Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Postmenopausale Östrogentherapie bei Hitzewallungen
JAMA
Für Frauen, die unter starken
Menopausebeschwerden lei-
den, hat die Östrogentherapie
weiterhin einen hohen Stel-
lenwert. Anhand von zwei
Fallbeispielen zeigt die JAMA-
Autorin Heidi D. Nelson, welche
Überlegungen die Indikation
rechtfertigen und auch, was
beim Absetzen der Hormon-
substitution zu bedenken ist.
Seit dem Bekanntwerden der Ergebnisse der Women’s Health Initiative(WHI)-Studie im Jahr 2002 hat sich die Einstellung zur postmenopausalen Hormonsubstitution grundlegend geändert – bei den Experten und auch bei vielen Frauen. Ziemlich rasch hat man in den USA etwa von Seiten der Food and Drug Administration (FDA) auf die Sicherheitsbedenken zur LangzeitÖstrogentherapie reagiert. Gemeinsam mit der US Preventive Services Task Force haben die Verantwortlichen den neuen Erkenntnissen Rechnung getragen und ihre Empfehlung gegen den Einsatz von Östrogenen zur Prävention chronischer Erkrankungen ausgesprochen. Die Behandlung von ausgeprägten Menopausebeschwerden wird dagegen weiter-
hin als eine anerkannte und sinnvolle Indikation erachtet. Die Empfehlung geht dahin, die geringstmögliche Dosis zu wählen und die Anwendung so kurz wie möglich zu halten. Dann kann das Nutzen-RisikoVerhältnis sehr wohl positiv ausfallen, meint auch die JAMA-Autorin Heidi D. Nelson vom Oregon Evidence-based Practice Center der Universität Portland. Die meisten Frauen haben Menopausebeschwerden in wechselnder Intensität. Hierzu zählen das vegetative Menopausesyndrom, das gekennzeichnet ist durch Hitzewallungen, Schweissausbrüche, Erröten und Erblassen, Ohrensausen, Kopfschmerzen, Herzjagen und Parästhesien und Schlafstörungen. Das funktionelle Menopausesyndrom äussert sich durch seelische Verstimmung, Änderung der Gemütslage im Sinne von Depression, Antriebsarmut oder Gereiztheit. Dabei spielen neben dem eintretenden Östrogenmangel auch die Konstitution der Frau und das soziale Umfeld eine grosse Rolle. Zum organischen Menopausesyndrom zählen Dystrophie der Vulva, Atrophie der Vagina und Blutungsanomalien. Obwohl etwa 50 bis 80 Prozent der Frauen Menopausebeschwerden erleben, messen nur gut 10 Prozent ihnen einen Krankheitswert zu und suchen ärztliche Hilfe. Diesen Frauen sollten Östrogene – beziehungsweise bei erhaltenem Uterus in Kombination mit Gestagen – nicht vorenthalten werden, meint die Autorin. Anhand von zwei Fallbeispielen erörtert sie die Entscheidungsgrundlagen für eine Östrogentherapie.
Fallbeispiel 1: Östrogentherapie bei Hitzewallungen
Eine 49-jährige Frau will von ihrem Arzt wissen, was sie gegen die aufkommenden
Merk-
sätze
q Die postmenopausale Östrogen (-Gestagen)-Therapie kann bei ausgeprägten Menopausebeschwerden über einen befristeten Zeitraum von wenigen Jahren sinnvoll sein.
q Das Nutzen-Risiko-Verhältnis und die Bedürftigkeit sind im partnerschaftlichen Gespräch zwischen Arzt und Patientin zu ermitteln. Die Wünsche und Einstellungen der Frau sind (mit)entscheidend.
q Zur Prävention von KHK, Schlaganfall und Morbus Alzheimer ist die Langzeiteinnahme von Östrogenen nicht angezeigt. Zur Osteoporoseprophylaxe sind andere, nichtöstrogene Substanzen zu bevorzugen.
Hitzewallungen tun kann. Sie hat seit einem halben Jahr einen unregelmässigen Menstruationszyklus und leidet immer öfter unter Hitzewallungen, die sie etwa einmal in der Woche aus dem Schlaf reissen. Ansonsten hat die Frau keine gesundheitlichen Probleme. Obwohl die Hitzewallungen bei dieser Frau häufiger werden, kann es für sie hilfreich sein, vom Arzt zu erfahren, dass die Beschwerden bei 30 bis 50 Prozent der Frauen innert einiger Monate nachlassen, spätestens aber zumeist nach etwa vier Jahren. Viele Frauen tolerieren die Symptome als Teil ihres neuen Lebensabschnitts,
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vor allem wenn sie weniger gravierend sind. Besonders beeinträchtigend sind für die meisten neben den Hitzewallungen die Schlafstörungen und die urogenitalen Veränderungen, die zur Entscheidung führen, eine Östrogentherapie zu beginnen. Alle Symptome sollten im Gespräch mit der Frau angesprochen werden und ein entsprechender individueller Therapieplan soll, wenn gewünscht, aufgestellt werden. Es gibt nach Auskunft der Autorin zwar Behandlungsalgorithmen, diese sind aber nicht auf ihren Nutzen überprüft. Die Bestimmung eines Hormonstatus (FSH, LH, Östradiol) ist in aller Regel nicht erforderlich. Frauen sollten mit dem Arzt gemeinsam Nutzen und Risiken der Intervention erörtern und eine Behandlungsentscheidung auf der Basis von Präferenzen der Frau und der klinischen Evidenz der Therapieoptionen abhängig machen. Es gibt einige Studien, die zeigen, dass nicht wenige Frauen unzufrieden sind mit der Art der Entscheidungsfindung, die gelegentlich über ihren Kopf hinweg stattfindet. «Nur die Frau selbst kann letztlich entscheiden, ob die Symptome für sie akzeptabel sind oder nicht», meint Heidi Nelson. Einige Frauen versuchen mit Hilfe einer phytoöstrogenreichen Diät, die viel Soja und faserreiche pflanzliche Lebensmittel enthält, den Hitzewallungen beizukommen. In Studien sei der Nutzen aber nicht hinreichend belegt, meint die Autorin. Auch chinesische Heilpflanzen, Vitamine und Akupunktur sind ihrer Auffassung nach unbewiesen in ihrer Wirksamkeit – eine Meinung, die nicht überall geteilt wird. Keine Erwähnung findet in dem Artikel beispielsweise der Mönchspfeffer (Agnus castus, z.B. Pre Mens®, Agnolyt®), der in unseren Breiten als Alternative zu Östrogenen ebenfalls des Öftern von Frauen gewählt wird und auch von einigen Ärzten als eine Alternative anerkannt wird. Eine solche Wirksamkeit auf Hitzewallungen gesteht die JAMA-Autorin Antidepressiva (z.B. SSRI), Clonidin oder Megestrol zu. Sie vermerkt aber, dass die zu erwartenden Effekte eindeutig geringer zu veranschlagen seien als die von Östro-
genen, zudem müssten potenzielle Nebenwirkungen beachtet werden. Zurück zu der eingangs vorgestellten Patientin. Nach Auffassung der Autorin erfüllt sie die Kriterien für eine Östrogentherapie, die bei mittelschweren bis schweren vasomotorischen Symptomen indiziert ist. Bei Frauen, die primär unter urogenitalen Symptomen leiden, empfiehlt die FDA eher lokale Östrogene als systemische. Zur Osteoporoseprophylaxe werden Östrogene nicht als Erstlinienmedikamente empfohlen. Hier werden Nichtöstrogene, wie etwa Bisphosphonate, als Mittel der ersten Wahl eingesetzt. Die Autorin weist im Übrigen darauf hin, dass es zum Einfluss von Östrogenen auf Schlafstörungen und Urogenitalsymptome vergleichsweise wenige Studien gibt. Vermutlich können Östrogene auch die Stimmungslabilität beeinflussen, allerdings sind die vorliegenden Studien in ihrer Methodik uneinheitlich und insgesamt nicht ganz schlüssig. Daten der WHI-Sudie mit konjugiertem Östrogen plus Gestagen zeigen eine geringfügige Verbesserung der Schlafprobleme, nicht dagegen von bestimmten Parametern der Lebensqualität, wie Müdigkeit, Körperschmerz und depressive Verstimmung. Die Östrogentherapie ist kontraindiziert bei Vorliegen unklarer und abnormer Blutung, bei frischem Myokardinfarkt oder Schlaganfall, bei venösen oder arteriellen Thromboembolien, bei Brustkrebs und bei Lebererkrankungen. Bei der Anwendung können Nebenwirkungen bedacht werden. Gelegentlich können Brustspannungen, Blutungen, Übelkeit oder Gewichtsveränderungen als unerwünschte Effekte auftreten. Wichtig bei der Einschätzung von Nutzen und Risiken ist das erhöhte Risiko für Thrombosen, Cholezystitis, Schlaganfall und KHK. Das Cholezystitisrisiko steigt beispielsweise um (relativ) 40 Prozent, wobei Frauen im frühen Klimakterium nicht gut untersucht sind. Das Risiko für thromboembolische Ereignisse steigt etwa um das Dreifache im ersten Jahr und um das Zweifache in den folgenden Jahren. In der WHI-Studie hatte eine Subgruppe von Frauen zwischen 50 und 59 Jahren mit Hitzewallungen kein erhöh-
tes Risiko für KHK oder Schlaganfall. Das Brustkrebsrisiko, das auf lange Sicht um 29 Prozent erhöht ist, scheint nach derzeitigem Kenntnisstand bei einer Anwendung bis zu vier Jahre nicht erhöht zu sein.
Welches Östrogenpräparat kann man der Patientin empfehlen? Die am häufigsten eingesetzten Präparate sind (in den USA) konjugierte equine Östrogene (CEE, z.B. Premarin®), darüber hinaus stehen unter anderem mikronisiertes 17-Beta-Östradiol zur oralen (z.B. Progynova®) und transdermalen Anwendung (z.B. Fem 7®, Estraderm® TTS) zur Verfügung. Hinsichtlich der Hitzewallungen soll die Wirksamkeit der genannten Östrogene gleichwertig sein. Die Dosis sollte den Symptomen angepasst werden. Zumeist wird mit der geringsten Dosis begonnen, also bei CEE oral 0,625 g pro Tag. Die Frau sollten in gewissen Abständen zur Kontrolle in die Praxis kommen, um Wirksamkeit und Verträglichkeit mit dem Arzt zu besprechen und womöglich Dosisanpassungen vorzunehmen. Die Autorin empfiehlt, nach etwa zwei bis drei Jahren einen Versuch zu unternehmen, die Dosis zu reduzieren oder die Therapie zu beenden.
Fallbeispiel 2: Abbruch der Östrogentherapie nach Langzeiteinnahme
Eine 61-jährige Frau hat ein Kombinationspräparat über zehn Jahre eingenommen und möchte die Behandlung beenden. Die Behandlung war zunächst gegen die Hitzewallungen begonnen worden, später dann mit dem Ziel der kardiovaskulären und der Osteoporoseprävention fortgesetzt worden. Als die WHI-Resultate bekannt wurden, setzte die Frau die Behandlung sofort ab. Aber sie fühlte sich daraufhin unwohl, depressiv und litt unter Schlafstörungen, ohne an einer bestimmten Erkrankung zu leiden. Dies ist ein Beispiel für Entzugssymptome nach dem abrupten Absetzen einer Östrogenbehandlung. Eine Option ist daher der schrittweise Ausstieg, dessen Erfolg auf klinischer Erfahrung beruht, nicht auf evi-
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denzbasierten Erkenntnissen. Reduziert wird entweder die Dosis oder die Zahl der Tage, an denen Östrogen eingenommen wird, oder beides. Dabei ist im Einzelfall die Geschwindigkeit des Ausstieges zu bestimmen. Bei einigen Frauen geht es innert Wochen, bei anderen dauert es Monate. Wenn bei der Patientin Depression und Krankheitsgefühl stark sind, nachdem die Hitzewallungen abgeklungen sind, muss eine separate Untersuchung erfolgen. Die postmenopausale Östrogensubstitution ist nämlich keine hinreichende Therapie für eine Depression. Hier
dürften SSRI besser wirken, meint die Autorin. Ob die Frau bis zum Absetzen der Behandlung einen Nutzen in Bezug auf die Osteoporoseprävention hatte, ist ungewiss, da keine regelmässigen Knochendichtemessungen durchgeführt wurden. Für den Fall, dass sie keine besonderen Risiken für eine Osteoporose hat und keine anderen Indikationen für eine Knochendichtemessung bestehen, ist eine Densitometrie in diesem Alter nicht erforderlich. Die Frau sollte darüber informiert werden, dass sie das Osteoporoserisiko durch kör-
perliche Übungen, Kalziumzufuhr und Vitamin D beeinflussen kann. Alle Frauen sollten nach dem Absetzen weiter einbestellt werden, um die erfolgten Reaktionen zu besprechen und zu bewerten. q
Heidi D. Nelson: Postmenopausal estrogen for treatment of hot flashes. Clinical applications. JAMA 2004; 291: 1621–1625.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
Corrigendum
Im Artikel «Angiotensin-II-Antagonisten», erschienen in ARS MEDICI 12/04, Seite 595ff, haben wir die Abbildung 3 falsch zur Darstellung gebracht. Die richtige Abbildung sehen Sie nebenstehend. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen. Die Redaktion
Abbildung 3: 1195 Patienten mit Hypertonie, linksventrikulärer Hypertrophie und Diabetes wurden randomisiert der Behandlung mit Losartan oder Atenolol zugeführt. Sowohl der primäre Endpunkt (bestehend aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall) als auch die Gesamtmortalität waren in der Losartan-Gruppe gegenüber Atenolol signifikant reduziert. (Modifiziert nach Lindholm et al. [20] und Lewis et al. [19])
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