Transkript
TAGUNGSBERICHT q COMPTE-RENDU DE CONGRÈS
Impfgespräch: erfolgreicher durch Offenheit
Ein Bericht von den Zuger Gesprächen 2004
THOMAS FERBER
Wenn es um das Impfen geht, sind Arzt und Patient nicht immer einer Meinung. Eine moderne ärztliche Gesprächsführung setzt dabei verstärkt auf die Akzeptanz der Patientenmeinung. Für die Zuger Gespräche 2004* hatten die Veranstalter erstmals eine Playback-Theatergruppe engagiert, die typische Praxissituationen spielerisch darbot und die TeilnehmerInnen zum Dialog animierte.
«Es sind die kleinen Dinge in unserer Routine, die unserer Aufmerksamkeit entgehen», meinte der Moderator der Zuger Gespräche 2004, Sven Capol, Menzingen. Sie machen auch manche Probleme in der ärztlichen Gesprächsführung aus. Und wie
* Zuger Gespräche 2004, Casino Zug Donnerstag, 11. März 2004
liessen sie sich besser veranschaulichen als beim Theaterspielen – genauer noch: im Rahmen eines Playback-Theaters? Playback-Theater ist improvisiertes, interaktives Theater. Unter fachkundiger Moderation verwandeln speziell trainierte Schauspielerinnen und Schauspieler – und bei Bedarf auch Musiker – Anregungen und Ideen aus dem Publikum in spontane Theaterszenen. Die Beiträge während der Zuger Gespräche 2004 stammten aus der Impfpraxis und wurden von einem Gremium von Fachleuten ausgewählt. Die diesjährige Fortbildung bot mit dem Playback-Theater Zürich (1) auf unterhaltsame und lehrreiche Art und Weise Gelegenheit (2) zur praxisnahen Fortbildung. Für einmal ging es somit laut Capol nicht um Vorträge «ex cathedra», und es gab auch keine «Take Home Messages» in Form von Power-Point-Vorlagen: «Sie müssen diese Erlebnisse im Bauch mit nach Hause nehmen», gab Capol den Teilnehmern mit auf den Weg.
Keinen Kreuzzug veranstalten
An aktiver Mitarbeit und Unterstützung aus dem Publikum mangelte es in der Folge nicht, nachdem das Playback-Theater zuerst drei Beispiele aus dem ärztlichen Impfalltag parodiert hatte. Die anschliessende Diskussionszeit wurde ausgiebig genutzt. Die Szene «Arzt möchte Kind impfen, Mutter sträubt sich aus Angst vor negativen Folgen dagegen» gab viel zu reden. Für Joachim E. Fischer, Kinderarzt am Kinderspital Zürich (Mitherausgeber Impfordner und Website www.kinderimpfen.ch) hat es sich bewährt, bei Widerständen das Programm herunterzufahren und in kleinen Schritten voranzugehen. Gerade bei impfkritischen Eltern
ist es für ihn gut, wenn man sie dort abholt, wo sie derzeit stehen. Im Sinne eines differenzierten Impfens brauchen bestimmte Impfungen gemäss Fischer nicht schon mit zwei Monaten durchgeführt zu werden. Es kann auch bis zum Alter von acht Monaten zugewartet werden. Meistens kommen dann die Eltern von selbst und möchten die Impfungen nachholen. Dies hängt für Fischer oft mit den Erfahrungen zusammen, die Eltern in der Zwischenzeit gemacht haben und die sie dann dazu bewegen, ihr Kind impfen zu lassen. Aus der abwartenden Haltung heraus resultiert meistens doch noch ein ganz ordentlicher Impfschutz. In der Einzelberatung sollte man laut Fischer nicht den Fehler machen, einen persönlichen Kreuzzug zu führen mit der Absicht, die Mutter dazu zu bewegen, ihr Kind bis zum 24. Lebensmonat gegen Masern impfen zu lassen. Es sei besser, allgemein anzustreben, eine hohe Rate an Kindern bis zum vierten Lebensjahr mit der MMR-Vakzine zu versorgen. «Auf eines mehr oder weniger kommt es nicht an, trotzdem hat man im Einzelfall durch das Zuhören etwas Gutes für die Stabilität der Arzt-Eltern-Beziehung unternommen und wird von den Eltern als differenzierter Arzt wahrgenommen. Letztlich hat man auch den längeren Atem», meinte Fischer.
Eventualitäten vorher regeln
Anlass zu Diskussionen gab auch eine Theaterszene, in der die unmündige Tochter ohne Wissen der Eltern bei der Ärztin erscheint und mit dem angeblichen Einverständnis der Eltern die Pille verschrieben bekommt. Weil es heute üblich ist, erklärt sich die Tochter auf Anraten der Ärztin gleich noch mit der Hepatitis-BImpfung einverstanden. Das dicke Ende
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Impfgespräch: erfolgreicher durch Offenheit
kommt, als die Eltern eine Rechnung erhalten und aus allen Wolken fallen. Wie ist da die Rechtslage? Darf die Ärztin «einfach so» die Pille verschreiben, auch wenn die Eltern dagegen sind? Darf die Tochter gegen den Willen der Eltern die Impfung beanspruchen? Zwischen der Ärztin und der Tochter besteht juristisch gesprochen ein Auftragsverhältnis. Somit ist das Mädchen nach Auffassung des anwesenden Rechtsexperten, Fürsprecher Daniel Staffelbach, Zürich, durch das Arztgeheimnis geschützt. Doch: «Sollte es zu einer Konfliktsituation kommen, werden Sie einen anderen Anwalt finden, der das Gegenteil sagt», so Staffelbach einschränkend. Damit wurde schnell deutlich, dass beim Umgang mit Jugendlichen das Eis juristisch oft dünn ist. Dies insbesondere dann, wenn gleichzeitig auch mit den Eltern eines solchen Patienten «Geschäftsbeziehungen» bestehen, das heisst wenn es sich um eine Beziehung zwischen Hausarzt und Familie beziehungsweise Kinderarzt und Familie handelt. In solchen Fällen, in denen die Eltern ebenfalls «Vertragspartner» sind, ist es laut Staffelbach ratsam, mit den Eltern das Vorgehen zu besprechen, falls das Kind einmal allein in der Praxis erscheint. So kann geregelt werden, ob das Arztgeheimnis gilt oder ob die Eltern informiert werden wollen, falls das Kind allein in der Praxis auftaucht. Ist dies nicht möglich oder pocht der oder die Jugendliche auf das Arztgeheimnis, dann sollte er oder sie sich an einen Arzt wenden, der nicht gleichzeitig «Geschäftsbeziehungen» mit den Eltern unterhält. Letztlich ist der juristische Aspekt zwar ein wichtiger Teil des Problems, doch weitaus bedeutungsvoller ist die Kommunikation zwischen den verschiedenen Beteiligten. Verläuft das Gespräch gut, dann lassen sich die Konflikte so weit entschärfen, dass es nicht zu unliebsamen Komplikationen kommt.
Betroffene bei den Ängsten abholen
Viele Kolleginnen und Kollegen beschäftigt die Frage: «Wie bringe ich meine
Argumente rüber, wenn beim Impfen Widerstand aufkommt?» Der Kommunikations- und Mediationstrainer Hein Dönni von der Pädagogischen Hochschule Zürich warnte: «Wir müssen uns zuerst mit den Ängsten befassen, bevor wir mit Statistiken aufwarten. Natürlich gibt es Fakten, und man kann auch Überzeugungsarbeit leisten. Doch das geht nicht bei allen Menschen.» Bei vielen Patienten erlangt man gemäss Dönni das Vertrauen nur, wenn sie spüren, dass ihre Angst ernst genommen wird. «Das bedingt eine Haltung, die davon ausgeht, dass ich jetzt diesen Menschen, wie er vor mir steht – mit all meinem Wissen, aber auch mit meinen Zweifeln – in seiner momentanen Situation, wie er gerade ist, akzeptiere», so Dönni. Das sei für viele nicht so einfach, «weil wir natürlich häufig nonverbal vermitteln: Ich bin ja eigentlich letztlich die Fachperson, und es regt mich auf, dass Sie da zu mir kommen und mich nicht ernst nehmen. Ich habe das studiert, ich habe meine Statistiken und meine Zahlen, und Sie kommen und stellen das in Frage.» Selbst wenn das nicht verbal geäussert wird, kann es, wie der Kommunikationstrainer zu verstehen gab, vom Gegenüber aufgrund der Körpersprache sofort registriert werden.
Fakten meist zweitrangig
Man sollte sich zurücknehmen und sich sagen, dass das Problem für den Betroffenen so wichtig ist, dass man es ernst nehmen sollte. Somit geht es für Dönni nicht primär um die Fakten, sondern darum, wie diese diffusen Ablehnungen und Widerstände aufgefangen werden. «Indem sie einfach einmal angenommen werden», lautet Dönnis Rat. «Man sollte nicht schon versuchen, ein Faktengebäude aufzubauen, das zwar in sich stimmig sein kann, das der andere aber 100-prozentig ablehnt, weil er nicht auf der Sachebene belehrt werden will.» Belehren, befehlen und bagatellisieren sowie sehr schnell Lösungen anbieten – das sind für Dönni Methoden, die man in der Zeitnot anbietet, wenn man nicht bereit ist, in ein längeres Gespräch einzusteigen. Soll ein hilfreiches
Gespräch gestartet werden, ist hierzu
mehr Zeit unerlässlich. Es geht nicht um
«richtig» oder «falsch» in der Kommuni-
kation, sondern darum, ob sie schlussend-
lich effektiv und hilfreich ist. Das Ergebnis
kann für jeden Menschen etwas anderes
sein.
Es ist für Dönni eine Zeiterscheinung, dass
sich Menschen gegen eine Fremdbestim-
mung wehren. Im Arztberuf bewegt man
sich immer auf einer Gratwanderung
zwischen tatsächlicher Fremdbestimmung
(ärztlich ausgeübt) sowie dem Angebot,
den Patienten selbst bestimmen zu lassen.
So soll dem Betroffenen oder Angehöri-
gen dargelegt werden, wie die Situation
aussieht, und es soll letztlich ihm überlas-
sen werden, wie oder wozu er sich ent-
scheidet. Beraten heisst somit, dem ande-
ren die Autonomie zuzugestehen, damit
er selbst entscheiden kann. «Somit müs-
sen wir auch akzeptieren, dass der andere
eine Entscheidung trifft, die nicht die
unsere ist», meinte Dönni abschliessend.
Beim ungezwungenen Aperitif nach der
Veranstaltung zeigte es sich, dass seine
Worte auf fruchtbaren Boden fielen, dass
jedoch gelegentlich befehlsgewohnte Chef-
ärzte alter Schule mit dieser weltoffenen
Haltung Mühe bekundete.
Die von Pro Vaccine Zug organisierten
Zuger Gespräche 2004 waren ein grosser
Erfolg. Es ging im weitesten Sinn um Her-
zensbildung. Das Playback-Theater Zürich
lieferte hierzu hervorragendes «Anschau-
ungsmaterial». Das kam im Ärztepubli-
kum ausgezeichnet an.
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Dr. med. Thomas Ferber Postfach 412
8201 Schaffhausen E-Mail: thomasferber@mail.ru
Interessenlage: Der Autor wurde von Pro Vaccine unterstützt.
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