Transkript
STUDIE q ÉTUDE
Depressionstherapie lindert auch Arthrosebeschwerden
Die Ergebnisse der IMPACT-Studie
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION
Alte Menschen leiden nicht
selten gleichzeitig an
Arthrose und an Depressionen.
Wird die Depression behan-
delt, lassen sich damit auch
die Arthrosebeschwerden
lindern. Das hat die im JAMA
publizierte IMPACT-Studie
ergeben.
Die Arthrose gehört zu den unangenehmen Risiken des Alterns. Fast 80 Prozent der über 70-Jährigen quälen sich mit Gelenkschmerzen, die Bewegungsfähigkeit und das alltägliche Leben insgesamt in Mitleidenschaft ziehen. Viele dieser Menschen leiden gleichzeitig an einer Depression – eine Komorbidität, die zur Verschlimmerung des «Krankheitspartners» führt, nimmt man etwa die Erkenntnis, dass Depressive oft ein gesteigertes Schmerzempfinden äussern. Untersuchungen haben gezeigt, dass Schmerz und Depression viel eher etwas über die tatsächliche Beeinträchtigung der betroffenen Arthrotiker aussagen als irgendwelche radiologischen Befunde. Es gibt bereits Hinweise dafür, dass Patienten mit rheumatoider Arthritis von der Behandlung mit Antidepressiva profitieren können, allein die Untersuchungen
haben nicht zu konsistenten Ergebnissen geführt. Eine amerikanische Arbeitsgruppe ist nun der Frage nachgegangen, ob die Behandlung einer Depression auch Arthrosebeschwerden zu lindern vermag. Im Rahmen der «Improving Mood-Promoting Access to Collaboative Treatment (IMPACT)»Studie lancierten sie ein Disease-Management- Programm. Für die Untersuchung rekrutierten die Studienautoren in 18 Grundversorger-Zentren in den USA rund 1800 Patienten in einem Alter über 60 Jahre. Alle litten an einer Depression, die nach den Kriterien des DSM-IV diagnostiziert wurde, und gleichzeitig an einer Arthrose, die in den drei Jahren vor Studienbeginn diagnostiziert wurde beziehungsweise behandlungsbedürftig war. Nicht an der Studie teilnehmen durften Menschen mit bipolarer Erkrankung, mit Psychose, Alkoholkrankheit oder akut bestehender Suzidgefährdung. Im Rahmen der Randomisierung teilte man die Patienten entweder der Interventions- oder der Kontrollgruppe zu. Die Intervention bestand aus einem Programm, das von einer speziell ausgebildeten Fachkraft (Krankenschwester, Psychologin) in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt geleitet wurde. Es umfasste sechs bis acht Psychotherapie-Einheiten und auch die Verschreibung von Antidepressiva. Vorgaben über die Wahl und Dosierung der Medikamente gab es nicht; es war den Grundversorgern überlassen, welche der üblichen Präparate sie einsetzten. Die der Kontrollgruppe zugewiesenen Patienten erfuhren die übliche hausärztliche Betreuung, wobei Psychotherapie und Antidepressiva nicht ausgeschlossen waren. Um den Nutzen der Massnahme zu prüfen, wurden die Therapieergebnisse nach drei,
Merk-
sätze
q Eine gleichzeitig bestehende Depression verschlimmert die Folgen einer Arthrose bei alten Menschen.
q In der IMPACT-Studie gelang es, Gelenkschmerzen, Bewegungseinschränkungen und die Lebensqualität durch eine intensive Depressionstherapie – mit Hilfe von Antidepressiva und Psychotherapie – bei den Arthrosepatienten günstig zu beeinflussen.
schs und zwölf Monaten (am Studienende) ermittelt. Kriterium war die Selbstauskunft der Patienten auf entsprechenden Fragebögen. Auf den verwendeten Skalen machten sie Angaben zum arthrosedingten Schmerz (0 = keine Schmerzen, 10 = sehr starke Schmerzen), zu schmerzbedingten Einschränkungen im Alltag und allgemeinen (familären, sozialen, beruflichen) Beeinträchtigungen.
Arthrosebeschwerden gelindert
Die Auswertung der Fragebögen förderte folgende Ergebnisse zutage: q Die Arthrosebeschwerden fielen in der
Interventionsgruppe geringer aus als in der Kontrollgruppe. Dies galt sowohl hinsichtlich des Schmerzes als auch bezüglich der funktionellen Einschränkungen im Alltag. q Tendenziell besserte sich auch die depressive Symptomatik. Nach sechs
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Depressionstherapie lindert auch Arthrosebeschwerden
Monaten erfüllten noch 24 Prozent der Patienten in der Interventionsgruppe die Kriterien der Major Depression, zu Studienbeginn waren es 74 Prozent. In der Kontrollgruppe waren zunächst 69 Prozent, am Ende 38 Prozent. q Die intensiv betreuten Patienten nahmen dabei mehr Medikamente ein als die herkömmlich behandelten – 43 Prozent zu Studienbeginn, 66 Prozent am Studienende. In der Kontrollgruppe gab es diesbezüglich kaum Veränderungen (47 vs. 52%). Die Autoren interpretieren die Ergebnisse als Erfolg der Intervention. Der Ko-Erfolg – Linderung von Schmerzen und Nachlassen der Depression – bestätigt ihrer Ansicht nach andere Studien, nach denen Medikamente und Psychotherapie bei dieser Komorbidität segensreich wirken können. Mit Blick auf die medikamentöse Therapie halten sie auch eine neurobiologisch Erklärung bereit: Neurotransmitter wie Serotonin und Noradrenalin können die peripheren Schmerzsignale dämpfen, indem sie auf den bidirektionalen Feedback-Mechanismus zwischen zentraler Schmerzmodulation und peripherem Schmerzstimulus einwirken. Die Psychotherapie andererseits sei geeignet, die Coping-Strategien im Umgang mit Schmerz zu verbessern.
Welche Massnahme war wirklich wirksam?
Diese Ergebnisse hätten besondere Bedeutung vor dem Hintergrund, dass Arthrose nicht heilbar ist und sich Schmerzen mit Antirheumatika und physikalischer Therapie oft nicht vollständig ausschalten lassen. Deshalb komme es auf Strategien an, die Schmerzen zu bewältigen, die Lebensqualität zu erhöhen und die Funktionsfähigkeit zu verbessern. Allerdings, so die Autoren, setze die antidepressive Therapie voraus, dass eine Depression bei den Arthrosepatienten erkannt würde. Das sei leider durchaus nicht immer der Fall. Trotz der scheinbar eindeutigen Ergebnisse weist die Studie doch einen gravierenden Mangel auf. Es gelang den Unter-
suchern nämlich nicht, vollständige Daten
über die Einnahme anderer Medikamente
(als Antidepressiva) zu sammeln. Mögli-
cherweise wurden den Patienten in der In-
terventionsgruppe wegen der intensive-
ren Betreuung auch mehr Analgetika
verschrieben. Die Studie lässt also letztlich
offen, welche Masnahmen genau wirk-
sam waren.
q
Elizabeth H.B. Lin: Effect of improving depression care on pain and functional out-
comes among older adults with arthritis. A randomized contolled Trial. JAMA 2003; 18: 2428–2434.
Uwe Beise
Interessenlage: Drei von insgesamt 14 Studienautoren geben an, Honorare von folgenden Firmen erhalten zu haben: Wyeth, Eli Lilly, Pfizer, Solvay und Merck.
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aktuell weil Die Ärzteadressen (FMH-Mitglieder) sowie die Spitaladressen sind im Internet unter www.smj.ch kostenlos abrufbar und werden wöchentlich aktualisiert.
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