Transkript
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Metformin beim polyzystischen Ovarsyndrom
Systematischer Review und Metaanalyse
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Eine Metaanalyse bestätigt
die Effektivität von Metfor-
min zur Ovulationsinduktion
bei Frauen mit polyzysti-
schem Ovarsyndrom.
Das polyzystische Ovarsyndrom ist charakterisiert durch Anovulation, Infertilität und Hyperandrogenismus. Klinisch bestehen Zyklusirregularitäten, Hirsutismus und Akne. Je nach angewandten Kriterien sollen zwischen 5 und 10 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter davon betroffen sein. Häufigster Konsultationsgrund ist Kinderwunsch bei anovulatorischer Infertilität. Im Alter von 40 Jahren haben bis zu 40 Prozent der Betroffenen einen Typ-2Diabetes oder eine gestörte Glukosetoleranz. Der vorliegende systematische Review wollte die Effektivität von Metformin (Gluconormin®, Glucophage®, Metfin®) beim polyzystischen Ovarsyndrom anhand von Studien hoher Qualität erfassen.
Methodik
Die Autoren durchsuchten die gängigen Quellen (Cochrane, Medline, Embase) nach entsprechenden Studien. Berücksichtigt wurden randomisierte kontrollierte Studien, die Metoformin mit Plazebo, keiner Behandlung oder anderen Ovulationsinduktoren allein oder in Kombination verglichen. Das polyzystische Ovarsyndrom musste mittels biochemischer Parameter oder Ultraschallbefund
verifiziert sein. Die Stabilität der Ergebnisse wurde mittels Sensitivitätsanalysen in Beziehung zu Qualität der Behandlungsallokation, Verblindung, Übergewicht, einer Behandlungsdauer über zwei Monate und ethnischen Gruppen untersucht.
Resultate
20 Studien entsprachen den Kriterien, 13 wurden für die Analyse berücksichtigt (davon 10 doppelblinde). In allen Studien waren Oligomenorrhö oder bewiesene Anovulation als Einschlusskriterium gefordert, und in allen waren zuvor andere Endokrinopathien ausgeschlossen worden.
Klinische Behandlungsverläufe Schwangerschaftsrate: Keine der Studien hatte Schwangerschaft als primären Endpunkt, und nur 6 Studien hatten Tubenerkrankungen oder männliche Infertilitätsfaktoren als Ausschlusskriterium. Daher sind die berichteten Schwangerschaftsraten mit Vorsicht zu betrachten. 5 Studien, die Metformin mit Plazebo verglichen, fanden keinen signifikanten Behandlungsnutzen, allerdings ist ein Publikationsbias zu vermuten. In 3 Studien, die die Kombination von Metformin mit Clomifen (Clomid®, Serophene®) gegenüber Clomifen allein verglichen, zeigte sich ein signifikanter Nutzen für die Kombinationsbehandlung (Odds Ratio [OR] 4,40, p = 0,0003). Ovulationsrate: Hier war ein signifikanter Effekt von Metformin im Vergleich zu Plazebo offensichtlich (OR 3,88, p < 0,0001). Auch für die Kombination Metformin plus Clomifen im Vergleich zu Clomifen allein zeigte sich ein signifikanter Vorteil (OR 4,41, p < 0,0001). Allerdings waren die Studien heterogen: Signifikant war die Überlegenheit von Metformin plus Clomifen offenbar nur bei zuvor gegen Clomi-
Merk-
punkte
Diese Metaanalyse von randomisierten kontrollierten Studien zur Therapie mit Metformin beim polyzystischen Ovarsyndrom hat Folgendes ergeben:
q Unter Monotherapie werden mit Metformin in 46 Prozent Ovulationen erreicht, unter Plazebo in 24 Prozent (NNT = 4,4).
q Unter Metformin plus Clomifen kommt es in 76 Prozent zu Ovulationen, unter Clomifen allein in 42 Prozent (NNT = 3,0).
q Metformin hat einen kleinen, aber nützlichen Effekt auf Aspekte des metabolischen Syndroms.
q Es gibt keine Evidenz, dass Metformin das Körpergewicht reduziert.
q Gleich gute oder bessere Ovulationsraten wurden mit Lifestyle-Interventionen zur Gewichtsreduktion erzielt.
fen resistenten Patientinnen mit tiefer Ovulationsrate. Körpergewicht: Die Autoren fanden keine Evidenz für einen Effekt von Metformin auf das Körpergewicht und ebenso wenig auf den Bauchumfang oder das BauchHüftumfang-Verhältnis. Blutdruck: 2 Studien, die Metformin mit Plazebo verglichen, rapportierten auch die Blutdruckwerte. Hier bewirkte Metformin
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eine signifikante BD-Reduktion systolisch (gewichtete mittlere Differenz -9,07, p = 0,003) und diastolisch (-5,69, p = 0,005). Nebenwirkungen: Nur in 1 Studie fanden sich Angaben zu Abortraten und multiplen Schwangerschaften, wobei sich keine Signifikanzen ergaben. Metformin verursachte signifiant häufiger Übelkeit und Erbrechen (OR 3,84, p = 0,05) und andere gastrointestinale Störungen (OR 4,40, p = 0,003). Eine Studie berichtete, dass die meisten Drop-outs wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen erfolgten. Keine der Studie sah schwer wiegende Nebenwirkungen.
Management der Ovulationsinduktion bei Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom
Allgemeine Beratung vor einer Konzeption z.B. Folsäure-Zufuhr, Rauchen, Rötelnimpfung
Ratschläge zum Lebensstil Ernährung, Training, Gewichtsabnahme
Biochemische Parameter Insulin: Basierend auf 9 Studien mit insgesamt 302 Patientinnen hatte Metformin einen signifikanten Einfluss auf die Nüchtern-Insulinkonzentrationen mit einer mittleren gewichteten Differenz von -5,37 (p = 0,0001). Lipide: In 3 Studien mit 98 Teilnehmerinnen fanden sich Angaben zu den Blutfetten. Das Gesamt-Cholesterin wurde in den Metformin-Gruppen nicht signifikant beeinflusst, wohl aber das LDL-Cholesterin (gewichtete mittlere Differenz -0,44, p = 0,02). Keinen Behandlungseinfluss fanden die Autoren für HDL-Cholesterin und Triglyzeride.
Diskussion
Unter Hinweis auf ihre strengen Einschlusskriterien kommen die Autoren anhand einer vernünftigen Anzahl methodisch guter Studien und bei fehlenden Hinweisen für einen signifikanten Publikationsbias zum Schluss, dass Metformin in der Ovulationsinduktion bei Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom effektiv ist. Diese Feststellung dürfte für alle Betroffenen mit hyperandrogener Anovulation, die meist übergewichtig sind und eine Insulinresistenz zeigen, zutreffen. Als Einschränkung ihrer Arbeit sehen die Autoren Unterschiede in den Studienpopulationen, die bei gewissen Analysen zu Heterogenität führten, sowie kleine Fallzahlen bei gewissen Berechnungen. Sensitivitätsanalysen unter Einbezug ver-
Wenn Diät und Trainingsprogramme nicht wirken und die Nierenfunktion normal ist Beginn Metformin (nach den Mahlzeiten) Dosissteigerung bis zu 3 x 500 mg täglich Wenn gut vertragen: Zieldosis von 2 x 1 g täglich
Wenn effektiv: Fortsetzung der Behandlung für 6 Monate bis 1 Jahr
Wenn nicht effektiv: Clomifen hinzufügen
Schwangerschaft Metformin sofort absetzen * Screening auf Gestationsdiabetes
im späteren Verlauf der Schwangerschaft
Keine Schwangerschaft nach 6 Monaten bis 1 Jahr
Andere Fertilitätsmethoden einsetzen
Metformin absetzen**
* Mehr Daten zum Effekt von Metformin in der Frühschwangerschaft sind notwendig. ** Die Datenlage zum Langzeiteinsatz von Metformin bei jungen Frauen ist noch
unbefriedigend
schiedener Variablen änderten die Resultate nicht substanziell. Auch die unterschiedliche Behandlungsdauer in den verschiedenen Studien dürfte eher zu einer konservativen Beurteilung des Behandlungseffekts von Metformin im Vergleich zu Plazebo geführt haben. Eine Ovulation wurde bei 46 Prozent der mit Metformin Behandelten und bei 24 Prozent unter Plazebo erreicht; dies
entspricht einer Number needed to treat (NNT) von 4,4. Beim Vergleich von Metformin plus Clomifen (Ovulationsrate 76%) und Clomifen allein (42%) beträgt die NNT 3,0 und liegt noch tiefer bei Frauen mit bekannter Clomifen-Resistenz (NNT = 1,6). Diese Zahlen erscheinen den Autoren als robust, da sie keine Hinweise auf einen ins Gewicht fallenden Publikationsbias fanden. Höhere Ovulationsraten
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unter Metformin plus Clomifen stützen die Ergebnisse der Metaanlayse hingegen nur für Frauen mit bekannter ClomifenResistenz. Andere Reviews beschrieben Ovulationsraten mit Clomifen allein von 40 bis 85 Prozent. Eine Clomifen-Resistenz ist bei übergewichtigen Frauen – und das sind viele mit polyzystischem Ovarsyndrom – jedoch häufiger. Zu den Schwangerschaftsraten lassen sich anhand der Metaanalyse der vorliegenden Studien hingegen kaum klare Aussagen machen. Immerhin besteht eine gewisse Evidenz für die Kombination von Metformin und Clomifen, allerdings hatten nur wenige Studien das Eintreten einer Schwangerschaft als definierten Endpunkt, und nur wenige kontrollierten die Ergebnisse für andere Infertilitätsursachen. Die Autoren fanden keine Literatur zur Sicherheit bei Langzeitverabreichung von
Metformin bei jungen Frauen, und aus den Studien ihrer Metaanalyse lassen sich diesbezüglich keine Rückschlüsse ziehen, da die längste Studie gerade einmal sechs Monate dauerte. Metformin ist in jedem Fall selbst bei nur leichter Einschränkung der Nierenfunktion wegen der Gefahr der Laktatazidose kontraindiziert; zudem beeinträchtigt die Substanz die Aufnahme von Vitamin B12. Die Erfahrungen mit der Einnahme während der Schwangerschaft sind begrenzt. Obwohl Hinweise auf Teratogenität fehlen, ist Vorsicht geboten, bis die Sicherheit im ersten Trimenon besser abgeklärt ist. Die Gesamt-Ovulationsrate unter Metformin oder Metformin plus Clomifen betrug 57 Prozent. Andere Studien haben mit Lifestyle-Verbesserungen (gesteigerte körperliche Aktivität, Gewichtsabnahme) höhere Ovulationsraten erzielt.
Wichtig ist es, so die Autoren, den Patien-
tinnen mit polyzystischem Ovarsyndrom
klar zu machen, dass Metformin keine
«Abspeckpille» ist. Metformin sollte da-
her immer als Adjuvans zu Lifestyle-Mass-
nahmen eingesetzt werden, und nicht als
deren Ersatz.
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Jonathan M. Lord (Department of Endocrinology and Metabolism, Peninsula Medical School, South West Centre for Reproductive Medicine, Derriford Hospital, Plymouth/UK) et al.: Metformin in polycystic ovary syndrome: systematic review and meta-analysis. Brit. Med. J. 2003; 327: 951–955.
Halid Bas
Interessenlage: Die Autoren deklarieren keine Interessenkonflikte.
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