Metainformationen


Titel
Business as usual
Untertitel
-
Lead
Rechtzeitig zur Saure-Gurken-Zeit wurde medienwirksam aufbereitet, dass die Aktivitäten des Doktor Samuel Stutz uns sauer aufstossen sollten. Prompt ging ein Aufschrei durchs Schweizerland: Stutz ist gesponsort! Satt kassiert er von Firmen (und der Firma FMH!) ab – und legt das nicht offen! Mit unserem sauer verdienten Geld machen sich Stutz und seine Journalisten ein süsses Leben. Kollusion sowie Kollision von Interesse und Geld beherrschten die Schlagzeilen.
Datum
Autoren
-
Rubrik
Rubriken — ARSENICUM
Schlagworte
-
Artikel-ID
11838
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/11838
Download

Transkript


ENICUM

Business as usual

Rechtzeitig zur Saure-Gurken-Zeit wurde medienwirksam aufbereitet, dass die Aktivitäten des Doktor Samuel Stutz uns sauer aufstossen sollten. Prompt ging ein Aufschrei durchs Schweizerland: Stutz ist gesponsort! Satt kassiert er von Firmen (und der Firma FMH!) ab – und legt das nicht offen! Mit unserem sauer verdienten Geld machen sich Stutz und seine Journalisten ein süsses Leben. Kollusion sowie Kollision von Interesse und Geld beherrschten die Schlagzeilen. Aber Schlagseite bekommen darob weder das träge Handelsschiff FMH, noch der wendige Fernsehlendoggder. Die Familienanamnese von PremiumPrügelknabe Hans Heinrich Brunner ergibt zwar Belastendes: So war der Alte des AltFMH-Präsidenten doch tatsächlich im Sold des Ringier-Verlags! Kein Wunder daher, dass der Sohn FMH-Gelder in Ringier-Produkte fliessen lässt. Mein Gewissen und mein Verleger verlangen, dass ich mich hier und jetzt oute: Mein Vater war Novartis-Angestellter, und ich habe während Jahrzehnten Produkte von Ciba, Geigy und Sandoz verschrieben. Zahlreiche geldwerte Dinge wie ein Radiergummi, eine Plastik-LWS, Jahres-Agenden und Bücher wurden mir im Sinne einer Sachwert-Bestechung von diesen Firmen in die Praxis geschickt, und ich habe sie angenommen. Und auch diese Glosse schreibe ich gegen Honorar – obwohl der Rosen-

fluh-Verlag das Geld dafür vermutlich durch Inserateeinnahmen der Pharmaindustrie erwirtschaftet. Daher darf ich Sie bitten, bei benigner Prostatahyperplasie Avodart oder SabCaps, bei Hypertonie Kinzal Plus, Aprovel, Norvasc, Dilatrend, Lisopril oder Torem zu verordnen. Doch zurück zu Stutz und dessen Stütz. Der Mann hat immerhin Stehvermögen. Sein allererster Fernsehauftritt war nämlich ein Misserfolg: Bei Thomas Gottschalks «Wetten dass?» prahlte er damit, die Temperatur von Wasser auf ein Grad genau durch Hineintauchen seiner Nase erkennen zu können. Unter den Frotzeleien («Wie messen Sie denn Fieber, Herr Doktor?») des deutschen Post-und-Haribo-Gesponsorten scheiterte Sensor-Sämi vor einem Millionenpublikum. Der Spott seiner Assistenzarztkollegen im Basler Spital trieb ihn dann hinter die Schreibmaschine und nach Bern. In Wandelgängen und Redaktionsstuben entwickelte er ein Näschen für Kommerz. Er mixte die Mediengeilheit von Ärzten, die Leichtgläubigkeit von Patienten und die Verkaufsinteressen der Morbiditätsindustrie zu einem gewinnbringenden Cocktail. Ordinarien traten sich auf die Füsse, um in Samuel Stutzens Druck- und Ton/Bild-Erzeugnissen auftreten zu dürfen. In frisch gestärkten Weissund Grünkitteln priesen sie vor Bücherwänden und OPS-Kacheln Medikamente

und Methoden an. Jetzt aber schliessen sie sich flink dem Chor der Moralhüter an und finden diese nichtdeklarierte Medizinvermarktung ungeheuerlich. Einzig glaubwürdig sind wir Hausärzte. Wir drängten uns nicht vor die Kamera, und unser Leidensdruck ist gross, wenn unsere Patienten am Tag nach Stutz-Sendungen wieder mal ultimativ das Medikament X oder den Eingriff Y fordern. Aber damit müssen wir leben, in unserer Gesellschaft, die die Freiheit von Meinungsäusserung und Markt bejaht. Im «Kassensturz» werden Zellulitis-Produkte als «wissenschaftlich erwiesen wirksam» angepriesen und als Beweis die schwabbeligen Schenkel dicker Frauen vor und nach dem Einreiben gezeigt. Unsere Fussballnati wird von einer Brauerei gesponsort, Konzerte für die Jugend unterstützen Marlboro und Coca Cola. Alles ist (ver-)käuflich. Nur der Papst macht noch nicht Reklame für Meister Proper. Jeder zockt ab, wo er kann. Der gebeutelte Familienvater Stutz hat ein Häuschen im Tessin und fünf Kinder. Wissen Sie, was neue Schuhe für Teenager und Nur-Hausfrau-Ehefrauen kosten? Eben. Gönnen wir Stutz, dass er vom ZächEffekt profitiert und auch seine Patienten es ihm nicht übel nehmen, wie er sein Geld verdient. Endlich hat er mal im TV die Nase vorn und lässt sie sich vergolden!

710 A R S M E D I C I 1 4 q 2 0 0 4