörper verschwinden. Die Reaktion vom Tuberkulintyp erreicht ihren Höhepunkt nach 48 bis 72 Stunden in Form einer lokalen Verhärtung und Schwellung. Gelegentlich tritt Fieber auf. Nachdem zunächst eine starke Infiltration durch mononukleäre Zellen (Lymphozyten und Monozyten) an der Stelle der Antigenexposition festzustellen ist, treten die
Lymphozyten nach etwa 48 Stunden aus den Blutgefässen aus und beginnen die Kollagenfasern der Haut aufzulockern. Während sich die Läsion entwickelt, bekommt die Reaktion einen granulomatösen Charakter. Persistiert das Antigen im Gewebe – entweder in Form von Immunkomplexen oder weil Makrophagen ihren phagozytierten Inhalt nicht zerstören können –, kommt es nach etwa vier Wochen zur granulomatösen Überempfindlichkeitsreaktion, die durch eine Wucherung von Epitheloidzellen gekennzeichnet ist. In dem Granulom finden sich des Weiteren Makrophagen und mitunter vielkernige Riesenzellen (Langerhans’sche Riesenzellen). Der zentrale Bereich des Granuloms kann unter Auflösung der Zellstruktur nekrotisieren, während im peripheren Bereich durch Proliferation von Fibroblasten und verstärkte Kollagensynthese eine Fibrose entstehen kann. Grundlage der verzögerten Überempfindlichkeitsreaktion sind sensibilisierte T-Lymphozyten, die bei Kontakt mit Antigen-präsentierenden Zellen Lymphokine freisetzen. Die Hauptaufgabe der Lymphokine besteht in der Aktivierung und Anlockung von Ma-
krophagen zum Ort der Antigenbelastung, um die lokale Immunantwort zu verstärken. So gehören zu den Lymphokinen zum Beispiel der Makrophagen-aktivierende Faktor (MAF) und der T-Zell-Wachstumsfaktor (TCGF = Interleukin II). Gelegentlich treten nach Stichen durch hämatophage Arthropoden auch Überempfindlichkeitsreaktionen vom Typ III in Form des Arthus-Phänomens auf. In diesem Fall aktivieren gewebsständige Immunkomplexe aus IgG- beziehungsweise IgM-Antikörpern und Antigen das Komplementsystem. C3a- und C5a-Komplementfragmente bewirken unter anderem eine Mastzelldegranulation und die chemotaktische Anlockung von Granulozyten. Letztere sezernieren lysosomale Enzyme (Kollagenase, Elastase, Myeloperoxidase u.a.), die eine Schädigung der Gefässwand (Vaskulitis) und des umliegenden Gewebes verursachen können.
Juckreiz, Quaddel, Rötung
Das Spektrum der Symptomatik, die einem Stich durch ein blutsaugendes Gliedertier folgen kann, ist breit gefächert. Manch-
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Potenter Arthropodenspeichel
Während der Nahrungsaufnahme treffen hämatophage Arthropoden unweigerlich auf die hämostatischen Mechanismen des Wirbeltierwirtes, ein ausgeklügeltes und effizientes System aus Blutgerinnung, Thrombozytenaggregation und Vasokonstriktion, das zur Abdichtung des verletzten Gefässes mit Hilfe eines Blutpfropfens führen und einem Blutverlust entgegenwirken soll. Als Antwort auf diese Hindernisse haben die Ektoparasiten ein umfangreiches Arsenal an potenten blutgerinnungshemmenden und vasodilatatorischen Substanzen entwickelt, die sie mit dem Speichel in die Stichwunde injizieren. Obwohl deren Existenz seit langem bekannt ist, hat man erst in den letzten 10 bis 15 Jahren mit ihrer Identifizierung und Charakterisierung begonnen. Nicht zuletzt erhofft man sich Erkenntnisse über pharmakologisch-therapeutische Einsatzmöglichkeiten. Antikoagulanzien, die an verschiedenen Stellen in die Blutgerinnungskaskade des Wirtes eingreifen, wurden bei Zecken (Ixin, Ixodin, Argasin), Raubwanzen (Triatomin, Maculatin, Prolixin, Rhodniin), Bremsen (Tabanin), Kriebelmücken und Tsetsefliegen nachgewiesen. Es handelt sich um Inhibitoren der Blutgerinnungsfaktoren III (Gewebefaktor), VII, VIII, Xa und Thrombin. Inhibitoren der Thrombozyten-Aggregation sind zum Beispiel Disintegrine (bei Raubwanzen und Bremsen), Pallidipin (bei Raubwanzen) und Moubatin (bei Lederzecken), welche die Vernetzung der Thrombozyten über Fibrinogen beziehungsweise ihre Interaktion mit Kollagen und Adhäsion an Endothelzellen unterbinden. Möglicherweise wegen der zentralen Rolle von ADP bei der Thrombozyten-Aggregation besitzen fast alle blutsaugenden Arthropoden auch grössere Konzentrationen an Speichel-Apyrasen, die ATP und ADP zu AMP und anorganischem Phosphat hydrolysieren. Als Beispiele für Vasodilatatoren sind Peptide wie Maxadilan (Sandmücken), Marydilan (Kriebelmücken) und Tachykinine (Stechmücken) zu nennen. Ebenso wirken im Zeckenspeichel enthaltene Prostaglandine (PGE2, PGI2, PGF2␣) und bei Wanzen vorkommende Stickoxide, die in Form von Nitrophorinen (NO-bindende Hämoproteine) gebunden sind, gefässerweiternd. Oxidasen/Peroxidasen werden von Stechmücken dazu benutzt, Serotonin und Katecholamine zu zerstören, um die Vasokonstriktion zu unterbinden. Bei Zecken und einigen Insektenspezies wirken Lipocaline (Histamin-bindende Proteine; z.B. Procalin), Kininasen (Bradykinin-spaltende Enzyme) und PGE2 immunsuppressiv und sind an der Juckreizunterdrückung beteiligt. Neben solchen bioaktiven Substanzen können aber auch inaktive Speichelinhaltstoffe, die in den Stichkanal gelangen, allergen wirken und Immunreaktionen auslösen. Toxisch wirkende Proteine (Neurotoxine), wie sie im Speichelsekret von Zecken und Kriebelmücken vorkommen, können darüber hinaus zu ernsthaften Toxikosen führen, im Extremfall mit Todesfolge. Schliesslich nutzen auch viele pathogene Mikroorganismen (Viren, Bakterien, Protozoen, Würmer) den Ektoparasiten als Vektor, der sie während des Stechaktes mit dem Speichel (salivarisch; z.B. Borrelien bei Zecken, Plasmodien bei Anophelen) auf einen neuen Wirt überträgt. Andere Krankheitserreger lassen sich dagegen von den Ektoparasiten mit dessen Vorderdarminhalt in die Stichwunde regurgitieren (z.B. Leishmanien von Phlebotomen, Yersinia pestis von Flöhen) oder werden bei einsetzendem Juckreiz vom Wirt in den Stichkanal eingerieben, nachdem sie mit dem Kot des Ektoparasiten in unmittelbarer Nähe der Stichwunde abgesetzt wurden (stercorarische Übertragung von Trypanosomen durch Raubwanzen).
mal vermischt sich das Bild einer allergischen Reaktion auch mit Toxizitätseffekten. Im Allgemeinen aber entwickelt sich lediglich eine lokal begrenzte entzündliche Gewebsreaktion, die sich dermatologisch in Form einer Sofort- und einer Spätreaktion manifestiert. Gelegentlich kommt es zu leichten bis mittelschweren, selten zu ernsten generalisierten Begleitreaktionen oder Schockzuständen. Die Allgemeinreaktionen, die eine allergische Stichreaktion begleiten können, lassen sich in vier Gruppen einteilen (Tabelle 2). Der Stechakt eines blutsaugenden Arthropoden verläuft in aller Regel zunächst unbemerkt. Lediglich Stiche von Bremsen und
Wadenstechern sind wegen der relativ grob ausgebildeten Mundwerkzeuge recht schmerzhaft. Zum Ausgleich sind diese Ektoparasiten ausserordentlich penetrant und insbesondere Bremsen auch gegenüber gezielten Schlägen höchst widerstandsfähig. Der Stich selbst präsentiert sich in den meisten Fällen in Form eines juckenden Erythems mit zentraler Quaddel als Sofortreaktion, die sich nach zirka 24 bis 48 Stunden in eine innerhalb weniger Tage abheilende Papel (Spätreaktion) umwandelt, sofern keine mechanischen Irritationen dazukommen. Gelegentlich treten Bläschenbildung, Hämorrhagien und
druckempfindliche Schwellungen (Ödeme) auf. Nach Erstexposition geht den Stichreaktionen vielfach eine etwa einwöchige Sensibilisierungsphase voran, wobei – bis auf wenige Ausnahmen – Sensibilisierungsphänomene (ebenso wie Desensibilisierungsphänomene) nicht artübergreifend auftreten.
Unterschiedliches Stechverhalten
Da der Sensibilisierungsgrad einer gestochenen Person gegenüber der Vielzahl der möglichen Ektoparasiten in der Regel unbekannt ist, lässt sich allein aufgrund ein-
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Schwellungen oder grossflächigen
Tabelle 2: S t a d i e n v o n A l l g e m e i n r e a k t i o n e n nach Insektenstichen
Ödemen (Abbildung 4), die mit Lymphangiitis, Lymphadenitis und Fieber assoziiert sein können. Das
I. leichte Allgemeinreaktion II. mittlere Allgemeinreaktion
generalisierte Urtikaria, Pruritus, Nausea, Angst
Symptome der Gruppe I sowie generalisiertes Ödem, trockene Rasselgeräusche (Giemen), Engegefühl über dem Thorax, Abdominalbeschwerden, Vomitus, Schwindel
Auftreten der Kriebelmücken ist an Fliessgewässer gebunden, in denen sich ihre Larven entwickeln. So kommt es auch bei Weidevieh,
III. schwere Allgemeinreaktionen Symptome der Gruppen I und II sowie Dyspnoe, Dysphagie, Heiserkeit, Schwächegefühl, Somnolenz, Todesangst
IV. Schockreaktion
Symptome der Gruppen I, II und III sowie Zyanose, Hypotonie, Kollaps, Inkontinenz, Koma
das in der Nähe von Bächen gehalten wird, häufig als Folge massiver Kriebelmückenexposition zu schweren Intoxikationen mit Todesfällen.
Zecken: Im Speichel von Schild-
zelner Stichreaktionen in den seltensten Individuum zurückzuführen. In Zentral- zecken sind Neurotoxine enthalten, die
Fällen auf den Verursacher schliessen. An- europa wird ein Flohbefall meist durch insbesondere in der Spätphase des Saug-
zahl, Lokalisation, jahreszeitliches und Katzen-, Hunde- oder Vogelflöhe verur- aktes von Weibchen zu Intoxikationen des
geografisches Auftreten der Stiche kön- sacht, durch Letztere insbesondere im Nervensystems (Zeckenparalyse) führen
nen aber immerhin Hinweise geben. So Frühjahr, wenn Vogelkästen gereinigt können. Diese können mit Dysphagie,
deuten ein sommerliches oder herbst- werden und mit Nistmaterial hantiert Dysarthrie, Zungen- und Faszialislähmung
liches Auftreten zahlreicher Stiche an wird, in dem schlüpfbereite
feuchtwarmen Körperregionen (Achsel- Flöhe in den Puppenhüllen
höhlen, Kniekehlen) oder an Rändern eng auf einen Blutwirt warten.
anliegender Kleidungsstücke auf eine Tierflöhe halten sich aber
Trombidiose hin (Abbildung 3).
nicht lange am Menschen, da
Herbstmilben: Wie Zecken lassen sich sie dessen Blut nur unzurei-
Herbstmilbenlarven von potenziellen Wir- chend verwerten können.
ten aus der bodennahen Vegetation ab- Während Bettwanzen welt-
streifen. Die Milben verbleiben gewöhn- weit verbreitet sind, kommen
lich nur wenige Stunden am Menschen, in Raubwanzen nur in Süd- und
denen jede Larve einen einzigen Stich Mittelamerika vor.
setzt. Viele Stiche bedeuten also einen Läuse: Ein Lausbefall ist häufig
© Prof. Dr. W.A. Maier, IMP Bonn
multiplen Befall, der daraus zu erklären durch eine regionäre Lymph-
ist, dass die Milben regelmässig in hoher knotenschwellung gekenn-
Zahl (clusterförmig) an erhöhten Punkten zeichnet. Durch den perma-
der Vegetation zusammenfinden. Die nenten Juckreiz (Kopfläuse
Stichreaktion setzt erst einige Stunden benötigen etwa alle zwei
nach Befall ein (dadurch Lokalität des Be- Stunden Blut) ausgelöste
falls kaum zu eruieren) und kann bis zu Kratzreaktionen führen fast
zwei Wochen anhalten. Häufig entwickelt regelmässig zu bakteriellen
sich aus der anfänglichen Quaddel ein mit Sekundärinfektionen, die von Abbildung 3: Trombidiose in der Achselhöhle
Serum und Exsudat gefülltes Bläschen.
nässenden Dermatosen be-
Flöhe und Wanzen: Multiple, häufig linear gleitet sein können. Bei massivem Kopf- einhergehen und insbesondere bei Kin-
angeordnete Effloreszenzen sind auch bei lausbefall, entsprechender Exsudation dern sogar zu Atemversagen mit Todes-
einer Infestation durch Flöhe oder Wan- und mangelnder Hygiene können die folge führen. Je kürzer die Entfernung der
zen möglich, wobei die Stiche in diesem Haare zu einem sogenannten Weichsel- Stichstelle zum Zentralnervensystem ist,
Fall wahllos am Körper lokalisiert sein zopf (Plica polonica) verkleben, in dem desto kürzer ist die Inkubationszeit und
können. Bevor die Parasiten endlich eine auch zahlreiche Läuse unterschiedlichen desto schwerer das Krankheitsbild der
Kapillare anstechen, sondieren sie mit Entwicklungsstadiums verfangen sind.
Toxikose. Die Lähmungen sind jedoch
ihrem Stechrüssel im Gewebe des Befalle- Kriebelmücken: Nicht selten sind Stiche meist in 12 bis 24 Stunden reversibel, so-
nen, währenddessen es bereits zur Ab- von Kriebelmücken, in deren Speichel to- fern die Zecke rechtzeitig entfernt wird.
gabe von Speichelsekret kommt. Hier sind xische Enzyme enthalten sind, Auslöser al- Nach Stichen durch Schildzecken kann es
mehrere Quaddeln also auf ein einzelnes lergischer Reaktionen mit starken lokalen des Weiteren noch Wochen später an den
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Abbildung 4: Augenlidödem nach Kriebelmückenstich
Stichstellen zur Entwicklung von Zeckenstichgranulomen kommen. Hierbei bildet sich ein entzündliches zelluläres Infiltrat als Reaktion auf schlecht abbaubare Speichelinhaltstoffe (siehe Überempfindlichkeitsreaktion vom Typ IV).
Übertragung von Erregern
Stiche durch blutsaugende Arthropoden können sich sekundär verändern, zum Beispiel durch bakterielle Superinfektionen, die durch Kratzreaktionen seitens des Wirtes entstehen, oder durch vom Ektoparasiten übertragene Pathogene, die sich lokal an der Stichstelle vermehren. So kommt es nach der Infektion mit Leishmanien und Trypanosomen durch Sandmücken, Tsetsefliegen und Raubwanzen zu teils ulkusartigen Primäraffekten an den Stichstellen, die je nach Erregerspezies und Lokalisation der Stichstelle als Leishmaniom, Chagom, Romaña-Zeichen oder Trypanosomenschanker bezeichnet werden. Hier findet zunächst eine lokale Vermehrung der Parasiten statt, bevor sich die Infektion über Blut und Lymphe im Organismus ausbreitet. Ganz ähnlich findet auch bei der Übertragung von Borrelia burgdorferi durch Schildzecken zunächst eine lokale Vermehrung der Spirochäten rund um die Stichstelle statt, die sich in zirka 60 Prozent der Fälle als Wanderröte (Erythema migrans) darstellt.
Inzwischen konnte eine fördernde Wirkung von nicht näher identifizierten Speichelinhaltstoffen verschiedener Vektoren auf die Etablierung von frisch übertragenen Pathogenen im neuen Wirt nachgewiesen werden.
Symptomatische Behandlung oft ausreichend
Sofern keine Komplikationen auftreten, die eine notfallmedizinische Versorgung erfordern, oder der Verdacht einer Erregerübertragung besteht, ist eine symptomatische Behandlung der Stichstellen mit juckreizstillenden und desinfizierenden Präparaten ausreichend. Die Mittel der Wahl mit antipruriginöser Wirkung sind zweifellos H1-Antagonisten (Antihistaminika). Bei besonders intensivem Juckreiz können auch leichte Sedativa, kortikosteroidhaltige Emulsionen oder Lokalanästhetika verabreicht werden. Inerte Puder oder Lotionen haben aufgrund ihrer kühlenden Wirkung auch ohne Wirkstoff einen juckreizstillenden Effekt. Zur Wunddesinfektion können Alkohol, Franzbranntwein und so weiter angewendet werden. Bei bakteriellen Superinfektionen ist die Applikation antibiotischer Salben angezeigt. Vor der Präskription eines Präparates mit insektizidem/akarizidem Wirkstoff sollten aber unbedingt der Nachweis und die Identifizierung des Ektoparasiten durch einen Spezialisten erfolgen und fachkundige Informationen über die Lebensgewohnheiten des Ektoparasiten eingeholt werden. Ein Einsatz von Ektoparasitika macht selbstredend nur dann Sinn, wenn es sich um stationäre Parasiten, wie zum Beispiel Kopfläuse, handelt. Sogar eine Trombidiose rechtfertigt die Anwendung entsprechender giftiger und mit Nebenwirkungen behafteter Wirkstoffe meist nicht, da sich die Milben zum Zeitpunkt des Einsetzens des Juckreizes im Allgemeinen nicht mehr am Wirt befinden. Der Patient bekäme also lediglich die Nebenwirkungen des Präparates zu spüren, das darüber hinaus wegen ausbleibenden Therapieerfolges womöglich wiederholt eingesetzt wird. Differenzialdiagnostisch
ist bei Auftreten von Hauteffloreszenzen
natürlich auch an Kontaktallergien zu
denken.
Im Fall von temporären Parasiten, die
innerhalb von Behausungen leben, wie
zum Beispiel Wanzen oder bestimmte
Milbenspezies, bleibt neben der sympto-
matischen ärztlichen Behandlung häufig
nur der Weg zum Kammerjäger.
q
Literatur: 1. Mumcuoglu, Y., Rufli, T. (1983): Dermatologische Entomologie. Perimed Fachbuch-Verlagsgesellschaft mbH, Erlangen. 2. Frazier, C.A. (1984): Insect allergy: allergic and toxic reactions to insects and other arthropods, 2nd Ed.. W.H. Green Inc., St. Louis, Missouri. 3. Ribeiro, J.M.C. (1995): Blood-feeding arthropods: live syringes or invertebrate pharmacologists? Infectious Agents and Disease 4, 143–152. 4. Stark, K.R., James, A.A. (1996): Anticoagulants in vector arthropods. Parasitology Today 12, 430–437 5. Wikel, S.K. (1996): The immunology of host-ectoparasitic arthropod relationships. CAB International, Wallingford.
Dr. rer. nat. Helge Kampen Institut für Medizinische Parasitologie
Universität Bonn D-53105 Bonn E-Mail:
hkampen@parasit.meb.uni-bonn.de
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 14/2003. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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