Transkript
ENICUM
von Gastkolumnistin Annette Thommen
FMH: Wer wird Präsident?
Nostalgisch denkt man an die geradezu ruhigen Zeiten der «Fetten Siebziger» zurück. Auffällig unauffällig lenkte damals Dr. Sahli in Berner Geheimdiplomatie-Manier die Geschicke der FMH. Er vertrat noch die Interessen der Ärzteschaft! Man konnte sich während seiner Amtszeit zwar nicht über Skandälchen und Skandale ergötzen, und wenn René Salzberg nicht ab und zu ein kerniges Wort gesprochen oder Professor Walter Siegenthaler eine Intrige gedrechselt hätte, wäre die Seichtigkeit des standespolitischen Seins unerträglich gewesen. Guido Zäch erkämpfte für den VSAO Mindestlöhne für Assistenz- und Oberärzte, und sein Foto erschien damals nur einmal pro Jahr im orangen A-5-VSAO-Heftli, noch nicht viermal pro Woche in der Schweizer Illustrierten, weil die lieber Art Furrer und Ursi National ablichtete. Silva Keberle war noch nicht die blonde Eminenz, sondern ein viel versprechender Twen mit Dackel, Werner Bauer ein pummeliger Unterhund – aber beide schon damals Everybody’s Darling. Richard Altorfer trug bereits Zopf, arbeitete zu viel, demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und schrieb Lyrik. Johannes Schmidt stand vor der Matur und erwog eine Karriere bei der Pharmaindustrie. Hans Heiri Brunner war ein aufmüpfiger Assistenzarzt, und nur sein gütig-vermittelnder Oberarzt Herold verhinderte, dass er sich schon damals mit allen überwarf. Fürsprecher Hanspeter Kuhn wollte noch Lokiführer oder Arzt werden. Kurz – alles lief seinen ruhigen Gang, man hatte seine Praxis aurea, dankbare Patienten und die
Medizin eine Zukunft. Der Frauenanteil in der Ärzteschaft war unter 30 Prozent und die Chirurgen nur im Operationsgebiet invasiv, nicht aber bei Standespolitischem. Und jetzt? HHB wurde wie alle grosse Cäsaren, Päpste oder andere «Kämpfer für eine Sache» erst gepu(t)s(c)ht und dann gemeuchelt – der einzig würdige Abgang für Machiavellisten. Kaum sind Brunners Kassandrarufe über den Untergang des Arztlandes verhallt, da beginnen schon die Diadochenkämpfe. Fast wäre über Nacht das FMH-Präsidentenamt handstreichartig besetzt worden. Zwar ist dieser Folter- und Schleudersitz eigentlich nur etwas für Masochisten, aber die Thronanwärter drängeln zuhauf. Im Westen gibts nix Neues: generalstabsmässig bereiten sich sowohl Guisan wie de Haller auf die Rolle des Roi Romand der «Äff Ämm Asch» vor. Gentleman Giger hat wenig Chancen, trotz des ausgesprochenen Vertrauens eines Vertrauensarztes. Auf keinen Fall wird man(n) eine Frau nominieren, obwohl im Präsidentenamt sowohl steiner’sche psychiatrische Fachkompetenz wie auch Wissen um Idiosynkrasien, Peter-Prinzip und Stöhrmanöver nützlich wären. Aus dem Osten wird faustisch die Grete-Frage gestellt. Der Bachenbülacher hat sehr wohl das King-Size-Format dafür, aber vermutlich keine Lust aufs Amt. Oder wird ein chirurgischer Präsident wie Stoffel die Invasiven zurück an den Busen der FMH führen? Opportun wäre Ludwig Heuss, laut eigenem Eingeständnis im Geschäftsbericht 2003 ein Verfolger der Entwicklung des ärztlichen
Arbeitsmarktes (läuft er hintennach?), sowie ein Pfleger und Schützer von gedanklichem Freiraum und von «ohne Verschulden in Noth geratener KollegInnen». Wegen Windschlüpfrigkeit und Fotogenität hat er echte Chancen als kleinster gemeinsamer Nenner. Kurz: Man darf gespannt sein! Und die Vakanzen im Zentralvorstand? Der Sitz von Prof. Verena Briner, die elegant ins SGIM-Präsidium rochiert, muss von einer Frau besetzt werden. Die Auswahl ist gross: Es kommen einem sofort jede Menge Professorinnen in den Sinn, wie die gesammelten Christas und Christinen: die Meyenberger, die Landmann, die Aebi, die Attenhofer, die de Bosset und la Renteria. Oder die Chefärztinnen Vreni Kamber, Barbara Tettenborn, Ruth Fleisch-Silvestri, Nicole Bürki und Silke Hasenclever. Aber auch standespolitisch aktive Power-Frauen wie Brigitte Saner-von Burg, Ingrid Wyler-Brem, Katharina Cina-Huber, Francesca Mainieri, Elisabeth Bandi-Ott, Anni SandbergTschopp, Sibylle Tschudin, Fiona Fröhlich oder ihr Komparativ Julia Fröhlicher, Franziska Dekker-Thomi, Madeleine Straumann und Reta Zihlmann-Tschopp. Alles gute Kandidatinnen. Weitere Namen liefere ich gerne. In jedem Fall werden uns die nächsten Wochen spassige Wahl-, Hahnen- und Hirschkämpfe bescheren. Kolleginnen, mischt euch energisch und engagiert in den ZV-Posten-Schacher ein – bei mehr als 55 Prozent Frauenanteil ist standespolitische Mitbestimmung ein Muss!
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